Israel-Wahl: Ergebnis eines gespaltenen Landes

Seite 2: Das politische Geschäft in Israel hat sich verändert

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Vor allem David Ben Gurion, der erste Regierungschef des Landes, trat dafür ein, den Interessenvertretungen der gesellschaftlichen Gruppierungen politisches Gehör zu garantieren. Auch der Kompromiss, dass ultraorthodoxe Juden nicht zum Militärdienst eingezogen werden, wenn sie dies nicht wünschen, geht auf ihn zurück und überdauerte die Jahrzehnte, weil sich Säkulare und Ultraorthodoxe gegenseitig nicht störten - die einen lebten hier, die anderen dort, und in der Knesseth sorgten die ultraorthodoxen Vertreter dafür, dass die moderat religiösen oder säkularen Abgeordneten daran dachten, den streng religiösen ausreichend staatliche Leistungen zur Verfügung zu stellen.

Immer wieder kamen im Laufe der Jahrzehnte Kleinparteien ins Parlament und gingen dann meist in der etablierten politischen Kraft auf, die ihren Zielsetzungen am nächsten kam. Dennoch störten die Kleinparteien die etablierten Parteien: Regierungsbildung war immer ein schwieriges Geschäft, in dem zwischen den Forderungen der einzelnen Gruppierungen Kompromisse ausgehandelt werden mussten. Daran änderte auch die Einführung einer Wahlhürde von zwei Prozent nichts.

So entfielen bei der Wahl im Januar 2013 268.797 Stimmen auf Parteien, die es nicht über die Wahlhürde schafften.Hätte es damals bereits die heute geltenden 3,25 Prozent gegeben, wären es sogar 558.347 Stimmen gewesen. Das lag vor allem daran, dass damals, kurz nach den Sozialprotesten aus der Bewegung heraus eine Reihe von Parteien entstand, die die Forderungen der Protestler aufgriffen. Denn die Protestbewegung war mitnichten homogen und umfasste Rechte wie Linke; eine der Parteien vereinte soziale Forderungen mit offenem Rassismus gegen Migranten.

Doch gegen die Reißbrettpartei Jesch Atid, sorgsam durchgeplant, und beworben, hatte keine dieser Gruppierungen eine Chance: Jesch Atid holte 19 Sitze; die anderen blieben draußen. Mittlerweile sind die einstigen Sozialprotestler sowohl zur Zionistischen Union, die viele der damaligen Köpfe des linken Teils der Bewegung auf der Liste hat, als auch zu Jesch Atid und Kulanu gewandert, während die sozial-rassistische Partei in der rechtsradikalen Jachad aufgegangen ist, auf deren Liste Baruch Marzel kandidiert, der vom Inlandsgeheimdienst Schin Beth mit der als terroristische Vereinigung eingestuften Kach-Bewegung und einer Vielzahl von Übergriffen gegen Palästinenser in Verbindung gebracht wird. Jachad verfehlte die Wahlhürde.

Netanjahus Team bereitet sich auf lange, harte Koalitionsverhandlungen vor

Das politische Geschäft in Israel hat sich also verändert, und das könnte bei der diesjährigen Regierungsbildung ein großes Problem werden: Die traditionellen Kleinparteien wollten nie ins Parlament, um dort zu bleiben; ihre Politiker wollten dies nie dauerhaft zum Beruf machen. Neue Interessenparteien wie Jesch Atid und Kulanu hingegen werden von Männern und Frauen getragen, die entweder bereits Berufspolitiker sind, oder aber dazu werden wollen.

Obwohl Netanjahu, der darauf hofft, in der kommenden Woche mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden, betont, er werde innerhalb kürzester Zeit eine rechts-religiöse Regierung bilden, bereitet man sich in seinem Team auf lange, harte und möglicherweise erfolglose Koalitionsverhandlungen vor.

Denn zwar hat der Likud mit an die 30 Sitzen ein exzellentes Ergebnis eingefahren: 2013 waren es nur 20 gewesen, die dadurch auf 31 aufgeblasen wurden, dass man in einem Wahlbündnis mit Jisrael Beitenu steckte. Doch rechts-religiös an und für sich hat selbst nur eine knappe Mehrheit, und das auch nur dann, wenn Kahlon und seine Kulanu mitspielen. Den Rechtsruck, den man aus dem Wahlergebnis heraus lesen könnte, hat es also nicht gegeben: Im Grunde sind die Mehrheitsverhältnisse zwischen den Lagern ungefähr die gleichen geblieben wie im Januar 2013.

Allerdings haben sich die Hochburgen von Links uns Rechts vertauscht: Der Likud holte eine ganze Reihe von einstigen Bastionen der Arbeitspartei, die nun in der Zionistischen Union steckt, während die ZU sich ausgerechnet dort bediente, wo die Rechte früher besonders stark war, und das vor allem in den Kommunen in der Nähe zum Gazastreifen: Dort wirft man vor allem Netanjahu vor, er kümmere sich nicht genug um die Bedürfnisse der Menschen dort, interessiere sich mehr für den Iran, als für die Hamas.

Die Maximalgröße des Kabinetts ist zum ersten Mal begrenzt

Mosche Kahlon indes wollte auch Donnerstag morgen noch nicht sagen, ob er Netanjahu am Sonntag empfehlen wird, wenn der Präsident bei den Spitzenkandidaten die Empfehlungen für den Auftrag zur Regierungsbildung abfragen wird. Er wolle in eine Regierung, die vor allem eine sozio-ökonomische Agenda verfolgt. Will heißen: Er will die Lebenshaltungskosten senken, und zwar durch Marktregulierungen. Außerdem will er den Posten des Finanz- oder des Wirtschaftsministers für sich selbst.

Das Problem in den Verhandlungen besteht darin, dass die ultraorthodoxen Parteien gleichzeitig umfassende Investitionen in die Infrastruktur in ihren Hochburgen und Sozialleistungen für ihre Wählerschaft verlangen werden, während die Siedlerpartei Jüdisches Heim kostenintensive Baumaßnahmen in Siedlungen verlangen werden. Und alle diese Parteien werden Ministerposten haben wollen, und zwar nicht irgendwelche, sondern richtig wichtige.

Die Maximalgröße des Kabinetts ist aber zum ersten Mal begrenzt, die Jahrzehnte lang gerne eingesetzte Vergabe von Ministerposten ohne Aufgabenbereich aber mit gleichem Gehalt, oder von völlig sinnlosen, aber gut dotierten Titeln wie "Vize-Premierminister" oder "stellvertretender Minister" sind mittlerweile untersagt, um die Kosten zu begrenzen. So war in einer 2003 von Ariel Scharon geführten Regierung ein Viertel der Knesseth und etwas weniger als die Hälfte der Koalition Regierungsmitglied.

Dementsprechend hat Netanjahu nun zwei Dinge nicht unendlich zur Verfügung: Posten und Geld, um sämtliche Forderungen zu erfüllen. Darüber hinaus kann bis auf Avigdor Liebermanns Jisrael Beitenu jeder einzelne Verhandlungspartner die Verhandlungsbemühungen jederzeit zum Scheitern bringen, denn wenn auch nur eine einzige abspringt, wird es für die Mehrheit nicht reichen.