Israel-Gaza-Debatte: Fronten in Italien
Mediensplitter (50): Wenn die UN mit der Nato gleichgesetzt wird. Italien debattiert anders. Aber auch dort ist Desinformation ein Problem, beobachtet unser Autor.
Lilli Gruber ist eine italienische Journalistin aus Bozen. Sie moderiert jeden Abend von Montag bis Freitag die Fernsehsendung Otto e mezzo (Halb Neun). Das ist eine politische Informationssendung, die auf LA7 ausgestrahlt wird, einem privaten Fernsehsender, der nach Rai und Mediaset einer der wichtigsten Fernsehsender Italiens ist.
Die Guterres-Kritik
Am vergangenen Dienstag war Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit, live aus Hamburg zugeschaltet, einer der Gäste. Der Titel der Sendung lautete: "Israel beschuldigt die Uno."
Damit stand die Rede von UN-Generalsekretär António Guterres und dessen Anklage Richtung Israel im Mittelpunkt des Talks. Guterres war deutlich geworden:
Es ist wichtig zu erkennen, dass die Angriffe der Hamas nicht in einem Vakuum stattfanden. Das palästinensische Volk hat 56 Jahre lang unter einer erdrückenden Besatzung gelitten.
António Guterres
Im Studio mit Lilli Gruber war Massimo Giannini, stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung Repubblica. Seiner Auffassung nach sagte Guterres nichts anderes als das, was in diesen Tagen auch in Israel gesagt werde. Netanjahu habe ein großes Problem innerhalb seiner Regierung, hatte die italienische Presse in den letzten Tagen berichtet.
Anschließend ergriff die politische Philosophin Giorgia Serughetti das Wort. Ihrer Ansicht nach sei das, was in Gaza geschehe, eine klare Verletzung der internationalen Rechte. Ob es denn Leben gebe, die mehr oder weniger wert seien?
In der italienischen Presse war zu lesen, dass Netanjahu die Hamas mit dem neuen Nazismus gleichsetzte. Giovanni di Lorenzo erklärte, es sei schwierig, den Holocaust mit etwas anderem zu vergleichen. Richtig sei aber auch, dass dieser Anschlag die meisten jüdischen Opfer seit der Shoah gefordert habe.
Giovanni di Lorenzo: Solidarität und Kälte in Deutschland
Dann erläutert er die Situation in Deutschland und sagte, dass sich das Verhalten eindeutig von dem in vielen anderen Ländern unterscheide. In Deutschland gebe es, zumindest vonseiten der Politiker und Behörden, eine bedingungslose Solidarität mit Israel.
Laut di Lorenzo herrscht außerhalb der Politik und der Behörden nach dem 7. Oktober eine gewisse Kälte gegenüber den jüdischen Opfern, vor allem wenn man das Verhalten der einfachen Leute beobachte.
Lucio Caracciolo, Journalist und Gründer des geopolitischen Magazins Limes, antwortet auf diese Behauptungen, dass man nicht in der Geschichte kramen und vergangene Ereignisse mit den heutigen vergleichen könne.
Italien: Wie steht es mit der Empathie für Palästinenser?
Laut Massimo Giannini gibt es keine so große Kälte gegenüber Israel, aber es sei klar, dass der lange Konflikt zwischen "Palästina" und Israel immer die öffentliche Meinung und die politischen Parteien gespalten habe.
Die politische Philosophin Georgia Serughetti wies darauf hin, dass die Solidarität mit Israel auch in Italien zu spüren sei. Die Reaktion Israels sei unmittelbar gewesen und die zivilen Opfer im Gazastreifen zahlreich. Es gebe zu viele Tote. Alle Opfer, egal welcher Nationalität sie angehören, verdienten mehr Empathie.
Uno und Nato
Am nächsten Tag meldete sich in derselben Sendung Marco Travaglio, Herausgeber der Zeitung Il Fatto Quotidiano, zu Wort und wies erneut auf die Gefahr einer möglichen israelischen Invasion im Gazastreifen hin. Israel habe keinen klaren Plan. Die Israelis wüssten nicht, wie es dann weitergehen soll mit den palästinensischen Gebieten.
Travaglio zeigte sich erstaunt über die "Fehlinformationen" der italienischen Presse bezüglich der Rede von Guterres. So schrieben viele Medien, der UN-Sekretär habe den Hamas-Angriff gerechtfertigt, während er ihn stattdessen ganz klar verurteilte und die Zivilbevölkerung verteidigt habe.
Laut Travaglio verwechseln viele die Uno mit der Nato, nicht politisch interpretatorisch, sondern buchstäblich. So titelte am vergangenen Mittwoch die italienische Zeitung Libero, deren Tendenz Richtung Mitte-rechts geht, grotesk: "Uno erklärt Israel den Krieg."
Marco Travaglio stellte dazu auch die Frage, welchen Sinn eine israelische Invasion haben könnte, wenn nicht den, noch mehr Zivilisten zu töten, dabei verwies er darauf, dass nach seinem Wissen in 17 Tagen 6.000 Zivilisten zu Opfer gefallen seien, darunter 2.500 Kinder.
Auf die Nachfrage, woher die Zeitung Libero die Information mit der Kriegserklärung habe, antwortete deren Redaktionschef Mario Sechi, er habe sie in der Rede von Guterres entdecken können. An dieser Stelle muss man sich fragen, ob es in Italien wirklich um eine große Desinformation geht, wie Marco Travaglio behauptet, oder ob nicht vielmehr der Begriff Propaganda besser passt?
Am vergangenen Samstag war in der Fatto Quotidiano ein Satz des israelischen Ministerpräsidenten zu lesen: "Der Krieg wird lang und hart sein, das Gute wird gewinnen." Wer aber entscheidet, was gut und was böse ist? Netanjahu?
Rom: 20.000 pro-palästinensche Demonstranten
An diesem Tag trafen sich 20.000 Demonstranten aus ganz Italien in Rom, um an der Demonstration zur Unterstützung der Palästinenser teilzunehmen. In Frankreich sind pro-palästinensche Demonstrationen verboten. In Rom waren Sprechchöre gegen Israel zu hören, und die Menschen wiederholten lautstark: "Befreit Palästina! Schluss mit den Bomben!"
Ein von der Zeitung Repubblica veröffentlichtes Video zeigt, wie Demonstranten die israelische Flagge vom Sitz der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) entfernen.
Die der katholischen Kirche nahestehende Tageszeitung Avvenire schrieb am Samstag: "Europa rechnet mit einem Vormarsch des Antisemitismus". Am 27. Oktober hat sich Italien bei der UN-Resolution für einen Waffenstillstand im Gazastreifen der Stimme enthalten: "(…) es ist die gerechteste aller möglichen Positionen, um eine Eskalation des Konflikts zu verhindern", so Giorgia Meloni.
Vielleicht hat Giovanni di Lorenzo recht, wenn er sagt, dass die Kälte gegenüber Israel jetzt zunimmt. In Italien könnte das der Fall sein.
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