Irdische "Marsbakterien"

US-Forscher entdecken auf Grönland in drei Kilometer Tiefe Methanbakterien, die auch auf dem Mars überleben könnten

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Auf der Erde ist Methan als Fäulnisgas bekannt, dass unter anderem bei bakteriellen Zersetzungen produziert wird. Letztes Jahr konnte die ESA-Sonde Mars-Express diese chemische Verbindung auf dem Roten Planeten nachweisen. Jetzt haben US-Forscher im langsam dahin schmelzenden Grönlandeis Mikroben aufgespürt, die in einer Tiefe von 3000 Metern vergnügt Methan produzieren. In der aktuellen Ausgabe der Wissenschaftspublikation PNAS (DOI: 10.1073/pnas.0507601102) verweisen die Wissenschaftler darauf, dass die irdisch-extremophile Bakterienkolonie als Modell für ebenfalls methanogene Mikroorganismen auf dem Mars dienen könnte.

Den menschlichen Augen entrückt, auf einer Ebene, die nur via Mikroskop zu erfassen ist, existiert ein Universum incognitum: der Mikrokosmos. Dieser präsentiert sich – um einmal ein geflügeltes Wort von Shakespeare zu strapazieren – in der Tat als "unentdecktes Land", von dem die Wissenschaftler bislang bestenfalls nur Randgebiete erforscht und maximal ein Prozent seiner Bewohner kennen gelernt haben.

Mikrobielles Universum

Die Einheimischen dieser unzugänglichen Welt, sprich die Mikroben bzw. Mikroorganismen setzen sich aus Bakterien, Viren, Einzellern und Pilzen (Pilzbakterien) zusammen. Sie beleben dieses mikrobielle Universum in breiter und großer Vielfalt. Praktisch überall dort, wo Leben eine Nische gefunden hat, sind sie heimisch geworden. Bereits in einem Gramm Ackerboden tummeln sich zirka 100.000 solcher Kleinstlebewesen.

Der vierte Planet des Sonnensystems, neben der Erde möglicherweise der einzige, auf dem Mikroben das Sagen haben… (Bild: NASA)

"Die Gesamtmasse mikrobiellen Lebens auf unserem Planeten ist nahezu unkalkulierbar groß – man hat sie auf das fünf- bis 25-fache der Masse allen tierischen Lebens geschätzt", spezifizierte einmal der englische Mikrobiologie John Postgate von der University of Sussex in England die quantitative Dimension der Mikroben. Signifikant für die "Qualität" derlei Lebensformen sind hingegen zwei Besonderheiten: Erstens vermehren sie sich in einem atemberaubenden Tempo; zweitens sind sie wie kein anderes irdisches Lebewesen in der Lage, selbst extremsten Umweltbedingungen zu trotzen. Im polaren Meereis, in heißen Quellen, bei hohen Salzkonzentrationen, bei basischen oder sauren Bedingungen, in großer Tiefe, also ohne Licht, unter starken Drücken, ja sogar im Vakuum – sprich: Weltraum (ohne Sauerstoff) – vermehren sich diese Überlebenskünstler problemlos.

Methan in Marsatmosphäre

Selbst seriöse Physiker wie Vittorio Formisano vom Instituto Fisica Spazio Interplanetario (Institut für Physik und Interplanetare Wissenschaft) in Rom, der für das "Planetary Fourier Spectrometer" (PFS) von Mars-Express verantwortlich ist, gehen derweil davon aus, dass auf dem Roten Planeten gegenwärtig mit hoher Wahrscheinlichkeit Leben existiert. Bereits im September 2004 sorgte der exzentrische Italiener für Schlagzeilen, als er mit seinem PFS-Instrument Methan in der Marsatmosphäre aufspürte. "Wir konnten hier das Vorkommen von Methan nachweisen und zudem berechnen, wie viel davon dort vorhanden ist", freute sich Formisano seinerzeit.

Grönland – eher das Land der Mikroben als das Land des Homo sapiens sapiens (0,026 Einwohner pro Quadratkilometer) (Bild: Departement of Geophysics, Niels Bohr Institute, University of Copenhagen)

Einige Monate später wühlte der engagierte Forscher aus Rom die Fachwelt erneut auf, als er mit dem PFS große Vorkommen an Formaldehyd in der Atmosphäre des Roten Planeten ausmachte. Es komme als Zerfallsprodukt von Methan in der Marsatmosphäre in einer "zehn bis zwanzig Mal höheren Konzentration als Methan" vor, so der Physiker. Während Methan eine Lebenszeit von 300 bis 600 Jahren habe, könne sich Formaldehyd nur maximal 7,5 Stunden in der Marsatmosphäre halten. Da andere Prozesse, wie etwa Meteoriteneinschläge oder Vulkanismus eine derartige Menge an Methan nicht generieren können, müsse eine andere Quelle das Methan ständig nachproduzieren, aus dem sich dann wiederum Formaldehyd bildet. "Meteoriteneinschläge oder Vulkanismus könnten höchstens 100.000 Tonnen Methan pro Jahr bereitstellen", so Formisano. Mikroben seien für ihn daher ein gutes Erklärungsmodell.

3000 Meter tief im Grönlandeis

Beflügelt von den Daten der Mars-Express-Sonde und desgleichen beseelt von dem Gedanken, eines Tages außerirdische Mikroben mit wissenschaftlichen Methoden nachzuweisen, haben sich vor einigen Monaten amerikanische Forscher nach Grönland begeben. In eisigen Gefilden führten sie im Rahmen des Greenland Ice Sheet Project 2 (GISP2) diverse systematische Bohrungen durch, wobei sich ein Team unter der Leitung des US-Mikrobiologen P. Buford Price von der University of California in Berkeley (USA) bis in eine Tiefe von 3053,44 Metern vorarbeitete.

Ab in die Tiefe – Forscher bei der Bohrung (Bild: Departement of Geophysics, Niels Bohr Institute, University of Copenhagen)

In dieser Eisschicht hielten sie Ausschau nach Methankonzentrationen der letzten 110.000 Jahre. Und siehe da – auf den letzten 90 Metern des rund drei Kilometer langen GISP2-Bohrkerns förderten sie aus den uralten Eisschichten Interessantes zutage. Einige Messpunkte zeigten urplötzlich mehr Methan an, als erwartet. Für die Forscher ein klarer Hinweis darauf, dass die vorgefundenen Konzentrationen nicht allein auf geologische, chemische Vorgänge bzw. Klimaschwankungen zurückgeführt werden können. Nein, hier waren ganz offensichtlich Mikroben am Werk.

Gefrorenes bevorzugt

Tatsächlich fanden die Mikrobiologen in knapp 3.000 Meter Tiefe Kleinstlebewesen, so genannte methanogene Bakterien, die den Archaebakterien zugeordnet sind, die zu den ältesten Mikroorganismen auf der Erde gehören. So genannte Extremophile, hierunter auch methanogene Mikroben, wachsen heute noch in Umgebungen, wie es sie vor mehreren Milliarden Jahren allerorten auf dem Planeten gab: in vulkanisch aktiven Zonen, kochenden Geysiren, heißen Schwefelquellen, konzentrierten Salzlösungen oder ätzenden Säurepfützen. So spürte ein Forscherteam vor vier Jahren beispielsweise Methanogene in einer 15.000 Jahre alten heißen Quelle im US-Bundesstaat Idaho auf.

Grönland – immer noch die größte Insel der Erde (Bild: NASA/Goddard Space Flight Center/Orbiimage)

Die nunmehr lokalisierte neue Bakterienkolonie indes scheint Gefrorenes zu bevorzugen. Denn ungeachtet aller arktischen Kälte und Dunkelheit sowie „Nahrungsknappheit“ harren die Mikroben seit ungefähr 110.000 Jahren in den Tiefen des Grönlandeises aus. Gleichwohl müssen sie der unwirtlichen Umgebung Tribut zollen. Anstatt ihren Bestand zu vergrößern, investieren die Kleinstlebewesen, wie die Forscher herausfanden, den Großteil ihrer Energie darin, Erbgutschäden zu reparieren. Besonders „fruchtbar“ sind die Mikroorganismen somit nicht. Ihre Stoffwechselrate ist derart niedrig, dass sie bei minus elf Grad Celsius sage und schreibe 10.000 Jahre benötigen, um sämtliche Kohlenstoffatome in ihren Zellen durch neue zu ersetzen.

Marsiane Brüder?

Auf dem Mars hingegen hätte eine solche Bakterienart womöglich bessere Karten. Dies vermuten zumindest Price und zwei weitere Forscher (H.C. Tung und N. E. Bramall) in der jüngst veröffentlichten Studie "Microbial origin of excess methane in glacial ice and implications for life on Mars" ("Proceedings of the National Academy of Sciences", PNAS 10.1073/pnas.0507601102). Ausgehend von der Frage, ob die im Grönlandeis eingebetteten irdischen Methanbakterien eventuell auch marsiane Brüder haben könnten, kommen Price und Kollegen zu einem überaus interessanten Resultat.

Spirit-Aufnahme vom Mars – Panoramabild eines Teils der Landestelle (Bild: NASA)

Ja, möglich sei dies, betonen die drei Autoren in ihrem Artikel. Auch wenn bislang noch keine schlüssige Erklärung für die Quelle des Methans auf Mars vorliegt, glauben die Forscher, dass jene Mikroben, die unlängst in den Tiefen des grönländisches Eispanzers gefunden wurden, auf dem Roten Planeten durchaus gedeihen können. Vorraussetzung hierfür sei allerdings, dass die Kleinstlebewesen den gesamten Planeten bis in zehn Meter Tiefe bevölkern – dies in einer Dichte von einer Zelle pro Milliliter. Hierfür müssten die Mikroorganismen allerdings eine passende Nische finden, in der rund Null Grad Celsius herrschen sollten. Und sie sollte natürlich unter der Oberfläche des Roten Planeten liegen – in einer Tiefe zwischen 150 Metern und acht Kilometern.