Italien streikt gegen Sparpaket

Die Frage ist nur, gegen welches Paket gestreikt wurde, weil Berlusconi es immer wieder aufschnürt

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Es war länger (einigermaßen) ruhig in Italien, nach dem letzten Generalstreik vor gut einem Jahr. Nun hatten die großen Gewerkschaften erneut zum Generalstreik aufgerufen, um gegen das Sparprogramm der Regierung unter Silvio Berlusconi zu protestieren. Im Senat hatten am Dienstag die Beratungen über die Pläne begonnen, als die Streikenden das Land weitgehend lahmgelegt haben. In mehr als 100 Städten gingen hunderttausende Menschen auf die Straße. Der Eiertanz um die sogenannte "Reichensteuer" ging in die nächste Runde, die jetzt doch (symbolisch) eingeführt wird. Die fehlenden Milliarden sollen über die Erhöhung der Mehrwertsteuer finanziert werden und auch Italien will nun eine Schuldenbremse in die Verfassung schreiben.

Kommt der italienische Sparplan oder kommt er nicht? Das war stets die Frage. Und wenn er kommt, in welcher Höhe soll eigentlich wo gespart und wie soll die Einnahmeseite verbessert werden? So genau weiß das die Regierung unter Chaos-Berlusconi wohl selbst nicht. So hatte Berlusconi erst im August weltweit für einen neuen Börsencrash gesorgt, nachdem er in einer seiner wenigen Reden an die Nation praktisch nichts gesagt hat. Er widerholte nur erneut, dass in Zukunft (nach den Wahlen im kommenden Jahr) irgendwie gespart werden soll (Chaos-Berlusconi sorgt für Börsen-Crashs in Europa).

Statt die Finanzmärkte zu beruhigen, an denen die Zinsen für italienische Anleihen auf immer gefährlichere Höhen gestiegen waren, erreichte Don Silvio genau das Gegenteil. Die Zinsen stiegen immer deutlicher in Richtung der gefährlichen Marke von 7% an, an der Griechenland, Irland und Portugal abgestürzt sind. Für Italien wird die Lage aber noch schneller sehr gefährlich, da das Land mit seiner enormen Staatsverschuldung seit vielen Jahren an der Spitze stand und erst in der Krise von Griechenland überholt worden ist. Mit 119% liegt das Land weiter abgeschlagen hinter Griechenland an zweiter Stelle. Es hat fast doppelt so hohe Schulden im Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung wie Spanien.

Getrieben von den Märkten kündigte Berlusconi schließlich im allgemein hektischen Sommer-Aktionismus dann doch noch seine verstärkten Sparbemühungen an. So sollte schon früher damit begonnen werden, 45 Milliarden Euro einzusparen, um 2013 kein Defizit mehr auszuweisen. Das war die Voraussetzung für die massiven Interventionen der Europäischen Zentralbank (EZB), die immer stärker auch spanische und italienische Staatsanleihen aufkauft, um die Zinsen niedriger zu halten.

Symbolische Reichensteuer

Doch seither greift das Chaos von Rom wieder so richtig um sich. In vier Wochen wurde das Sparpaket insgesamt drei Mal aufgeschnürt und es wurde immer unklarer, woher die Einsparungen und Einnahmeerhöhungen überhaupt kommen sollen. Italienische Medien beziffern die unklaren Posten auf bis zu 20 Milliarden Euro, also fast die Hälfte des gesamten Pakets. Dafür führte Berlusconi wieder einmal die nebulöse Bekämpfung von Steuerhinterziehung an. Wieder einmal hat er aber nicht erklärt, mit welchen Maßnahmen er das Geld in die Kassen spülen will.

Dafür wurden weitere Posten unklarer. Besonders deutlich wird der gesamte Eiertanz der Chaos-Regierung um die "Reichensteuer". Angekündigt hatte Berlusconi die populistische Sondersteuer von 5-10% für Einkommen von mehr als 90.000 Euro im Jahr. Da sogar die Millionenkicker in den Fußball-Clubs gegen die Steuer gestreikt haben, wurde sie sogleich, wie andere Maßnahmen, wieder aus dem Paket gestrichen (Auf und ab um die Reichensteuer), nachdem der erste Spieltag der Saison ausgefallen war.

Nun ist die Steuer doch wieder da. Doch nach französischem Vorbild soll sie nur noch symbolisch ausfallen und eher Geld in homöopathischen Dosen in die Staatskassen sickern lassen. Wie in Paris will nun auch Rom nur noch 3% auf Einkommen von einer halben Million im Jahr erheben, gab die Regierung nun am Dienstag bekannt. Auch sie soll nur so lange erhoben werden, bis das Land einen ausgeglichenen Haushalt ausweist. Es ist nun also klar, dass von den geplanten Mehreinnahmen von 4 Milliarden Euro kaum noch etwas übrig bleibt. Es werden im kleineren Italien wohl nicht einmal die 200 Millionen werden, die Frankreich über die Reichensteuer einzunehmen gedenkt.

Um die fehlenden Milliarden einzunehmen, will Berlusconi erwartungsgemäß nun die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt auf nun 21% anheben und trifft damit also die Ärmsten besonders hart mit dem geplanten Sparkurs. So war die Einschätzung der Gewerkschaften am Streiktag richtig, obwohl sie das angesichts des Eiertanzes von Berlusconi zuvor noch gar nicht so genau wissen konnten. "Das ist ein Plan, den dieses Land nicht verdient hat", erklärte in Rom Susanna Camusso vor den versammelten Demonstranten.

Die Generalsekretärin des größten Gewerkschaftsbunds in Italien forderte die Streikenden auf, alles zur Verhinderung von Berlusconis Sparplan zu tun, "um dem Land eine Zukunft mit mehr Wachstum, Beschäftigung und Entwicklung zu garantieren". Außer den kleinen regierungsfreundlichen Verbänden CISL und UIL schlossen sich die übrigen italienischen Gewerkschaften dem Aufruf der CGIL an. Sie hatte zu diesem politischen Generalstreik aufgerufen, weil Italien sich "am Rande des Abgrunds" befinde und eine "verantwortungsvolle Regierung" brauche, wie Camusso betonte. Da dürfte die linke Gewerkschafterin wohl auch vielen konservativen Bankern, Industriellen und Politikern in ganz Europa aus der Seele gesprochen haben, selbst wenn sie nie bereit wären, dies zuzugeben.

Berlusconi verbindet Sparpaket mit Vertrauensfrage

Doch Berlusconi versucht sich in Kosmetik und will nach Deutschland und Spanien nun ebenfalls eine Schuldenbremse in die Verfassung schreiben. Auch das hat er am Dienstag verkünden lassen. Schon am Donnerstag soll das Kabinett darüber entscheiden. Man darf gespannt sein, wie die Bedingungen in dem enorm verschuldeten Land aussehen werden. Schon Spanien hat die Bremse so verwässert, dass sie kaum das Papier wert ist, auf dem sie geschrieben steht. Doch selbst diese Grenze soll erst 2020 eingehalten werden (Spanien führt zweifelhafte Schuldenbremse ein).

Gespannt darf man auch darauf sein, wie die Vertrauensabstimmung über das Sparpaket ausfallen wird, welche die Regierung nun anberaumen will. Erneut will sie damit die zahlreichen Änderungsanträge aushebeln. Mit der Vertrauensfrage will Berlusconi das Sparpaket noch in dieser Woche durch das Parlament peitschen. Schließlich hatten die Oppositionsparteien etliche Revisionsanträge eingebracht. Doch dieses Manöver könnte sich alsbald für den immer unpopulärer werdenden Bunga-Bunga-Regierungschef zum Rohrkrepierer entwickeln. Schließlich wurde es auch schon im vergangenen Jahr ziemlich eng für ihn und seine Regierung. Zudem ist auch seine Koalitionsregierung schon im vergangenen Herbst geplatzt und seitdem hat die Zeitbombe für den Euro immer lauter zu ticken begonnen (Die Zeitbombe Italien tickt lauter).

Ob die geplanten Maßnahmen die Lage des Landes real noch entspannen können, darf angesichts der steigenden Rezessionsängste sehr bezweifelt werden. Die Börsencrashs in den letzten Wochen haben die Nervosität weiter verstärkt. Immer deutlicher drängen sich Parallelen zu der Situation vor drei Jahren auf, als die US-Investmentbank Lehman Brothers in die Pleite abschmierte. Die Nervosität hat neben Berlusconis erratischen Kurs dafür gesorgt, dass das Aufkaufprogramm der EZB ihr Ziel verfehlt hat, die Zinsen der Staatsanleihen Italiens niedriger zu halten.

Klar ist inzwischen, dass Italien definitiv Spanien im Wettlauf um den Absturz überholt hat. Das zeigt sich daran, dass die Zinsen für zehnjährige italienische Anleihen nun seit Wochen über den spanischen liegen. Am Dienstag lagen die Renditen für spanische Anleihen etwa 340 Basispunkten über zehnjährigen Bundesanleihen. Der Zinsunterschied (Spread) zu italienische Anleihen stieg aber sogar fast auf 370 Basispunkte an. Damit zahlt Italien fast 4 Prozentpunkte mehr Zinsen als Deutschland, das derzeit nicht einmal 2% bieten muss. Drei Mal so hohe Zinsen wie Deutschland bei etwa gleicher Verschuldung bezahlen zu müssen, kann sich das hoch verschuldete Italien aber noch weniger leisten als Deutschland. Da Italien durch den Sparkurs aber definitiv in die Rezession gespart wird, wird nun immer fraglicher, wie der Absturz des drittgrößten Eurolands noch verhindert werden kann.