Israel-Krieg und Gaza: Wie die Moral unsere Sicht auf den Konflikt beeinflusst

Seite 2: Debatte über Israel-Krieg: Die Sicht auf Angriff und Verteidigung

Dass die Hamas am 7. Oktober Israel angegriffen hat, ist eine Tatsache, aber damit ist die Sache nicht erledigt. Mit dem Verweis auf den Angriff ist in den Augen der Moralisten auch die Schuldfrage im Konflikt geklärt und damit die Frage, für wen Partei zu ergreifen ist.

Aus der Sicht der Parteien ist die Lage jedoch nicht so eindeutig, denn Politiker oder Staatsmänner und -frauen verstehen ihre Militäraktionen so gut wie nie als Angriff, sondern immer als Verteidigung ihrer Rechte.

Während die Hamas es wohl als ihr Recht ansieht, ihr angestammtes Land zu verteidigen und einen eigenen Staat zu gründen, sieht Israel in seinen Aktionen einen Akt zum Schutz seiner Bevölkerung, auch wenn ein Teil dieser Bevölkerung dabei ihr Leben lassen muss.

Um zu entscheiden, wer als Angreifer und wer als Verteidiger anzusehen ist, wird auf den Zeitpunkt des Konfliktbeginns verwiesen, wobei dieses Kriterium nicht eindeutig ist.

Schließlich gab es bereits vor dem 7. Oktober militärische Auseinandersetzungen zwischen der Hamas und Israel. Raketen wurden auf Israel abgefeuert, Israel hat nicht nur den Gazastreifen bombardiert.

Wo will man da den Beginn des Krieges ansetzen und damit die Schuldfrage entscheiden? Bei der Gründung des Staates Israel und der damit verbundenen Massenvertreibung der Palästinenser oder beim Tempel Salomos und dem damit verbundenen Wohnrecht der Juden in Palästina?

An dieser Stelle wird deutlich, dass diese Entscheidung keine Frage der Geschichte ist, sondern eine Frage der willkürlichen Setzung oder Voreingenommenheit. Sowohl die Unterstützer Israels als auch die Unterstützer der Palästinenser wählen ihre Daten, um zu beweisen, dass ihre Seite im Recht ist und deshalb das Recht hat, andere zu töten.

So rigoros die Moral zunächst auftritt, wenn sie sich auf die Massaker vom 7. Oktober bezieht, so gnadenlos ist sie, wenn es um die Rechtfertigung der Gewalt gegen die Palästinenser geht. Wer angegriffen wird und sich verteidigt, hat demnach jedes Recht, andere zu töten.

Solidarität mit … wem?

Die Entscheidung für eine Seite geht oft mit dem Aufruf zur Solidarität mit der entsprechenden Partei einher.

Entweder wird das Schicksal der Bombardierten oder das Recht Israels auf Selbstverteidigung beschworen. Mit der Forderung nach einem palästinensischen Staat wird suggeriert, dass damit das Opferdasein der Palästinenser ein Ende hätte.

Dabei hat das Vorgehen der Hamas gezeigt, dass sie vor Opfern nicht zurückschreckt, denn die Reaktion Israels war vorhersehbar und damit viele Tote auf palästinensischer Seite. Das Staatsgründungsprogramm der Hamas geht ebenso über Leichen wie das Staatsprogramm der Israelis, die ihren Staat als unvollendet betrachten, ablesbar an der Vertreibung der Palästinenser im Westjordanland unter dem Schutz der Armee und der Bewaffnung der Siedler.

Dies zeigt sich auch in der stetigen Ausweitung der Siedlungen, die sich fast über das gesamte Westjordanland erstrecken. Zwei Staatsprogramme stehen sich gegenüber, die beide die Herrschaft über dieselbe Region beanspruchen. Hier steht Recht gegen Recht und Gewalt gegen Gewalt. Und dieser Gegensatz soll in einer Zweistaatenlösung befriedet werden?

Beide Seiten sehen in den Angehörigen der jeweils anderen Seite die Personifizierung ihres Staatsanspruchs, und so vernichtet die Hamas alle Menschen anderer Nationalität, die sich auf dem von ihr zu schaffenden Staatsterritorium aufhalten, während Israel mit seiner Strategie des Aushungerns und der flächendeckenden Bombardierung des Gazastreifens sowie der Aufforderung an Ägypten deutlich macht, dass es auf die Vertreibung oder Vernichtung derer abzielt, die einen Anspruch auf einen palästinensischen Staat erheben könnten.

In den Solidaritätsbekundungen werden beide Seiten zu Opfern erklärt, was leicht fällt, da die staatlichen Programme zu vielen Toten führen. Aus der Opferrolle folgt dann das Recht auf Gewalt gegen die andere Seite.

Ginge es wirklich um die Opfer, wäre schnell klar, dass beide Seiten ihre Bürger als Herrschaftsmaterial missbrauchen und über Leichen gehen. Man könnte leicht die Gemeinsamkeit entdecken, mit der die Politiker ihre Völker behandeln.

Die einen werden bombardiert, die anderen in Uniformen gesteckt und dürfen ihren Kopf hinhalten. Schließlich beruht jede Herrschaft darauf, dass die Untertanen ihre Pflichten erfüllen und nicht verweigern.

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