Ist Boris Pistorius jetzt ein Kriegsminister?
Deutschland müsse "kriegstüchtig" werden, heißt es. Warum das mit unserem Nachkriegskonsens bricht. Ein Kommentar über Lehren der Geschichte und Irrwege der Gegenwart.
"Wir müssen kriegstüchtig werden", sagte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) unlängst. Heribert Prantl erinnerte daraufhin in der Süddeutschen Zeitung daran, dass derselbe Politiker früher als Oberbürgermeister von Osnabrück alle zwei Jahre einen Friedenspreis verliehen hat.
Das deutsche Grundgesetz, das internationale Völkerrecht und die Erklärung der Menschenrechte fordern Frieden als Basis aller Politik. In der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es:
Da die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt, bildet (…) verkündet die Generalversammlung diese allgemeine Erklärung der Menschenrechte.
Menschenrechte bedeuten also die Herrschaft des Rechts, nicht die des Terrors, der Gewalt oder des Kriegs.
Hat der deutsche Verteidigungsminister mit seiner Forderung, Deutschland müsse "kriegstüchtig" werden, gegen diese Allgemeinen Menschenrechte und gegen das Grundgesetz verstoßen?
Das ist keine banale, sondern eine zentrale und grundsätzliche Frage.
Nicht nur auf Grund unserer Geschichte steht Deutschland im neuen Nahostkrieg an der Seite Israels und im Ukraine-Krieg an der Seite der von Putin überfallenen Ukraine. Sowohl die Ukraine wie auch Israel haben das Recht zu ihrer Verteidigung und damit das Völkerrecht auf ihrer Seite.
Zugleich war die deutsche Grundüberzeugung des "Nie wieder" immer auch universalistisch gemeint. Das heißt aber auch: Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen. Die Bundeswehr ist ausschließlich zur Verteidigung da. Das schließt Hilfe zur Verteidigung befreundeter Staaten nicht aus.
Aber deshalb "kriegstüchtig"?
Wird nun der deutsche Verteidigungsminister ein "Kriegsminister"?
"Kriegstüchtigkeit ist etwas anderes als Verteidigungstüchtigkeit", schreibt Heribert Prantl zu Recht. Kriegstüchtigkeit ist dem altrömischen Denken und Handeln verhaftet: "Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor".
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Das neue Denken nach zwei Weltkriegen und im Atombomben-Zeitalter kann nur heißen: "Wenn du Frieden willst, bereite den Frieden vor".
Selbst US-Präsident Joe Biden empfiehlt den Israelis jetzt, die alten Rache-Fehler der USA im Irak und in Afghanistan nach dem 11. September 2001 nicht zu wiederholen. Soll heißen: Sowohl der Ukrainekrieg wie der Nahostkrieg lassen sich allein mit Gewalt nicht gewinnen.
Wer ernsthaft und nachhaltig Frieden will, muss auch über diplomatische und politische Lösungen nachdenken und darüber verhandeln, wie es die USA und auch einige arabische Regierungen jetzt tun.
Wir müssen endlich lernen, nicht mehr Kriege zu gewinnen, sondern den Frieden.
Das Leben der über 200 israelischen Geiseln kann nicht durch brutale Gewalt gerettet werden. Das Töten israelischer Babys ist eine ebensolche Menschenrechtsverletzung wie das Töten palästinensischer Babys.
Die Bundesregierung sollte sich gerade jetzt an das grundsätzliche "Nie wieder" erinnern und in beiden Kriegen auf das Völkerrecht und die Menschenrechte bestehen und auf Verhandlungen drängen. Deutschland muss auf die universellen Regeln drängen: gegenüber der Hamas, aber auch gegenüber dem israelischen Militär. Die Alternative ist das alte Denken, die alte Kriegs- und Rachelogik und das Recht des Stärkeren.
Im Nahostkonflikt werfen die Vereinten Nationen bereits beiden Seiten "Kriegsverbrechen" vor. Umso wichtiger ist, dass Deutschland auch jetzt friedensfähig bleibt und nicht "kriegstüchtig" wird. Boris Pistorius sollte sich eindeutig korrigieren.
Zur Friedenstüchtigkeit gehört, dass neben der Verteidigung die Diplomatie eine zentrale Rolle für einen Waffenstillstand und einen raschen Friedensschluss spielen muss.
Deutschland sollte in beiden Kriegen für eine Friedenstüchtigkeit aktiv werben, damit weder die Ukraine noch Gaza weiterhin ein Massengrab bleiben.
Die Lehre aus dem Holocaust wie aus allen Kriegen heißt: Die bedingungslose Verteidigung der Menschenrechte und Lebensrechte aller Menschen. Wenn Russland in der Ukraine den Menschen Wasser, Nahrung, Energie und Medikamente sperrt, ist das ebenso inhuman wie wenn die derzeitige israelische Regierung dasselbe mit den gut zwei Millionen Palästinensern im Gazastreifen tut.
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