Ist das Ukraine-Drama bald zu Ende?

Putin rechtfertigte in seiner TV-Bürgersprechstunde das militärische Eingreifen Russlands auf der Krim und schließt eine Intervention in der Ostukraine nicht aus. Auch Edward Snowden durfte in Putins TV-Sprechstunde eine Frage stellen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die mit Spannung erwarteten Verhandlungen in Genf zwischen Vertretern der EU, Russlands, der USA und der Ukraine endeten überraschend mit einem Konsens-Papier, das die ukrainischen Konfliktparteien aufruft, ungesetzliche Einheiten zu entwaffnen, alle besetzten Gebäude zu räumen und sich an den Verhandlungstisch zu setzen (Die gemeinsame Erklärung - ein Durchbruch?). Moskau sieht es positiv, dass die USA und die EU an einer Kooperation mit Russland bei der Überwindung der Ukraine-Krise aufrichtig interessiert seien.

Ob die gemeinsame Erklärung von Genf auch umgesetzt wird - besetzte Gebäude müssten nicht nur in Donezk, sondern auch in Kiew geräumt werden - muss sich jetzt zeigen. Der letzte, am 21. Februar bei Verhandlungen erzielte Kompromiss - an dessen Ausarbeitung drei Außenminister der EU beteiligt waren -, wurde von den Anhängern der damaligen ukrainischen Opposition ignoriert (Ukraine: Opposition und Regierung einigen sich). Die Opposition ergriff die Macht im Staat, anstatt wie im damaligen Kompromiss-Papier gefordert zunächst das Blutbad auf dem Maidan zu untersuchen, eine Verfassungsreform und Präsidentschafts-Neuwahlen zum Jahresende vorzubereiten.

Russlands Präsident kritisiert "Show-Dialog"

In seiner am Freitag abgehaltenen Bürgersprechstunde, die von russischen Fernsehkanälen live übertragen wurde, bezeichnete Wladimir Putin die Entsendung von Panzern und Militärflugzeugen in die Ostukraine als "Verbrechen". Russland werde alles tun, um die Rechte der russischsprachigen Minderheit in der Ukraine zu schützen. Eine Militärintervention wollte der russische Präsident nicht ausschließen. Der russische Föderationsrat habe ihm ein Mandat für die Entsendung von Truppen gegeben. Putin erklärte: "Ich hoffe sehr, dass ich nicht gezwungen bin, dieses Recht zu nutzen, und dass es gelingt, die scharfen, um nicht zu sagen schärfsten Probleme der heutigen Ukraine mit politisch-diplomatischen Mitteln zu lösen."

Die Meldungen, in der Ost-Ukraine würden sich bereits russischen Soldaten, Instrukteure und Vertreter der russischen Dienste aufhalten, bezeichnete der russische Präsident als "Unsinn". Die Menschen die dort demonstrierten, seien "alle Anwohner", die bezeichnender Weise auch keine Masken tragen.

Putin erklärte, Russland habe "nicht geplant, die Krim zu annektieren". Man sei bereit gewesen, "Beziehungen aufzubauen, ausgehend von den geopolitischen Realitäten". Die Risiken hätten aber darin bestanden, dass "die Drohungen gegenüber Russen und der russischsprachigen Bevölkerung konkret und wahrnehmbar waren". Die Entscheidung Russlands bezüglich der Krim hing nach Putin auch mit der Gefahr zusammen, dass die Ukraine Mitglied der Nato werde: "Wenn sich militärische Infrastruktur unseren Grenzen nähert, müssen wir Gegenmaßnahmen ergreifen." Wenn die Nato nach einem Beitritt der Ukraine zur westlichen Militärallianz Truppen auf der Krim stationiert worden hätte, wäre Russland "aus dem Schwarzmeer-Raum verdrängt worden".

Putin in der traditionellen TV-Fragestunde. Bild: Kreml

Jetzt ist es offiziell: Grüne Männchen waren russische Soldaten

Der Kreml-Chef gestand erstmals öffentlich ein, dass es sich bei den "grünen Männchen" ohne Hoheitsabzeichen, die auf der Krim mit Waffen den Machtwechsel auf der Halbinsel begleitet hatten, um russische Soldaten handelte. Die Soldaten hätten "hinter" den Selbstverteidigungskräften der Krim gestanden. Der Einsatz der Soldaten sei nötig gewesen, damit es bei dem Referendum auf der Krim nicht zu militärischen Störmanövern von nationalistischen Ukrainern kam, begründet der russische Präsident das Vorgehen.

Putin erklärte, es sei äußerst wichtig, dass es zu einem Dialog zwischen der Macht in Kiew und der Ost-Ukraine komme. Dabei gehe es nicht um einen "Schau-Dialog" sondern um "die Suche nach echten Kompromissen". Vertreter der neuen Macht in Kiew würden zwar in die Ost-Ukraine reisen, sich dort aber nur mit ihren eigenen Anhängern treffen. Stattdessen müssten sich die Vertreter der Regierung in Kiew mit den Menschen in der Ost-Ukraine treffen, "denen das Volk vertraut".

Kritisch äußerte sich der Kreml-Chef zu dem nach Russland geflohenen ehemaligen ukrainischen Präsidenten, Viktor Janukowitsch. Dass dieser Kiew in der Nacht auf den 22. Februar verlassen und eine Einheit des Innenministeriums aus Kiew abgezogen habe, sei "nicht professionell" gewesen. Das habe der anderen Seite ermöglicht, einen Staatsstreich durchzuführen. Der russische Präsident erklärte, die Spezialeinheit Berkut haben ihren Dienst "sehr professionell" ausgeführt. Dass man diese Polizisten in Kiew jetzt erniedrige und ihnen in den Krankenhäusern kein Essen mehr gebe, sei nicht zulässig.

In vier Wochen muss die Ukraine russisches Gas gegen Vorkasse bezahlen

Wladimir Putin erklärte, man werde brachliegende wirtschaftliche Potentiale der Krim nutzen, den Tourismus und die Landwirtschaft entwickeln und den ungesetzlichen Bau von Villen auf der Halbinsel stoppen. Bis zu einer Summe von 700.000 Rubeln (14.000 Euro) garantiere Russland für die Spareinlagen, welche Bewohner der Krim bei ukrainischen Banken haben. Um die Krim in den russischen Staat einzugliedern und die Versorgungsstränge - Energie, Wasser und Verkehr - an Russland anzuschließen, kommen auf Russland Riesensummen zu. Doch bisher gibt es deshalb in Russland nur sehr leises Murren.

Gegenüber der Ukraine, welche Gasrechnungen gegenüber Russland nicht bezahlt hat, kündigt Putin ein hartes Vorgehen an. Wenn Kiew in einem Monat die Rechnungen nicht bezahlt habe, werde Russland Gas nur noch gegen Vorkasse liefern. Putin wollte nicht ausschließen, dass es in diesem Fall zu Störungen beim Gas-Transit nach Europa kommt. Offenbar rechnet der russische Präsident damit, dass die Ukraine bei Zahlung gegen Vorkasse die Transit-Gas-Leitungen - wie in der Vergangenheit schon geschehen - anzapft.

Bild: Kreml

"Reicht Ihnen die Mehrheit oder wollen sie einen Konsens?"

Eine kritische Frage kam während der TV-Sprechstunde des Präsidenten vom Chefredakteur der Nesawisimaja Gaseta, Konstantin Reschetnikow. Der beklagte, dass sich in der russischen Gesellschaft seit der Krise in der Ukraine eine Stimmung breit mache, bei der die Bürger zwischen "uns und den Anderen" unterscheiden. Unter "den Anderen" versteht man in Russland alle, welche die offizielle russische Position nicht teilen. Dabei sei für Russland die Beziehung und der Austausch mit dem Westen "ein unverzichtbarer Bestandteil der Zivilisation", meinte der Chefredakteur, der zum liberal-konservativen Flügel der Moskauer Elite gehört. Von Putin wollte der Chefredakteur wissen, ob es ihm reiche, wenn er "die Mehrheit" der Bevölkerung hinter sich wisse oder ob er für seine Entscheidungen einen "Konsens" brauche. Der Chefredakteur spielte darauf an, dass es nicht gut ist, wenn der Präsident mit seiner Politik gegenüber der Ukraine Teile der liberalen Mittelschicht in Russland übergeht.

Putin antwortete, dass er sich immer andere Meinungen anhöre, weil das oft sehr nützlich sei. Oft finde man in anderen Meinungen auch Wahrheit. Ja, und auch das Verhältnis zum Westen sei ihm wichtig. Allerdings könne man nicht erlauben, dass Russland "wegen der guten Beziehungen" zum Westen "immer Kompromisse machen muss". Man habe Russland jetzt "in eine Situation gedrängt, wo wir keinen Schritt zurück mehr machen können".

Snowden fragte Putin nach Abhörmaßnahmen in Russland

In Putins Fernsehsprechstunde kam überraschend auch Edward Snowden zu Wort. In einer Video-live-Zuschaltung fragte Snowden, ob es in Russland Massenabhörungen so wie in den USA gebe. Dort würden Millionen Menschen abgehört, obwohl bekannt sei, dass Massenabhörungen im Kampf gegen den Terrorismus keinen Wert haben. Der englische O-Ton von Snowden wurde während der Übertragung nicht übersetzt. Der Moderator der Präsidenten-Sprechstunde fasste die Frage von Snowden nochmal zusammen, da Putin erklärte, das amerikanische unterscheide sich doch sehr vom britischen Englisch.

Putin, der auf die Snowden-Frage vermutlich vorbereitet war, kostete den Moment sichtlich aus. "Sehr geehrter Herr Snowden. Sie sind ehemaliger Agent. Und ich hatte Beziehungen zum Geheimdienst. Wir können uns also als Profis unterhalten." Das Studio-Publikum lachte amüsiert. In Russland - so der Kreml-Chef - seien Abhörmaßnahmen nur nach Gerichtsbeschluss möglich. "Massenabhörungen ohne Kontrolle" seien nicht erlaubt. Russland habe auch gar nicht so viel Geld "wie die USA", um ein massenhaftes Abhören durchzuführen.

Putin will kritischen Kabel-Kanal "Doschd" aus der Mangel nehmen

Wie schon nach seiner letzten Pressekonferenz im Dezember, als Putin die Freilassung von Michail Chodorkowski bekanntgegeben hatte, gab es auch diesmal nach Ende der Bürgersprechstunde wieder eine Überraschung. Putin erklärte gegenüber Journalisten, die Aufsichtsbehörden würden die verstärkten Kontrollmaßnahmen, denen der kritische Kabel-Kanal Doschd in den letzten Monaten ausgesetzt war, einstellen. Doschd sei ein "interessanter Kanal", erklärte der Kreml-Chef. Die Fehler, die der Fernsehkanal gemacht habe, seien von der Redaktion des Kanals eingestanden worden. Am vergangenen Wochenende hatten in Moskau 5.000 Menschen für die Pressefreiheit und gegen die Repressionen gegen den Kanal Doschd demonstriert.

Angeblicher ukrainischer Einreisestopp für Russen im wehrfähigen Alter

Kaum war die TV-Sprechstunde von Putin zu Ende, berichteten russische Medien über eine weitere Verschärfung im Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine. Der ukrainische Grenzschutz erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax, russische Männer im Alter zwischen 16 und 60 Jahren dürften nur noch in Begleitung ihrer Kinder in die Ukraine einreisen. Die Maßnahme wurde mit dem Schutz vor Terror begründet.

Die Fluggesellschaft Aeroflot bestätigte, dass eine entsprechende Anweisung des ukrainischen Grenzschutzes vorliegt. Ein Vertreter des ukrainischen Grenzschutzes wollte den generellen Einreisestopp gegenüber Russen im wehrfähigen Alter gegenüber einer Moskauer Radiostation jedoch nicht bestätigen.

Bereits vor einer Woche hatte der ukrainische Grenzschutz bekanntgegeben, dass in den letzten Wochen 12.000 Männer aus Russland, die in die Ukraine einreisen wollten, von den Grenzbeamten zurückgewiesen worden seien. Die russische Regierungszeitung Rossiskaja Gazeta hatte berichtet, dass russische Journalisten oftmals nur noch getarnt als Teilnehmer angeblicher Wirtschaftsseminare in die Ukraine einreisen können. In den sozialen Medien berichteten männliche Russen, die auf Dienstreise in die Ukraine unterwegs waren, sie seien vom ukrainischen Geheimdienst peinlichst nach Ziel und Zweck der Reise befragt worden.

ukraine.htm