Jan Ullrich gegen den Dopingexperten Werner Franke

In Hamburg streiten Hobby-Radfahrer Jan Ullrich und Dopingexperte Werner Franke vor Gericht, wer in welcher Form Verdächtigungen aussprechen darf

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Irgendjemand wird Jan Ullrich geraten haben, sich zu wehren. Zu wehren gegen die vielen Verdächtigungen und Schuldvorwürfe, die ihn des Dopings bezichtigen. Aber wen anklagen? Die Presse? Diese berichtet und behauptet zwar viel, ist aber auch ein wichtiges Vermittlungsmedium für Gegenideen. Mit der will man es sich nicht verscherzen.

Als Ziel haben sich Ullrichs Anwälte daher ein schwergewichtiges Wissenschaftsexemplar heraus gesucht, Prof. Dr. Werner Franke, ein auch international anerkannter Dopingexperte. Dieser hatte in einem Fernsehinterview im Sommer 2006 gesagt, dass Ullrich in einem Jahr 35.000 EUR für Doping-Substanzen an den berüchtigten spanischen Arzt Eufemanio Fuentes gezahlt habe.

Franke ist beliebt bei Funk und Fernsehen, ein Mann der klaren Worte, gerne wird er auch überdeutlich. Das bis dahin nicht angreifbare Experten-Gebollere musste Ullrich sich gefallen lassen, hier aber war die Chance gegeben, den Heidelberger Forscher in die Schranken zu weisen. Ullrich ließ Franke im September 2006 per Einstweiliger Verfügung vom Oberlandesgericht Hamburg die Behauptung untersagen, er habe das viele Geld für Doping an Fuentes überwiesen.

Das Gericht sah in der Behauptung eine Verletzung von Ullrichs Persönlichkeitsrecht. Die Richterin hatte jedoch bei der Urteilsverkündung betont, dass es in ihrer Entscheidung nicht um den Wahrheitsgehalt der Äußerungen Frankes gegangen sei, sondern um die Formulierung. Der Heidelberger Anti-Doping-Mann hatte in der Verhandlung geltend zu machen versucht, dass er lediglich als Privatperson die Presseberichte wiedergegeben hätte.

Falsch, entschied die Pressekammer des Gerichts, er habe als „Sachkundiger die Presse als Forum genutzt“. Zudem habe Franke seine Feststellung zu einem Zeitpunkt verbreitet, als Ullrich den Presseberichten bereits öffentlich widersprochen hatte. Der Einstweiligen Verfügung folgte nun das Hauptverfahren, in dem Franke und sein Anwalt neue Beweise und Zeugen präsentieren wollen.

Einführungsrunde

Zimmerverlegung, selbst der Anwalt Jan Ullrichs, Marcus M. Hotze, irrt durch die Flure des Ziviljustizgebäudes in der Hansestadt. Sieben Journalisten, ein paar Interessierte, die Anwälte, Werner Franke, die Richter. Ruhe im Saal. Vorgeplänkel: Franke pocht auf sein Recht, als Wissenschaftler aus Unterlagen zitieren zu dürfen. Das Gericht weist darauf hin, dass er nicht zitiert, sondern eine Tatsachenbehauptung aufgestellt habe, die nicht bewiesen sei. Soweit war man schon beim letzten Mal.

Nun geht es darum, welche Beweise überhaupt zugelassen werden. Franke spricht von den Unterlagen der Guardia Civil, deren „Operación Puerto“, der bekannten Razzia im Mai 2006, bei der Blutbeutel, Dopingmittel und eine Liste mit Codenamen von Radrennfahrern beschlagnahmt wurden. Sein Anwalt spricht von den Bonner Akten. Unausgesprochen geht es auch um Zeit, darum, dass die Ereignisse die Behauptung von Franke möglichst einholen sollen. Schon seit der Einstweiligen Verfügung ist viel passiert, es existieren Indizien zu Hauf, dass Ullrich mit dem Doping-Meister Fuentes im Geschäft war.

Spätestens seit der DNA-Analyse durch die Bonner Staatsanwaltschaft ist es im Umkreis von Jan Ullrich ruhig geworden. Denn die Beamten hatten die in Spanien sichergestellten Blutkonserven mit den Kennzeichnungen „Jan“ oder „Rudis Sohn“ mit der DNA-Probe verglichen, die Ullrich von sich zur Verfügung gestellt hatte. Die Staatsanwaltschaft nennt die Zuordnung zum Radsportler nun „zweifelsfrei“.

Ullrichs Bonner Anwalt Johann Schwenn wurde nebulös, auf der Homepage von Jan Ullrich erklärte er: „Die Verteidigung wird sich das Gutachten des Bundeskriminalamtes genau ansehen. Nach den Unregelmässigkeiten im spanischen Verfahren und bei der UCI ist es gut möglich, dass der angebliche Befund die Folge von Manipulation ist.“

Bislang hatte sich Ullrich auf die Aussage des Freiburger Uni-Mediziners Andreas Schmid berufen, in dessen Labor das Blut des Radsportlers regelmäßig untersucht worden war. Schmid hatte die Befunde „sowohl aus klinischer, als auch verbandsrechtlicher Sicht“ als „alle unauffällig“ bezeichnet. Die Ironie: Schmid steht nun selber unter Verdacht, das BKA hat Ende Oktober 2007 die Wohnung des ehemaligen T-Mobile-Teamarztes durchsucht. „Ich halte die Aktion für mehrere Wochen zu spät“, kommentierte Anti-Doping-Aktivist Werner Franke. Nach Jörg Jaksche hatte zuletzt der frühere T-Mobile-Profi Patrik Sinkewitz ein Doping-Geständnis abgeliefert und Schmid belastet.

Überholmanöver

Franke versteht den Streit um seine Äußerung nicht, will ihn nicht verstehen. Ausgerechnet er, Träger des Bundesverdienstkreuzes, der international anerkannte Experte, sitzt vor Gericht – und zwar nicht als Gutachter oder Kläger, sondern als Beklagter.

Nach der letzten Entscheidung des Hamburger Gerichts war er mit seinem Anwalt nach Madrid geflogen, hatte Einsicht in die Unterlagen der Operación Puerto erhalten. Dort habe man ihm gesagt, so Franke, die 35.000 Euro seien nur Anzahlung gewesen, insgesamt sei es um 120.000 Euro gegangen. Jörg Jaksche und Ullrich, so zitiert Franke die Guardia Civil weiter, hätten sogar auf dasselbe Konto eingezahlt. „Neun Blutbeutel, viereinhalb Liter Blut, alles von Jan Ullrich, und das soll der Fuentes umsonst gemacht haben?“, echauffiert er sich.

Die Argumente wiegen schwer und viele nehmen wie Franke an, es sei nur noch eine Sache der Zeit, bis auch Ullrich auspackt oder überführt wird. Aber vor Gericht, hier, in Hamburg, ging es bislang darum nicht. Bislang. Es hätte damals gereicht, wenn Franke deutlicher gemacht hätte, dass er sich mit seinen Sätzen auf die Akten der Guardia Civil bezieht. Nun fordert er die Vorladung der Journalisten, die damals das Interview geführt haben. Die wüssten, so Franke, dass er sich auf die Aktenlage gestützt habe.

Wer darf geladen werden, welche Akten werden ran geschafft, soll gar Fuentes kommen? Frankes Anwalt, Michael Lehner, versucht möglichst viel Material und Zeugen ausbreiten zu dürfen. Unmut bei Hotze, Ullrichs Vertreter: „Seit 16 Monaten werden hier die wildesten Behauptungen aufgestellt.“

Am 30. November entscheidet das Hamburger Gericht nun über die zulässigen Beweismittel. Es kündigt sich ein langer Prozess an. Für Franke ideal, die Zeit läuft für ihn, zudem dienen die Medien als Resonanzboden für dieses Hauptakt der deutschen Dopinggeschichte.

Leise Gespräche nach der Verhandlung. Franke kündigte an: „Ich bin ein westfälischer Dickkopf, dass ziehe ich notfalls durch alle Instanzen durch.“ Dann muss er weiter nach Bonn. Dort wird ihm am Nachmittag vom Deutschen Hochschulverband die Auszeichnung „Hochschullehrer des Jahres“ verliehen.