Irrweg Stadtimkerei, das sogenannte Bienensterben ...

Seite 2: Der Ursprung des Biensterben-Mems: Umdeutung einer Nutztierseuche zur Umweltkatastrophe

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wie kam es zu der verbreiteten Annahme, ausgerechnet die Honigbiene sei gefährdet, eines der wenigen Insekten, die nicht vom Insektenschwund betroffen sind?

Der unmittelbare Grund ist wohl die hohe Bereitschaft von Medien und Aktivisten, Umwelt-Katastrophenmeldungen unbesehen zu kolportieren und nicht angemessen zu korrigieren, auch wenn längst klar ist, dass die Verhältnisse nicht so dramatisch sind wie gedacht, die Gründe andere sind als zunächst vermutet oder ein Missverständnis vorlag.

Wie beim Waldsterben in den 1980ern gab es reale Probleme bei einer wirtschaftlich genutzten Art. Die Anlässe wurden dann zu einer von den Verhältnissen nicht gedeckten apokalyptischen Vorstellung umgedeutet und dieses Narrativ seinerseits instrumentalisiert, um eigentlich aus anderen Gründen gewünschte Ziele zu bewerben, Medienerzeugnisse zu verkaufen, Spenden und Fördergelder einzutreiben oder Wählerstimmen zu gewinnen.

Auf dem freien Markt der Ideen sind marktschreierische extreme Thesen jeder Art verkäuflicher als Sachliches und Zwischentöne. Der Film "More than Honey" (um ein Beispiel zu nennen) hätte ohne die von der Dramaturgie angelegte Botschaft "Die Biene steht am Abgrund, und nach ihr stirbt der Mensch" nicht ansatzweise so viel Aufmerksamkeit und Erfolg erfahren.

Das Mem vom großen, sogar die menschliche Nahrungsproduktion gefährdenden Bienensterben21 kommt aus den USA, wohin die Honigbiene wie das Hausschwein mit den europäischen Siedlern kam (einheimische Wildbienen gibt es in den USA an die 4.000 Arten). Gegen den weltweiten Trend ist die Honigproduktion in den USA heute nur noch halb so hoch wie 1961. Ein Gutteil des Schwunds fand nach dem Jahr 2000 statt, mit den beiden niedrigsten Werten seit Beginn der Zeitreihe in den Jahren 2009 und 2012.

Ein Grund hierfür war tatsächlich ein (Honig-)Bienensterben, das - in weniger starkem Ausmaß - auch Deutschland betraf. "Sterben" ist in solchen Kontexten ein Ausdruck für plötzlich erhöhte Mortalitätsraten, im allgemeinen durch Seuchen ausgelöst. Vom Honig abgesehen, dessen Produktion auch wegen Billigkonkurrenz aus China nachließ, hatte das US-Bienensterben dennoch keinen negativen Effekt auf die Ernten: Die kalifornische Mandelernte, wiewohl von Bestäubung abhängig, verdreifachte sich zwischen 2000 und 2017.22

Zur kurzen Mandelblüte werden Honigbienen von überall her zu den Monokulturen im kalifornischen Längstal gekarrt, eine erstklassige Krankheitsverbreitungsbörse. Nach heutigem Stand lag Bienensterben in den USA an einer Kombination von schwächenden Faktoren, in deren Zentrum die Varroamilbe und von ihr übertragene oder begünstigte Viren standen. Ein Detailbericht zur Ursachenforschung findet sich in der Fußnote.23

Die Varroamilbe ist in Asien von der dortigen wilden Honigbiene, der sie kaum Probleme bereitet, auf die domestiziert gehaltene westliche Honigbiene übergesprungen und hat sich dank Handel mit Königinnen weltweit verbreitet. Der menschliche Transport von Infektionen durch Handel und Reisen hat schon viel Unheil angerichtet und ist für so manches verantwortlich, was vorschnell anderen menschengemachten Faktoren zugeschrieben wird.

Das weltweite Amphibiensterben hatte man vom Ozonloch über den Klimawandel bis zum (tatsächlich beteiligten) Habitatverlust allem Möglichen angelastet, bis sich herausstellte, dass der Hauptfaktor eine Pilzinfektion war, die sich über den Handel mit infizierten Fröschen weltweit verbreitete und von Amphibienforscherstiefeln noch bis in die letzten Winkel abgelegener Frosch-Habitate verschleppt wurde.24

Insgesamt 15 Episoden von dramatischem Honigbienensterben sind in den USA seit dem ersten bekannten Vorkommnis 1868 dokumentiert.25 Vorübergehende Bevölkerungseinbrüche von Arten durch Seuchen oder Fressfeinde sind in Natur und Landwirtschaft nichts Ungewöhnliches. Ohne Interesse der Öffentlichkeit ereignete sich beispielsweise ab 2015 ein extremes Wildkaninchensterben in Deutschland.26 Hauptgrund war ein neuer Serotyp eines aus Asien stammenden Virus ("China-Seuche") mit nahe hundertprozentiger Letalität.

Es gab bei den Bienensterben seit 2000 also keinen Grund, anzunehmen, dass es sich um etwas grundlegend anderes handelte als bei all den vorherigen US-Bienensterben im 19. und 20. Jahrhundert. Ebenso wenig gab es Anzeichen, dass Pestizide eine große Rolle spielten. Mit Pestiziden waren kollabierte Bienenstöcke nämlich nicht stärker belastet als stabile.27 Pestiziden kam bei den rezenten (Honig-)Bienensterben höchstens eine begünstigende Nebenrolle zu. (Details zum Forschungsstand zur Rolle von Pestiziden in der Fußnote28).

Dass Agrochemikalien nicht die Hauptschuld trugen, wenn überhaupt, zeigt das Beispiel Australien: Hierher hat es dank strenger Einfuhr-Quarantäne die Varroamilbe sowie ein mit ihr assoziiertes Virus noch nicht geschafft. Und hier gab es trotz Einsatz von Neonikotinoiden und Glyphosat kein Bienensterben.