Jäger und Sammler ohne Stecker

Neue Telekommunikationstechniken machen drahtlose Übertragungen zum Metazeichen. Ein CeBIT-Bericht.

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Es klingt fast so als würde sich ein alter Menschheitstraum erfüllen, wenn man den Versprechungen der Telekommunikationsunternehmen glauben will. Wie in der Steinzeit streifen rastlose Datenjäger mühelos und mobil durch die wilde eigene Arbeitswelt. Aber sie sind nicht ahnungslos den Widrigkeiten vor Ort ausgesetzt. Der Datenstrang reißt dank WAP, Mobile Internet und SMS selbst dann nicht, wenn die Stimme versagen sollte. So bleibt das Individuum in diesem modernen Dschungel gleichzeitig frei und geschützt in der eigenen Daten-Bubble. Im Neandertal hätte so mancher seine Lieblingskeule für soviel Kontakt zur Herde gegeben.

Die bereits oft zitierten Handy-Hanswürste, die wild gestikulierend vor der Halle 13 der CeBIT umherstolzieren und nur noch durch einen Ohrstöpsel mit dem Mutterschoß der eigenen Firma verbunden sind, stellen aber nicht den Endpunkt einer Entwicklung dar. Sie sind nur dann eine Entwicklungssackgasse, wenn man drahtlosen Datentausch auf "Du-Schatzi-ich-bin-jetzt-in-Hannover"-Gespräche begrenzt. Die Vision beginnt an einer anderen Stelle. Oder eigentlich an mehreren gleichzeitig.

Telekommunikation zwischen Maschinen

Zuerst einmal machen alle derzeitigen Ansätze nur noch dann Sinn, wenn man Telekommunikation als kabellose Übertragung aller denkbaren Daten von einer Maschine zur nächsten versteht. Das ist nicht neu (siehe Vilem Flusser), aber notwendig, um die anstehenden Entwicklungen zu verstehen. Eine solche Definition löst sofort scheinbare Welten zwischen Bluetooth (dem neuen drahtlosen Übertragungsstandard z.B: zwischen Handy und Waschmaschine), drahtlosem Ethernet wie von Apple und den aufkommenden Techniken des Unified Messaging auf. Das Handy-Gespräch und der drahtlose Datenaustausch von Laptop zum Memorystick sind so konvergenter zu verstehen. Alles vernetzt sich mit allem drahtlos. Sonst wäre die Welt ein Maschendrahtzaun.

Handys sagen Adieu zum Viereck

Dann löst sich zudem die Basisform eines Handys auf. Neben der bereits sattsam bekannten Ericsson-Studie "Edge", die aus dem Hörknochen ein Sichtei mit eingebauter Kamera und einem genügend großen Display macht, bieten Firmen wie z.B. NEC aufklappbare "Telefone" an, die durch zwei Displays mehr an ein Buch oder ein Fernglas erinnern. Armband-Handies und diverse Adapter von der SMS-Tastatur bis hin zu andockbaren MP3-Playern tun ihr übriges.

Sag es, wie Du willst

Und schließlich zeigen Firmen wie Cycos das Zusammenschmelzen von Kommunikationsformen, ORANGE "fordert", die Kommunikation möge endlich wieder eins sein. Das bedeutet, dass eine mobil begonnene Kommunikationskette zum Beispiel über die Spracherkennung eines Sony-Handys als SMS zum Firmenserver gelangt, dort automatisch zu einer Email mutiert, die auf Wunsch per Computer vorgelesen werden kann, weil der Empfänger gerade bei einer Autofahrt seine E-Post abruft. Und Nokia propagiert darüber hinaus Wireless Multimedia als schriftlosen Endpunkt all dieser verschiedenen Herangehensweisen. Das Telefonat sinkt so zur Unterform des Liveberichts über eine Bergtour per mobilem Video-Device.

Bei all dem würde ein gehöriger Kabelsalat stören. Das zeigte schon unfreiwillig deutlich der Sony-Stand auf der CeBIT HOME 98, der auch auf der CeBIT eingesetzt wurde. Immer wenn die sorgsam ins Licht gesetzten Komponenten für den VAIO ans Verbinden kamen, sah der Laptop mehr nach einem Borg aus, der seine Technotentakel in die Umwelt schleudert.

Vielleicht ist das Zeitalter der Strippen einfach vorbei. Sie sind ein Anachronismus und stehen dem Konzept, alles überall mit einem Tool machen zu können und dies mit allen Tools auszutauschen, deutlichst im Weg. Vielleicht ist die stolze Ausführung des ahnungslosen CeBIT-Promotors der Telekom, man habe bei der Netzwerkauslastung für TDSL erst 5% der möglichen Maximallast erreicht, auch ein Zeichen dafür, dass mehr Bandbreite nur noch über kabellose Netze Sinn macht. Der Strippoker zwischen Kupfer- und Glaskabel lässt dank neuer Technik beiden die Hosen runter.

Was bleibt sind neue Arbeitsformen vor allem auch auf Messen. Eine Notiz der URL per SMS an seinen Homeaccount reicht. Die Prospektberge der vergangenen Jahre wirken mindestens schon wie die Steinzeit. Messetage sind keine Blindtage mehr. Emails lesen sich im Kaffee per CE-Device, die wichtigsten Eindrücke gehen per Digitalkamera und Attachment direkt zu den anderen Mitarbeitern in anderen Hallen. Das Büro der Zukunft ist die Welt.

Ein Nachsatz ohne Technik

Unfreiwillig komisch wirken bei diesen Szenarien nur noch die Messevideos, mit denen diese neuen Techniken vorgestellt werden. Innovationen dieses Kalibers sind sicher nicht dazu da, morgens in Zürich den Wetterbericht von Europa zu lesen und dann seiner Fernbeziehung einen Schnappschuss vom Frühstückstisch zu senden. Das würde wohl im realen Leben bald als Beziehungsspam gelten.

All diese Connectivity-Techniken haben nämlich eines noch nicht implementiert: die Sicherung für einen ungestörten Spaziergang in der Wildnis. Bei solchen Szenarien fällt einem gestressten Mitarbeiter die Arbeit noch mitten bei der hormongesteuerten Jagd an allen Tresen dieser Welt an. Plötzlich ist der Chef dran.

Da würde der Neandertaler wütend die Keule heben.