Israel verstehen

Israel und Palästina im Konflikt

Die einen fordern unbedingte Unterstützung. Die anderen prangern Unterdrückung an. Israel polarisiert. Ein Essay zur Frage, was diesen Staat umtreibt.

Im aktuellen Gemetzel zwischen der palästinensischen Hamas und Israel wird die Schuldfrage ausgiebig gewälzt.

Im Wesentlichen stehen sich zwei Lager gegenüber. Das eine schiebt die Schuld der Hamas zu. Die habe schließlich am 7. Oktober mit ihrem Terror-Angriff auf den Süden Israels angefangen. Und sie habe dabei furchtbare Gewalttaten begangen. Also habe Israel alles Recht, sich zu wehren.

Das andere Lager bestreitet nicht den Angriff und das brutale Vorgehen der Hamas. Aber es verurteilt den Überfall nicht, ohne auf die Mitschuld Israels zu verweisen.

Dieser Staat habe die Palästinenser aus ihrem Land vertrieben, drangsaliere dieses Volk und verweigere ihm einen eigenen Staat. Und in Gaza sei die Lage verzweifelt, weil Israel jegliche Entwicklung blockiere.

Eine solche Art der Debatte kann endlos so weitergehen und führt zu heftigsten wechselseitigen moralischen Anschuldigungen. Die einen schütteln empört und verständnislos den Kopf.

Wie kann man angesichts der Morde, Vergewaltigungen, Erniedrigungen und Entführungen durch die Hamas-Terroristen nicht umstandslos und mit aller Macht dem israelischen Staat beipflichten und ihm beistehen in seiner Gegenwehr?

Die anderen verweisen auf die Vorgeschichte der Vertreibung der Palästinenser und deren ausweglose Lage, verursacht durch Israel. Und dass die israelische Armee bei ihrem Vorgehen gegen die Hamas Völkerrecht verletzt, Zivilisten tötet.

Polarisieren statt Verstehen

Nun hat es sich seit dem Ukraine-Krieg hierzulande in der öffentlichen Debatte durchgesetzt, in der das Verstehenwollen, warum Staaten aufeinander losgehen, unterbunden wird. Was verstanden werden soll, wird umstandslos als ein Verständnis für eine Seite an den Pranger gestellt. Gefragt sind keine Erklärungen, sondern Verurteilungen – gegen den richtigen, den "bösen" Staat, versteht sich.

Im Falle des Kriegs im Gaza-Streifen handelt es sich zwar bei einer Partei nicht um einen Staat, sondern um eine Organisation, die mit Terror einen Staat zu erzwingen versucht. Aber auch und gerade eine solche kann und darf man in ihren Gründen für ihre Gewalt nicht verstehen wollen.

Was man aber sicher tun darf, geradezu soll: Israel verstehen. Versuchen wir es also. Ein billigendes Verständnis für diesen Staat wird dabei wohl nicht herauskommen, so viel sei hier bereits verraten. Wohl aber eine Erklärung, was ihn zu all seinen Taten bis heute bewogen hat und weiter bewegen wird.

Existenzrecht: Wird nicht verliehen, sondern mit Gewalt durchgesetzt

Israel begründet seine seit seiner Gründung stets umfangreichen Rüstungsanstrengungen nebst zahlreicher Kriege und Militäraktionen mit der Verteidigung seines Existenzrechts.

Zum einen gibt es dieses Recht. Es genießen laut Völkerrecht alle von den Vereinten Nationen (Uno) als Völkerrechtssubjekte anerkannten Staaten. Jeder Staat kann sich darauf berufen und vor der Uno Klage gegen die Verletzung dieses Rechts einlegen.

Das nahm beispielsweise Kuwait 1990 in Anspruch: Der Irak mit Saddam Hussein an der Spitze war in das Land einmarschiert. Im fatalen Irrtum, dass diese Eroberung nicht gegen die US-amerikanischen Vorstellungen der Ordnung in der Region liefe, sondern geduldet würde.

Kuwait existiert noch, weil die Gewalt Iraks nicht reichte

So handelte sich der Irak einen Krieg unter Führung der USA ein, abgesegnet durch eine einschlägige Resolution der UNO. Ohne diese massive Intervention wäre das Existenzrecht Kuwaits keinen Pfifferling mehr wert gewesen.

Dies bedeutet: Zum anderen hat dieses Recht keine Wirkung, wenn sich der betreffende Staat nicht mit genügender Gewalt als Souverän über Land und Volk behaupten kann – oder, wie im Fall Kuwait, keine mächtigen Staaten hinter sich weiß, die sein Existenzrecht mit überlegener Gewalt verteidigen.

Ob Jugoslawien, Irak oder Ukraine, um nur einige Fälle der jüngeren Geschichte zu nennen: Deren Existenzrechte interessieren nicht, wenn andere Herrschaften sie zerstören wollen – und dies können. Und sich für sie keine ebenbürtigen Herrschaften dagegen einsetzen.

Israel hat den Widerstand seiner Nachbarn gebrochen

Die Bestreitung der Souveränität ist eben schlicht eine Frage der Gewalt: Kann sich der betreffende Staat dem erwehren oder muss er kapitulieren? Das betrifft sowohl Angriffe anderer Nationen auf einen existierenden Staat als auch wenn ein Staat sich gründet.

In beiden Fällen hat sich Israel behauptet, sein Existenzrecht durchgesetzt. Bei seiner Gründung vertrieben jüdische Siedler die arabischen Bewohner von ihrem Land, unter Anwendung von Gewalt. Den daraus folgenden Widerstand hat Israel in mehreren Kriegen gegen die Nachbarstaaten gebrochen, ging daraus dank überragender Militärmacht stets als Sieger hervor.

De facto plant kein arabischer Staat mehr, Israel anzugreifen. Ägypten und Jordanien haben sich mit der jüdischen Nation arrangiert, Libanon und Syrien sind zu zerstört und entsprechend mit sich selbst beschäftigt, als dass sie in dieser Hinsicht etwas vorhaben könnten oder wollten. Auch Saudi-Arabien nähert sich Israel an.

PLO erkennt Israel im Osloer Abkommen an

Iran unterstützt zwar die Hisbollah im Süden Libanons bei ihren Attacken auf Israel, belässt es aber dabei. Man hat genug zu tun mit den Sanktionen des Westens gegen das eigene Atomprogramm und mit dem Ringen um die regionale Vorherrschaft gegen Saudi-Arabien. Und der Irak ist seit den US-amerikanischen Golfkriegen ein staatlicher Torso, der außenpolitisch keine Rolle mehr spielen kann.

Vonseiten der weltweit mächtigsten Staaten hat Israel ebenfalls nichts zu befürchten, im Gegenteil. Die USA stehen seit Langem fest an seiner Seite, im Schlepptau die Partner des westlichen Lagers, allen voran Deutschland. Russland und China erkennen Israel als Staat an und bekunden desgleichen, seine Existenz nicht infrage zu stellen.

Insgesamt 160 Staaten haben Israel anerkannt. Im übrigen auch die palästinensische Befreiungsorganisation PLO, im Zuge des Osloer Abkommens von 1993. Unter den rund 30 Staaten, die Israel nicht anerkennen, sind keine Nationen, die gegen den Staat feindlich vorgehen.

Israels Existenz ist nicht in Gefahr – aber das ist Israel zu wenig

Doch es gibt eben noch die erwähnte Hisbollah und die Hamas, die im Gaza-Streifen regiert. Beide Organisationen bestreiten das Existenzrecht Israels und greifen Land und Leute an. In der Regel mit Raketen, da sie militärisch zu einer Auseinandersetzung mit den jüdischen Streitkräften nicht in der Lage sind.

Aber am 7. Oktober überfiel die Hamas den Süden Israels, tötete circa 1.200 Menschen, verletzte rund 5.400 und entführte mehr als 200 israelische Bürger.

Furchtbar für alle Betroffenen, sicher. Die Existenz des Staates Israel wird dadurch jedoch nicht gefährdet. Wie sollte dies auch gehen? Weder Hamas noch Hisbollah verfügen über die Mittel, den jüdischen Staat zu besiegen und damit an seiner statt einen Staat der Palästinenser zu gründen.

Wenn trotzdem Israel – und die ihm zur Seite stehenden Nationen – sein Existenzrecht dadurch so enorm bedroht sieht, dass es den Gaza-Streifen mitsamt der Hamas zerbombt, geht es offenbar um etwas sehr Prinzipielles. Welches sich von der realen Bedrohung emanzipiert.

Eine Nation überschreitet die Grenze einer anderen Nation, ihre Soldaten besetzen das Territorium und bringen das dortige Volk unter ihre Gewalt. Mit dieser Grenzverletzung wird dem angegriffenen Staat seine Herrschaft über Land und Leute entrissen.

Schließlich bezeichnen die Grenzen den Bereich, in dem der betreffende Staat der Souverän ist. Wer diese Grenzen infrage stellt, praktisch, aber auch theoretisch, rührt damit an der Existenz der herrschenden Gewalt.

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