Ist die Wissenschaft wirklich in Gefahr?

Seite 2: Der Vorwurf der alternativen Fakten

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Wenn nun in manchen Erklärungen rund um die Märsche der Wissenschaft alternative Fakten so knapp abgewatscht werden, sollte nicht vergessen werden, dass lange vor Trump und seiner Berater die Postmoderne daran ihre Freude gehabt hätte. In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren, als sich die Linke mehrheitlich in eine Alternativbewegung transformiert hatte, hatte praktisch jede dieser alternativen Zusammenhänge zu diesem und jenen ihre alterativen Fakten.

Die gesamte Szene war geprägt durch eine teilweise fast schon Hass zu nennenden Abneigung gegen die Welt der Wissenschaft, ihren Gesetzen und Wahrheiten. Dagegen propagierte die Alternativwelt das Primat ihrer eigenen Erfahrungen und verbreitete in der bis Mitte der 1980er Jahren nicht einflusslosen Alternativpresse und Alternativdruckereien jede Menge alternative Fakten.

Es wäre eigentlich ein redliches Unterfangen daran zu erinnern und diese Phase nicht einfach auszublenden. Zumindest in der Taz wurde kürzlich in einem Beitrag sehr anschaulich und mit vielen Fakten daran erinnert, dass das Copyright für den Lügenpressebegriff in den 1970er Jahre ebenfalls bei der Alternativbewegung, die taz ja gerade auch deshalb gründeten, um ein Medien für die unterdrückten Nachrichten zu haben.

In dem Beitrag wurde auch deutlich, dass Vorwürfe der damaligen Alternativbewegung keineswegs aus der Luft gegriffen waren sondern ihr Realitätsgehalt in den damaligen politischen Verhältnissen zu finden ist. Schwieriger ist die Beurteilung der Wissenschaftskritik. Aber auch dabei sollte nicht übersehen werden, dass es auch dazu führte, dass Großtechnologien wie die AKW-Wirtschaft damit grundsätzlich hinterfragt werden konnten.

Denn eine völlig unkritische AKW-Bejubelung gehörte in den 1970er Jahren noch zum Konsens großer Teile von Politik, Gewerkschaften und Wissenschaft. Es war eine neue Generation von Wissenschaftlern, die sich mit der Propagierung von möglichst vielen und allen zugänglichen Becquerels-Messgeräten von einen Wissenschaftsbild verabschiedete, dass im Grunde religionsähnlich funktionierte und unhinterfragte Wissenschaftskoryphäen die Rolle von Priestern spielen.

Was kann emanzipatorische Wissenschaft heute sein?

Eine Rückkehr zu einem solchen Wissenschaftsbild wäre keineswegs emanzipatorisch. Sie würde vielmehr einem technizistischen Weltbild Vorschub leisten, in dem nicht mehr um Politik gestritten wird. Statt essen soll mit dem Verweis auf Wissenschaft und Naturgesetze eine komplizierte Welt wieder beherrschbar gemacht werden. Nur sollten nicht mehr Politiker sondern Wissenschaftler für die Ordnung der Dinge zuständig sein.

Das Genethische Netzwerk verteilte auf den Märschen Flyer, auf denen diese Errungenschaften einer Wissenschaftskritik aufgegriffen wurden und ein neues Wissenschaftsbild gefordert wurde.

Nur um bei der Frage der Klimaveränderung zu bleiben. Sicher könnte da die Wissenschaft eine Rolle spielten, bei der Beurteilung der verschiedenen Effekte. Doch die Diskussion über den Umgang und die gesellschaftlichen und politische Konsequenzen einer Klimaveränderung sind keine Fragen der Wissenschaft. Es sind gesellschaftliche Fragen und sie gehören auch genau dorthin.

Es wäre eigentlich an der Zeit, die Errungenschaft der modernen Technik gerade auf dem Gebiet der Kommunikation zu nutzen, um die große Debatte zu führen, wie wir mit den Veränderungen umgehen, die als Klimaveränderungen beschrieben werden. Dabei sollten wir uns zunächst von den leicht apokalyptischen Untertönen freimachen, die diese Debatte längst hat. Nein, es ist nicht ausgemacht, dass hier nur über Verzichtsdiskurse geredet wird.

Es könnte auch darüber diskutiert werden, ob wir im 21. Jahrhundert nicht Getreide anbauen können, das auf die neuen Klimabedingungen besonders gut anspricht. Ob wir nicht die neuen Klimabedingungen überhaupt zur Grundlage nehmen für ein schönes Leben auf der Erde. Erzeugung von Regengebieten würden ebenso dazu gehören, wie andere Wetterphänomene. Die Frage wäre, ist ein solches Szenario aktuell oder nur kurz- oder mittelfristig überhaupt vorstellbar oder fallen sie unter die Rubrik Klima Dystopien?