"Islamische Transfrau" als Satire: "Nehme die Titulierung Troll als Ehrentitel gerne an"

Seite 2: Wie sexuelle Selbstbestimmung nicht laufen sollte

Nach dem derzeit im Bundestag diskutierten Selbstbestimmungsgesetz möchte die Bundesregierung die Vorlage eines ärztlichen Attests nicht länger zur Bedingung für einen Wechsel der Geschlechtsidentität machen. Ihre Meinung?

Bijan Tavassoli: Gut ausgebildete Ärzte und Psychologen sind derzeit bedauerlicherweise Mangelware. Ihre Zeit damit zu vergeuden, sie als Gatekeeper für einen Wechsel der sozialen Geschlechtsidentität einzusetzen, ist sicher der falsche Weg und wird aus diesem Grund von Praktikern zu Recht abgelehnt.

Ganz anders verhält es sich natürlich bei schwerwiegenden medizinischen Eingriffen, vor denen eine umfassende ärztliche Aufklärung und Beratung sowie eine psychologische Differenzialdiagnostik für die Betroffenen angemessen und sicherzustellen ist.

Und wie lief das bei Ihnen?

Bijan Tavassoli: Genau wie es nicht sein sollte. Ich habe mir einen neuen Namen ausgedacht und ihn auf einer Website eingegeben. Gender ist vielleicht ein Konstrukt, aber es ist ein soziales, ein gesellschaftliches Konstrukt, und das kann man nicht im stillen Kämmerlein für sich allein definieren.

Was passiert jetzt mit der "islamischen Transfrau"?

Bijan Tavassoli: Das Internet vergisst nicht und so wird sie wohl in den Köpfen vieler Menschen weiterleben. Aber die öffentliche Auseinandersetzung mit dieser Rollenzuschreibung ist für mich abgeschlossen.

Ich werde mich diesen Fragen aber weiterhin widmen, mich mit der umfangreichen Literatur kritisch auseinandersetzen, solidarisch mit queeren Menschen über ihre Perspektiven austauschen und, wenn ich etwas zu sagen habe, in anderer Form wieder zu Wort melden.

Was müsste sich in der Debatte ändern?

Bijan Tavassoli: Sie wird derzeit mit einem sehr preußischen Obrigkeitsstaatsverständnis geführt. Als ginge es darum, Geschlechterrollen in DIN-Normen festzuschreiben oder per Quotenverordnung festzulegen, wer mit wem auf welche Weise wie viele Orgasmen haben darf.

Das widerspricht dem Wesen einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, in der sich der Staat aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung heraushält.

Natürlich berühren etwa die Institution der Ehe und ihre steuerliche Ausgestaltung, damit zusammenhängende Fragen, aber hier sollte der Gesetzgeber gesellschaftliche Entwicklungen nachzeichnen und weitere Entwicklungen ermöglichen, statt mündigen Bürgern per Dekret vorzuschreiben, wie sie ihr Intimleben zu gestalten haben.

Es mag manchmal lohnend erscheinen, diese Debatten auf politischer Ebene zu führen, aber der Verfassungsgesetzgeber hat aus gutem Grund die Abgeordneten für Gewissensentscheidungen vom Fraktionszwang befreit. Wer ethische Grundüberzeugungen zum Wahlkampfthema macht, läuft Gefahr, die plurale Gesellschaft zu zerreißen.

Extreme Polarisierungen, wie sie etwa in den USA in der Abtreibungsfrage zu beobachten sind, konnten in Deutschland vermieden und konsensfähige Lösungen gefunden werden. Entsprechende Bundestagsdebatten, etwa zur Sterbehilfe, sind oft als Sternstunden des Parlamentarismus bezeichnet worden. Diesen Weg sollten wir fortsetzen.

Was läuft in der Identitätspolitik falsch, was richtig?

Bijan Tavassoli: Entscheidend ist, was jemand im Kopf hat und nicht, welche Hautfarbe er hat oder was er zwischen den Beinen hat.

Demokratie findet nicht mehr statt, wenn die Gruppenzugehörigkeit die Wahlentscheidung ersetzt.

Dann könnte man den Bundestag auch nach Volkszählungsergebnissen besetzen.

Versuche, sich über Poesie, Literatur, bildende Kunst und Musik den Lebenswelten anderer anzunähern, können verbindende Elemente schaffen und damit Verständnis für die Lebensrealitäten anderer erzeugen.

Auch gemeinsames Lachen kann helfen, Vorurteile abzubauen und aus einem Gegeneinander ein Miteinander zu machen.

Neben Krise, Krieg und Kapitalismus: Welche Rolle sollte Identitätspolitik spielen?

Bijan Tavassoli: Wer die schrecklichen Bilder aus der Ukraine sieht und als Erstes kritisiert, dass die Uniformen der Armee nicht auf die Bedürfnisse schwangerer Frauen zugeschnitten sind, hat das Thema verfehlt.

Krieg kann nicht humanistisch oder feministisch gestaltet werden, er ist immer unmenschlich und es gilt, ihn zu verhindern und zu beenden.

Dabei darf man natürlich, auch wenn es unangenehm ist und der eigenen Propaganda widerspricht, den Blick nicht abwenden, auch nicht von dem besonderen Unrecht, das gerade Frauen im Krieg auf allen Seiten widerfährt.

Als nach Kriegsbeginn die Menschen zu Hunderttausenden über die Grenzen strömten, wurden Transfrauen, die nicht über das nötige Kleingeld verfügten, um die Grenzbeamten zu bestechen, an der Flucht gehindert und oft direkt in die ukrainische Armee eingezogen. Geldbeutel und Geschlecht spielen also zweifellos eine Rolle.

Dennoch sind Krieg und Frieden zentrale Menschheitsfragen, die uns alle angehen und zu denen wir uns alle verhalten müssen, und gerade deshalb darf falsch verstandene Identitätspolitik nicht dazu missbraucht werden, von der entscheidenden Ursache von Krieg abzulenken, nämlich einer den menschlichen Bedürfnissen entgegenstehenden Entwicklung des Kapitalismus.

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