Israel: Frontalangriff auf Menschenrechtsorganisationen

Solidaritätsaktion für in Israel inhaftierte Palästinenser im Jahr 2019. Bild: Addameer

Israelisches Verteidigungsministerium erklärt sechs palästinensische NGOs zu ‘"Terrororganisationen". Kritik sogar in eigener Regierung und im US-Kongres.

In einem gemeinsamen Aufruf haben Amnesty International und Human Rights die Einstufung palästinensischer zivilgesellschaftlicher Gruppen als "Terrororganisationen" durch den israelischen Staat als direkten Angriff auf die Menschenrechte bewertet.

Das israelische Verteidigungsministerium hatte am 19. Oktober durch militärischen Erlass sechs in den besetzten palästinensischen Gebieten tätige zivilgesellschaftliche Organisationen zu "terroristischen Organisationen" erklärt.

Unter Berufung auf die eigenen Terrorgesetze und der Unterstellung, die Gruppen seien mit der größten palästinensischen Linkspartei, der PFLP, verbunden – die ihrerseits einseitig von der israelischen Regierung als "Terrororganisation" eingestuft worden war – teilte das Ministerium mit, jegliche Aktivitäten der Gruppierungen in Israel und den besetzten Gebieten unter Verbot zu stellen. Jeder, der sich ihnen anschließe oder sie unterstütze, könne strafrechtlich verfolgt werden.

Bei den betroffenen Organisationen handelt es sich um die Gefangenensolidaritätsgruppe Addameer, die Menschenrechtsorganisation Al-Haq, die Kinderschutzorganisation Defense for Children Palestine, die Landarbeiterunion UAWC, das entwicklungspolitische Forschungszentrum Bisan und den feministischen Frauenverband UPWC.

Die Indizierung stellt eine weitere Eskalation aufgrund eines israelischen Gesetzes aus dem Jahr 2016 dar, das die Aktivitäten dieser zivilgesellschaftlichen Gruppen effektiv verbietet.

Es ermächtigt die israelischen Behörden, ihre Büros zu schließen, ihr Vermögen zu beschlagnahmen und ihre Mitarbeiter zu verhaften und zu inhaftieren - und sie verbietet die Finanzierung oder sogar die öffentliche Unterstützung ihrer Aktivitäten.

Kritik von Human Rights Watch und Amnesty International

Human Rights Watch und Amnesty International, die eng mit vielen dieser Gruppen zusammenarbeiten, erklärten, es handele sich dabei um einen …

entsetzlichen (…) Angriff der israelischen Regierung auf die internationale Menschenrechtsbewegung. Seit Jahrzehnten versuchen die israelischen Behörden systematisch, Menschenrechtsbeobachter mundtot zu machen und diejenigen zu bestrafen, die die repressive Herrschaft Israels über die Palästinenser kritisieren. Während Mitarbeiter unserer Organisationen mit Abschiebung und Reiseverboten konfrontiert waren, haben palästinensische Menschenrechtsverteidiger stets die Hauptlast der Repressionen zu tragen. Diese Entscheidung ist eine alarmierende Eskalation, die die Arbeit der prominentesten zivilgesellschaftlichen Organisationen Palästinas zum Erliegen zu bringen droht. Das jahrzehntelange Versagen der internationalen Gemeinschaft, schwerwiegende israelische Menschenrechtsverletzungen anzufechten und sinnvolle Konsequenzen daraus zu ziehen, hat die israelischen Behörden zu diesem dreisten Vorgehen ermutigt.

Human Rights Watch und Amnesty International

Die palästinensische und israelische Öffentlichkeit, genauso wie die internationale Zivilgesellschaft, sind in großem Maß auf die Arbeit der nun kriminalisierten Organisationen angewiesen, was die Berichterstattung und Datenerhebung bezüglich von Menschenrechtsverletzungen geht, denen Palästinenser in der gesamten Region zu Opfer fallen.

Al Haq zum Beispiel ist eine Menschenrechtsorganisation, die nach eigenen Worten "Verletzungen der individuellen und kollektiven Rechte der Palästinenser" in den besetzten Gebieten dokumentiert, unabhängig davon, ob es sich bei dem Täter um israelische oder palästinensische Akteure handelt.

Betroffene Organisationen international anerkannt

Sie arbeitet eng mit den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen zusammen und hat zahlreiche Auszeichnungen für ihre Arbeit erhalten.

Adalah, eine in Haifa ansässige unabhängige Menschenrechtsorganisation für die politische und juristische Interessenvertretung der arabischen Minderheit in Israel, beschrieb die Kriminalisierung der betroffenen NGOs als einen offenen Akt politischer Verfolgung:

Diese Gruppen gehören zu den bekanntesten Menschenrechtsorganisationen in Palästina, die täglich schwere Menschenrechtsverletzungen vor der internationalen Gemeinschaft anprangern und aufdecken. Ihre Einstufung als terroristische Organisationen passt zu totalitären und kolonialen Regimen und stellt eine politische Verfolgung unter dem Vorwand der Anti-Terror-Gesetzgebung dar, da sie Tausende von Palästinensern in direkte und unmittelbare Gefahr bringt.

Erklärung der Organisation Adalah

Der Vorstoß von Verteidigungsminister Benny Gantz ist so eklatant, dass er selbst in der eigenen Regierung auf Widerworte stößt.

Wie die in Tel-Aviv ansässige Tageszeitung Haaretz berichtete, forderte Gesundheitsminister Nitzan Horowitz Gantz auf, der Regierung die Beweise, die zu der Entscheidung geführt haben, offenzulegen.

In einem Interview mit dem TV-Sender Channel 13 sagte Horowitz, dass diese Einstufung "problematisch" sei, und fügte hinzu, dass der Sicherheitsapparat der Öffentlichkeit Beweise vorlegen müsse.

Horowitz zufolge muss die Klassifizierung gründlich geprüft werden, da sie Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Demokratie sowie auf internationale und politische Angelegenheiten hat.

Horowitz, der Vorsitzender der Meretz-Partei ist, äußerte sich vor diesem Hintergrund auch besorgt über die Verschlechterung der Lage vor Ort, insbesondere über die Untätigkeit der Sicherheitsbehörden gegenüber der "anwachsenden Gewalt durch junge Siedler."

Auch die Umweltschutzministerin und Parteigenossin Horrowitz’, Tamar Zandberg, erklärte laut Haaretz, ihre Partei werde Klarstellungen zu Gantz' Entscheidung verlangen. Ihr zufolge sind mindestens drei dieser Nichtregierungsorganisationen "etabliert und bekannt (...), Ich finde es schwer zu glauben, dass sie in den Terrorismus verwickelt sind".

US-Regierung zum Handeln aufgefordert

Unterdessen verurteilten in den USA demokratische Kongressmitglieder und liberale jüdische Organisationen die Entscheidung des israelischen Verteidigungsministeriums vom Freitag.

Mehrere Abgeordnete forderten die Regierung Biden direkt auf, Druck auf Israel auszuüben, um die Entscheidung rückgängig zu machen. Auch liberale jüdische Organisationen in den USA folgten diesem Aufruf.

Die US-Regierung hatte vorgegeben, von dem Vorgehen des israelischen Verteidigungsministeriums nicht vorab in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Laut einer Quelle aus dem israelischen Sicherheitsapparat, die Haaretz vorliegt, entspricht dies jedoch nicht der Wahrheit.

In Deutschland, wo es salonfähig geworden ist, Kritik selbst an schwerwiegendsten Menschenrechtsverstößen durch den israelischen Staat und seiner Armee als "antisemitisch" zu diffamieren, bleiben selbst solch moderaten Aufforderungen noch weitgehend aus. Dabei schließt der Aufruf von Amnesty International und Human Rights Watch mit einer deutlichen Warnung:

Wie die internationale Gemeinschaft reagiert, wird ein echter Prüfstein für ihre Entschlossenheit sein, Menschenrechtsverteidiger zu schützen. Wir sind stolz darauf, mit unseren palästinensischen Partnern zusammenzuarbeiten, und das schon seit Jahrzehnten. Sie repräsentieren das Beste der globalen Zivilgesellschaft. Wir stehen an ihrer Seite, wenn es darum geht, diese ungeheuerliche Entscheidung anzufechten.