Chaos-Berlusconi sorgt für Börsen-Crashs in Europa
Es war befürchtet worden, dass sein Versuch, die Märkte zu beruhigen, eher zur Verschlimmerung führen würde
Vielleicht kann Silvio Berlusconi im eigenen Land mit seinen Parolen noch ein paar Landsleute beruhigen. Doch auf internationaler Ebene wächst sich die Angst davor, dass Italien im Schuldenstrudel nun in den Abgrund gerissen wird, nun zur Panik aus. Seine Realitätsfremdheit hat Berlusconi am späten Mittwoch in seiner Rede an die Nation bestätigt. Seine Parteifreunde hatten es befürchtet - seine Gegner erhofft. Doch die Weigerung anzuerkennen, in welche Sackgasse er das Land geführt hat, gepaart mit Handlungsunfähigkeit, hat am Donnerstag zu Panikattacken an den europäischen Börsen geführt.
Die Befürchtungen seiner Parteifreunde haben sich bestätigt: Berlusconi hat die Lage Italiens mit seiner Rede an die Nation am späten Mittwoch tatsächlich deutlich verschlimmert. Nun könnte das Land sogar den Wettlauf gegen Spanien gewinnen, welches der beiden großen Euroländer zuerst in die Pleite abschmiert. In den letzten Wochen hatte Italien immer näher zu Spanien aufgeschlossen, was die Risikoaufschläge angeht, die das Land für seine Staatsanleihen bezahlen muss. Zwar liegt Spanien mit einem Zinsaufschlag gegenüber Bundesanleihen von fast 400 Basispunkten, also 4%, noch immer leicht vor Italien, doch schon in den nächsten Tagen könnte sich das Blatt wenden.
Es kann auch nicht oft genug wiederholt werden, dass Italiens mit seiner enormen Staatsverschuldung seit vielen Jahren an der Spitze stand und erst in der Krise von Griechenland überholt worden ist. Mit 119% liegt das Land weiter abgeschlagen hinter Griechenland an zweiter Stelle. Es hat fast doppelt so hohe Schulden im Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung wie Spanien. Deshalb schlagen die steigenden Zinsen im Stiefel besonders hart durch. Dazu kommt, dass sich der Sparwillen von Don Silvio in sehr engen Grenzen hält , schließlich stehen spätestens 2013 im Bunga-Bunga-Land Wahlen an, wenn ihn seine Koalitionspartner nicht doch noch frühzeitig aus dem Amt jagen, bevor die Zeitbombe Italien mit unabsehbaren Folgen für den Euro explodiert (Die Zeitbombe Italien tickt lauter).
Wurde allseits eine Aussage von Berlusconi erwartet, seinen Sparwillen durch das Vorziehen der geplanten Maßnahmen zu bestätigen, wurde die Öffentlichkeit von ihm schwer enttäuscht. Ohnehin zweifelt man daran, dass Berlusconi überhaupt sparen will. Seine Schachzüge, als er sich von den Sparplänen seines Finanzminister Giulio Tremonti wieder distanziert hatte, nähren diese Zweifel (Europa blüht ein heißer Euro-Sommer). Dass er in einer seiner wenigen Reden an die Nation keinerlei Bekenntnis abgab, führte zur Panik angesichts der sich verdichtenden Gerüchte, dass er Tremonti in die Wüste schicken will. Seinen Minister kanzelte er erneut ab, nachdem der mit dem Chef der Euro-Gruppe Jean-Claude Juncker zum Krisentreffen zusammengetroffen war. Berlusconi erklärte, Tremonti werde nicht "der Retter Italiens" sein.
Berlusconi ist das Problem
Ohnehin sieht Berlusconi keine Krise. In seiner Rede vor dem Parlament beschwor er, dass Italiens Regierung und Banken solide und die Wirtschaft vital seien. "Es handelt sich nicht um eine italienische, sondern um eine weltweite Krise", erklärte er. Der globalen Krise müsse mit Entschiedenheit begegnet werden, wies er aber eine direkte Verantwortung weiter weg von sich, und gab den Kollegen den Ratschlag, dabei nicht "der Nervosität der Märkte zu folgen".
Konkret wurde er nicht, kündigte aber letztlich eine weiter steigende Verschuldung an, weil er nun die Steuern weiter senken will. Irgendwie soll es auch Veränderungen am Arbeitsmarkt geben und die Verwaltung im Land soll modernisiert werden. Er setzt auf Wachstum, was nicht falsch wäre, doch bisher hat er es in den letzten Quartalen sogar geschafft, das ohnehin schwache Wachstum weiter in Richtung Stagnation und Rezession abzuwürgen, während andere Euro-Länder längst wieder hohe Wachstumsraten verzeichnet haben.
Wäre die Lage nicht so ernst, könnte man sich darüber kringeln, dass der Premier solche Sätze von sich gibt: "Politische Stabilität ist die Waffe gegen Spekulation." Würde er dies ernst meinen, hätte er die Forderung der Opposition sofort umgesetzt. Die forderte erneut den Rücktritt des "Cavaliere". Die Opposition war sich einig darin, dass "Berlusconi das Problem ist", wie Antonio Di Pietro von der liberalen Partei erklärte. Auch der linke Oppositionsführer Pierluigi Bersani meinte, dass der "Vertrauensverlust langsam aber sicher den bürgerlichen Geist" untergrabe, den Italien so dringend benötige. Er erkannte, dass sich das Land real im "Notstand" befinde. Berlusconi solle ein Zeichen setzen und zurücktreten.
Nervosität an den Börsen und in der Politik
Jedenfalls hat Berlusconi mit seinem Auftritt den Politikern in Europa nun den erwarteten heißen Euro-Sommer beschieden. Dass die Beschlüsse des letzten EU-Gipfels zu Griechenland und darüber hinaus nicht reichen würden, um die Euro-Krise wenigstens in den Herbst zu verschieben, war abzusehen. Jetzt wird es - wieder einmal - sehr hektisch werden.
So wandte sich EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso mit einem Alarmbrief an die 17 Staats- und Regierungschefs der Euroländer, um unter anderem eine Ausweitung des Rettungsfonds zu fordern. Es müsse zu einer "raschen Neubewertung aller Elemente im Zusammenhang mit dem Euro-Rettungsfonds EFSF" geben. Die bisherigen Beschlüsse hätten "nicht die beabsichtigte Wirkung auf den Märkten" entfaltet, schrieb Barroso. Im Zentrum steht die erwartete Ausweitung des Volumens, über die seit langem debattiert wird. Barroso mahnt an, der Fonds müsse "über die Mittel" verfügen, "um Ansteckungsgefahren zu bekämpfen".
Zwar hatte Barroso seinen Brief schon vor der Rede Berlusconis verfasst, doch die hat dazu geführt, dass nun die Nervosität noch weiter zugenommen hat, weil man davon ausgehen muss, dass das große Schiff Italien steuerungslos in schwerer See treibt. Hatte Berlusconi die Rede extra noch verschoben, damit die Börsen nicht noch am Mittwoch unreflektiert reagieren können, fielen die Reaktionen nach den Konsultationen der Kopfkissen am Donnerstag noch dramatischer aus.
So gingen in ganz Europa die Kurse an den Börsen in die Knie. Der Leitindex DAX verlor in Frankfurt sogar 3,4%. Er beendete den Xetra-Handel bei 6415 Punkten. Er war zeitweise sogar unter 6400 Punkte gesunken und verbuchte seinen siebten Tagesverlust in Folge und damit ist das die längste Negativ-Serie in den letzten zweieinhalb Jahren. Seit dem Wochenbeginn hat der DAX etwa 850 Punkte verloren, deutlich mehr als nach dem Erdbeben, Tsunami und dreifachern Super-Gau in Japan. Vor fünf Monaten hatte er dabei etwa 500 Punkte verloren, aber es ging nach wenigen Tagen wieder nach oben.
Man könnte das auch an anderen Börsenplätzen nachvollziehen, wobei es logischerweise Madrid besonders hart getroffen hat, weil Spanien ebenfalls ein Absturzkandidat ist (Spanien nicht mehr vor dem Absturz zu retten). Der Ibex in Madrid verlor am Donnerstag sogar fast 4% und fiel deutlich unter die psychologisch bedeutsame Marke von 9000 Punkten. Das hatte auch damit zu tun, dass das Land erneut Rekordzinsen für seine Staatsanleihen bezahlen musste.
Beruhigung hatte auch nicht gebracht, dass Jean-Claude Trichet als Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) trotz der viel zu hohen Inflationsrate im Euroraum die Leitzinsen nicht noch einmal erhöht hat. Seit April hatte die EZB die Leitzinsen in zwei Schritten auf 1,5% angehoben, was allerdings die Lage in Ländern mit sehr schwachem Wachstum wie Italien oder Spanien weiter zugespitzt hat, weil sich dort die Kredite verteuern. Dabei hatte es Trichet nicht einmal belassen. Er hat sogar bestätigt, dass die Notenbank den Tabubruch noch ausweitet und wieder Staatsanleihen von Pleiteländern kauft, weil der Rettungsschirm dazu noch nicht in der Lage ist. Doch sogar das hat nur für leichte Entspannung am Sekundärmarkt für Staatsanleihen gebracht und den Crash auf dem Parkett nur etwas abgeschwächt.