Europa blüht ein heißer Euro-Sommer
Die Schuldenkrise zieht nun auch das große Italien abwärts und die Lage in Spanien spitzt sich fatal zu
Es war nicht schwer vorherzusagen, dass sich mit dem Versuch, die Entscheidung über zusätzliche Milliarden für Griechenland zu vertagen, die Lage für weitere Absturzkandidaten verschlimmern würde. Schon am Montag war es soweit, dass man in Brüssel wieder hinter den Ereignissen her hecheln musste (Kritik an Bankenrettung als getarnte Griechenland-Nothilfe). Der ständige EU-Ratspräsident hatte am Sonntag eilig zur Krisensitzung für Montag geladen, um vor dem regulären Treffen der Finanzminister die Lage zu erörtern. Schließlich hat sich die Schuldenkrise deutlich zugespitzt und die Angriffe drohen nun sogar das große Euroland Italien abzuwürgen, während sich die Lage in Spanien extrem zuspitzt. Angesichts der Tatsache, dass nun zwei große Euroländer in großer Gefahr sind, warnen Experten vor einem baldigen Euro-GAU.
Wenn man die Aussagen vergleicht, die derzeit regierungsoffiziell zu Italien gemacht werden, dann muss mit dem Schlimmsten gerechnet werden. Denn immer wenn sich die Regierungen in den letzten 18 Monaten ausdrücklich hinter ein Land stellen mussten, weil es erheblich unter Druck kam, dann war der Nothilfeantrag wie in Griechenland, Irland und Portugal nah. Gestern trat Bundeskanzlerin Angela Merkel vor und hat wieder einmal erklärt, die Euro-Länder seien "fest entschlossen", die Stabilität der Gemeinschaftswährung zu verteidigen. Wenn angesichts des Krisentreffens in Brüssel darüber spekuliert wurde, dass mit den Vorbereitungen auf die italienische Nothilfe der temporäre Rettungsschirm auf 1,5 Billionen Euro ausgeweitet werden müsse, dann kann dies nicht verwundern.
Angesichts des Finanzbedarfs Italiens scheint die Summe sogar sehr tief gegriffen, wenn man davon ausgeht, dass allein das kleine Griechenland schon 230 Milliarden Euro mit der ersten und zweiten Nothilfe verschlingen wird, um die Finanzierung bis 2014 zu sichern. Die Staatsschulden Athens belaufen sich aber nur auf 330 Milliarden Euro. Italien dagegen hat einen Schuldenberg von fast 2 Billionen angehäuft und liegt, was das Verhältnis von Staatsschulden zur jährlichen Wirtschaftsleistung angeht, direkt hinter Griechenland.
Angesichts der Zuspitzung der Lage hat Ratspräsident Herman van Rompuy eilig den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) Jean-Claude Trichet, Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker, EU-Währungskommissar Olli Rehn sowie EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso geladen. Natürlich wurde dementiert, dass es sich um ein Krisentreffen handele, doch warum man hektisch koordinieren musste, wurde aus den offiziellen Erklärungen jedenfalls nicht klar. Eigentlich war klar, dass man sich in Brüssel auf Schlimmeres vorbereitet und mit Vorgaben ins reguläre Treffen der Finanzminister am Nachmittag gehen wollte.
Ausweitung des Rettungsschirms und das Spiel der deutschen Regierung
Zuvor war berichtet worden, die EZB habe davor gewarnt, die Krise an den EU-Anleihemärkten drohe außer Kontrolle zu geraten. Deshalb, so hatte Welt Online hochrangige Zentralbankkreise zitiert, dränge Frankfurt auf eine grundlegende Reform der Krisenpolitik der Euro-Staaten und die deutliche Ausweitung des Euro-Rettungsschirms. "Der bestehende Schirm in Europa reicht nicht aus, um eine glaubwürdige Schutzmauer um Italien zu bauen. Dafür war er nie angelegt", zitiert das Blatt seine Quellen.
Inzwischen gebe es im EZB-Rat einen breiten Konsens über eine Verdoppelung der Geldmenge. Doch wer die Worte einer grundlegenden Veränderung ernst nimmt, wird grundlegend enttäuscht. Denn es geht der EZB weiter darum, die Banken, Versicherungen und Rentenfonds frei zu kaufen (Kritik an Bankenrettung als getarnte Griechenland-Nothilfe). Endlich den Schuldenschnitt für Griechenland anzugehen, ist nämlich nicht geplant. Vielmehr soll die Debatte um die von Deutschland geforderte Beteiligung des privaten Sektors an der Nothilfe 2.0 Griechenland beerdigt werden.
Der Bericht ist glaubwürdig, weil genau das die Position des (noch) EZB-Präsidenten ist, die Trichet stets vertreten hat. Der Schaden sei bereits jetzt enorm, ohne dass es einen Nutzen gebe. "Das schlechte Krisenmanagement der europäischen Regierungen sorgt dafür, dass die Kosten der Rettung ständig steigen." Dabei steht hinter der Aufstockungsforderung auch, dass die EZB den Makel loswerden will, durch umstrittene Aufkäufe der Staatsanleihen von Pleiteländern zur Bad Bank zu verkommen. Deshalb sähe man es bei der Notenbank lieber, diese Staatsanleihen in einen ausgeweiteten Rettungsschirm umlagern zu können.
In Berlin tat man derweil so, als handele es sich bei der Debatte um völligen Nonsens. So erklärte Finanzminister Wolfgang Schäuble, von einer Aufstockung des Rettungsschirms könne kann überhaupt keine Rede sein. "Das sind die üblichen Gerüchte, die von wem auch immer gestreut werden, sie haben mit der Realität nichts zu tun." Allerdings hat sich in den letzten 18 Monaten herausgestellt, dass derlei Gerüchte meist näher an der Wahrheit lagen, als die Beschwichtigungsformeln unserer Politiker. War es nicht gerade Schäuble, der über die Bild-Zeitung ein Schreckensszenario entworfen hat, dass wegen Griechenland "die Stabilität der Eurozone als Ganzes in Gefahr" sei? Er hatte sogar gefordert, dass man schnell dafür sorgen müsse, "dass die Ansteckungsgefahr für das Finanzsystem und andere Euro-Staaten eingedämmt wird".
Schäuble lag richtig, darf damit nun aber nicht offensiv auftreten. Schließlich versucht seine Chefin das Problem weiter klein zu reden. Merkel versucht die aktuellen Probleme Italiens darauf zu reduzieren, ob das Land einen Sparplan durch das Parlament bringt oder nicht. So erklärte die Bundeskanzlerin, sie habe "Vertrauen" in das italienische Parlament, dass der Sparhaushalt verabschiedet werde. Sie forderte von Rom entschiedene Sparanstrengungen, mit denen wichtige Signale an die Märkte gesendet werden könnten. Woher Merkel ihre Zuversicht nimmt, bleibt nebulös, denn bisher haben diese Beschwörungsformeln keinen Absturzkandidaten vor der Pleite bewahrt.
Italiens Sparwillen kann angezweifelt werden
Die hochschießenden Zinsen für Italien haben ohnehin nur wenig damit zu tun, dass der Chaos-Regierungschef Silvio Berlusconi Zweifel aufkommen ließ, ob der beschlossene Sparkurs auch umgesetzt wird. Um die Ratingagenturen zu befriedigen, hatte nun auch seine Chaos-Regierung einen Sparkurs angekündigt, bei dem vor allem nach den Wahlen 2013 insgesamt bis 2014 dann 47 Milliarden Euro eingespart werden sollen (Kritik an Bankenrettung als getarnte Griechenland-Nothilfe). Doch Berlusconi zweifelt den Sparkurs an, der aus der Feder seines Finanzminister Giulio Tremonti stammte. Er geht schon deshalb auf Distanz zu Tremonti, weil der zudem gerade wegen einer Korruptionsaffäre im Rampenlicht steht. Per Interview in der Zeitung "La Repubblica" sagte Berlusconi. "Er ist immer besorgt wegen der Märkte. Aber ich erinnere ihn immer daran, dass politische Resultate von Zustimmungsquoten und Wählerstimmen abhängen."
Man kann tatsächlich Italiens Sparwillen anzweifeln, schließlich hat das Land Staatschulden angehäuft, die mit 120% der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) sogar doppelt so hoch wie die Spaniens sind, das längst als Absturzkandidat gehandelt wird. Die Verschuldung wird nur noch von Griechenland übertroffen. Was ganz und gar nicht in die Berliner Argumentation passt, sind aber einige Fakten: Schon am Freitag begannen die Alarmglocken zu schellen, als die Zinsen für italienische Staatsanleihen mit fast 5,4% auf ein Allzeithoch seit der Einführung des Euro stiegen. Damit wurde Italien definitiv zum Absturzkandidaten gemacht, weil der Sparkurs nicht mehr mit der steigenden Zinslast mithalten kann. Und der Zinsanstieg lag zwei Tage vor den Äußerungen Berlusconis.
Ohnehin waren schon zuvor die Zinsen für italienische Anleihen auf neue Rekordwerte gestiegen, nachdem die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) im Mai drohte, die Kreditwürdigkeit Italiens abzustufen. Es waren die Ratingagenturen, die neben Spanien auch verstärkt Italien ins Visier genommen haben. Das reiht sich in die unsägliche Entscheidung ein, Portugal auf Ramsch-Status abzustufen. In der Begründung wurde die Drohung von S&P sekundiert, die jede Beteiligung privater Gläubiger an der zweiten Griechenland-Nothilfe als Zahlungsausfall zu werten, wie sie auch Trichet zu verhindern sucht.
Ist es etwa ein Zufall, dass seit Freitag nun auch Experten von gezielten spekulativen Angriffen gegen Italien sprechen? Weil schon dabei an der Mailänder Börse erneut Bankaktien stark unter Druck kamen, hat am die italienische Börsenaufsicht die ab Montag die Vorschriften für Leerverkäufe verschärft, denn die dienen vor allem zur Spekulation auf Aktienkurse oder staatliche Schuldpapiere. Das ist bekannt, weshalb die Leerverkäufe sogar zeitweise in der Krise verboten waren. Sie werden nun in Italien erschwert, weil auch die Consob davon ausgeht, dass es massive spekulative Angriffe auf Italien gibt.
Sicher ist, dass gezielt eine bestimmte Stimmung erzeugt wurde, die Anleger dazu bringt, sich von italienischen Papieren zu trennen. Deshalb stiegen die Renditen für italienische Anleihen am Montag sogar auf fast 5,7%. So hohe Zinsen wurden von Italien seit Einführung des Euros niemals verlangt. "Man sollte sich daran erinnern, wie schnell die Bondrenditen außer Kontrolle geraten können. Die Renditen zehnjähriger Anleihen von Griechenland, Irland und Portugal zeigen das", zitiert deshalb das Wirtschaftsblatt Gary Jenkins. Der Leiter des Bondbereichs bei Evolution Securities hat in einem Bericht bemerkt, dass die zehnjährigen Anleihen Griechenlands, Irlands und Portugals sich durchschnittlich 43 Tage über der Marke von 5,5% bewegt hätten. Dann seien sie "nachhaltig" über 6% geklettert. Gut drei Wochen hätten sie sich zwischen 6 und 6,5% gehalten. Darauf sei eine Phase von nur gut zwei Wochen gefolgt, in der sie zwischen 6,5 und 7% gelegen. Beim Überschreiten dieser Marke wird dann üblicherweise der Nothilfeantrag gestellt, macht Jenkins deutlich. "Wenn ich ein europäischer Finanzminister wäre, würde ich schlecht schlafen angesichts des Umstands, dass wir nur rund zwei Prozentpunkte von einem potenziellen Katastrophen-Szenario entfernt sind." Denn wenn man tatsächlich Italien abstürzen lässt, dann ist sogar mittelfristig der Euro nicht mehr zu retten. Derzeit schmiert nicht ein kleines Land wie Griechenland, Portugal oder Irland ab, sondern mit Italien und Spanien das dritt- und viertgrößte Euroland fast gleichzeitig.
Wettlauf zwischen Italien und Spanien
Wie Telepolis schon mehrfach festgestellt hat, wird es nun sehr ernst für den Absturzkandidaten Spanien (Mit dem abstürzenden Spanien spitzt sich die Euro-Krise zu). Schon die neue Griechenland-Debatte hatte Zinsen für spanische Anleihen in die Höhe getrieben. Das Land musste Ende Juni erstmals mehr als 6% Zinsen für seine Staatsanleihen bieten. Zehnjährige Anleihen hatten mit fast 290 Basispunkten über der Bundesanleihe ein Jahreshoch erreicht. Der Zinsunterschied (Spread) verharrte aber noch unter dem Allzeithoch von 300 Punkten (3%), das im November 2010 erreicht worden war. Das war am Montag vorbei. Die Zinsen schossen nun regelrecht nach oben und der Spread stieg von 285 Basispunkten vom Freitag auf mehr als 330 Punkte an.
So hat nun eine Art Wettlauf begonnen, wer von den beiden Ländern schneller unter den Rettungsschirm getrieben wird. Spanien hat den Vorteil, dass die Staatsverschuldung mit gut 60% des BIP noch relativ beherrschbar ist, auch wenn die Zinsen stark steigen. Bei Länder dümpeln aber konjunkturell an der Stagnation herum, die wegen der Sparkurse schnell in die Rezession umschlagen dürfte, womit sich die Lage weiter verschlimmert.
Im Fall Italiens wird die riesige Schuldenmenge aber schnell zum Problem. Ein Zinsaufschlag von nur einem Prozentpunkt bedeutet für das Land, dass die jährliche Zinslast um etwa 20 Milliarden Euro steigt. Der Spread von 300 Basispunkten zu deutschen Anleihen zeigt, dass Italien mit 3 Prozentpunkten nun mehr als doppelt so hohe Zinsen für seine Anleihen als Deutschland für vergleichbare Papiere bezahlen muss. Spätestens damit wird die italienische Zinslast unerträglich. Denn in nur einem Jahr wird deutlich mehr Geld von der gestiegenen Zinslast aufgefressen, als der Sparplan bis 2014 mit 47 Milliarden Euro einsparen will.
Angesichts dieser Lage ist klar, warum man hektisch zur Krisensitzung nach Brüssel ruft. Die zur Schau gestellte Gelassenheit nach dem Treffen der Finanzminister kann nicht über die massive Besorgnis hinwegtäuschen, die das Treffen beherrscht hat. Die Widersprüche in den Aussagen der Politiker machte das deutlich. Während Berlin behauptete, weder beim Krisentreffen noch bei der Sitzung der Finanzminister habe Italien auf der Tagesordnung gestanden, war Österreich anderer Meinung. Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) hatte angekündigt, dass Italien beim Treffen der Euro-Finanzminister ein Thema sein werde.
Geht es wieder einmal nur um die Rettung der Banken?
Fakt ist, dass die Minister erneut auch keine Einigung zur Frage der zweiten Griechenland-Nothilfe getroffen haben. Betont wurde nur, dass man den dauerhaften Rettungsschirm beschlossen habe. 2013 soll damit der temporäre Rettungsschirm zu einem dauerhaften Krisenmechanismus mutieren. (Wie ein Krisenmechanismus zum Normalzustand mutiert). Die 17 Ressortchefs haben gestern in Brüssel den Vertrag unterzeichnet, der ab dem 1. Juli 2013 auch Staatspleiten möglich machen soll. Dabei ist immer fraglicher, ob es dann noch einen Euro in der Form zu retten gibt.
Es wird immer klarer, dass die bisherige Nothilfe-Politik krachend an die Wand fährt und auch über die ständige Ausweitung des Rettungsschirms keine Probleme gelöst werden. Sie werden bestenfalls zeitlich verschoben und werden dabei von Absturzland zu Absturzland größer und größer. Damit steigen auch die Belastungen für die Steuerzahler. Immer deutlicher wird, dass eine umfassende Lösung gefunden werden muss. An einem Schuldenschnitt unter klarer Beteiligung der Banken, Versicherungen und Rentenfonds für Griechenland und den anderen Ländern führt längst kein Weg mehr vorbei.
Wie der deutsche Ökonom Max Otte sprechen immer mehr Experten die bittere Wahrheit aus, dass hinter der Nothilfe nur eine weitere Bankenrettung verhüllt wird. Für Otte, der in einem Buch die Finanzkrise vorhergesagt hatte, wird hier "ein riesiger Etikettenschwindel betrieben". Bundeskanzlerin Angela Merkel, Trichet, Barroso, Juncker & Co wirft er vor, die Bevölkerung zu belügen, denn es solle weder Griechenland noch Europa gerettet werden. "Es profitieren weder Europa noch die griechischen Bürger oder die Bevölkerung der Geberländer wie Deutschland von den Abermilliarden an Euro, die hier wieder lockergemacht werden." Es profitierten allein die Banken, die sich verzockt hätten und von den Konsequenzen ihrer Entscheidungen befreit würden. Er kritisiert auch hart die Rolle der Ratingagenturen. Statt vor den Gefahren zu warnen, was hilfreich gewesen wäre, "stufen sie nachträglich herab und verschärfen damit die Krise", erklärte Otte.