Jeder kann zum "feindlichen Kämpfer" erklärt werden
Die US-Regierung scheint sich im Kongress durchsetzen und die von ihr eingeführte Kategorie der Outlaws mitsamt Verschleppungen und unbegrenzter Inhaftierung nicht nur nachträglich legitimieren, sondern auch noch erweitern zu können
Die US-Regierung hat, so hieß es letzte Woche, eine Einigung mit wichtigen republikanischen Kongressmitgliedern über eine gesetzliche Regelung des Umgangs mit Gefangenen erzielt, die als Terrorverdächtige eingestuft werden. US-Präsident Bush hatte verlangt, dass für Verhöre durch CIA-Angehörige die Bestimmungen der Genfer Konventionen im amerikanischen Recht verändert müssten. Einige Kongressabgeordnete hatten protestiert, heraus kam ein Kompromiss, der den Artikel 3 der Genfer Konventionen unberührt ließ, dafür aber gewährleistete, dass der CIA weiterhin über eine Genehmigung des Präsidenten „alternative Verhörtechniken“ offen stehen würden, während Geheimdienstmitarbeiter nicht für Folter, die nach Auffassung des Weißen Hauses rechtens waren, nicht belangt werden können (Das "Programm" der CIA ist gerettet). Gefangene können auch nicht vor amerikanische Gerichte ziehen, um etwa gegen Folter oder ungerechtfertigte Haft zu klagen, auch vor den Militärkommissionen sind ihre Rechte weiterhin sehr eingeschränkt.
Offenbar aber ist man im Weißen Haus trotz dieses weitgehenden Entgegenkommens des willfährigen Kongresses noch nicht zufrieden. Man will anscheinend nun doch das gesamte Unrechtssystem auf scheinbar legale Füße stellen und vermutlich auch sicherstellen, dass weder Regierungsmitglieder noch Geheimdienstangehörige nach einem Regierungswechsel wegen Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen belangt werden können, die seit 2001 im Auftrag der Bush-Regierung begangen wurden.
Nach Informationen der Washington Post haben Regierungs- und Kongressvertreter am Wochenende noch einmal weiter Veränderungen am geplanten Gesetz ausgehandelt, das noch diese Woche durch den Kongress gepeitscht werden soll. Dabei scheint es vor allem um den Status des „feindlichen Kämpfers“ zu gehen, den die Bush-Regierung nach dem 11.9. eingeführt hat, um ein Lagersystem außerhalb des amerikanischen und des internationalen Rechts zu schaffen. Wer zu einem „feindlichen Kämpfer“ erklärt wird, darf nach Ansicht des Weißen Hauses auch im Ausland verschleppt, unbegrenzt inhaftiert und mit rüden Mitteln verhört werden, ohne einen Rechtsanspruch zu genießen. Man hat also eine Kaste von Outlaws geschaffen, die man selbst beliebig erweitern kann. Zwar wurde dieser selbstherrliche Umgang mit dem Recht bislang nicht vom Surpreme Cour beanstandet, aber es ist offenkundig, dass damit die fundamentalsten Menschenrechte und Regeln eines Rechtsstaats außer Kraft gesetzt werden.
Bevor es zu den Kongresswahlen im November kommt, sollen die Gesetzgeber also noch schnell nachträglich eine Legitimation für die von der Bush-Regierung unter Umgehung des Kongresses eingeführten Praktiken geschaffen werden. Auch in dem überarbeiteten Gesetzesentwurf scheint nicht direkt auf Verschleppungen und Geheimgefängnisse eingegangen zu werden, dafür aber wird der Begriff des „feindlichen Kämpfers“ so erweitert, dass im Grunde willkürlich jeder Mensch darunter fallen kann. Da er sich dann aber nicht gerichtlich gegen die Festnahme wehren kann, braucht es nicht einmal einen auch nur ansatzweise begründeten Verdacht. Ein „feindlicher Kämpfer“ ist, laut der Definition, eine Person, „die sich an Kampfhandlungen beteiligt hat oder die sich erheblich an der Unterstützung von Kampfhandlungen gegen die USA“ oder ihre Alliierten beteiligt hat. Nach dem republikanischen Senator Lindsey Graham, der entscheidend an den Verhandlungen teilgenommen hat, gelten auch Menschen, die Terroristen mit Geld oder Waffen unterstützt haben, als „feindliche Kämpfer“.
Die Definition trifft, so die Washington Post aufgrund der Informanten, auf Ausländer zu, es soll aber nicht ausgeschlossen werden können, dass auch Amerikaner als solche klassifiziert werden. Ursprünglich sollten nur Personen als „feindliche Kämpfer“ bezeichnet werden können, die sich an Kampfhandlungen beteiligt haben. Nach der neuen Definition, die für die CIA zugeschneidert wurde und weit umfassender als diejenige für das Militär ist („wer sich an Handlungen gegen die USA oder ihre Koalitionspartner unter Verletzung des Kriegsrechts und der moralischen Regeln während eines bewaffneten Konflikts“), können Menschen praktisch überall, nicht nur auf dem Schlachtfeld, gefangen genommen werden. Damit würden, auch wenn davon nicht explizit die Rede ist, Verschleppung nach der CIA-Art legal werden. Überdies könnten „feindliche Kämpfer“ nicht vor einem amerikanischen Gericht gegen die Inhaftierung oder ihre Behandlung klagen, womit die CIA weiterhin im Prinzip nach reiner Willkür Menschen festnehmen, gefangen halten und auch misshandeln könnte, ohne in den USA zur Rechenschaft gezogen werden zu können.
Wie die Bürgerrechtsorganisation ACLU kritisiert, wird durch den neuen Gesetzesentwurf die Exekutive weitgehend von der Kontrolle durch die Rechtsprechung getrennt. Gerade die Habeas Corpus-Akte, also das Recht, bei einer Festnahme einem unabhängigen Richter vorgeführt zu werden, ist eines der ältesten und fundamentalsten Rechte der angloamerikanischen Rechtsgeschichte, wird dadurch ausgehebelt. Für Christopher Anders von der ACLU handelt es sich um ein Gesetz, das denjenigen, die Folter angeordnet oder gebilligt haben, Straffreiheit garantiert. Als Pluspunkt wird von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch allerdings vermerkt, dass die Regierung ihr Verständnis von den Genfer Konventionen im Federal Register veröffentlichen muss. Das Verbot, Habeas Corpus-Klagen einzureichen, wird jedoch als inakzeptabler Angriff auf das amerikanische Rechtssystem gebrandmarkt. Tatsächlich ist ein Angriff auf die Menschenrechte und die Einführung eines Willkürsystems, dessen Opfer jeder weltweit werden kann, ohne dagegen vorgehen zu können. Die westliche Welt müsste angesichts dieser Anschläge auf Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte aufschreien. Die CIA wäre dann nicht sehr viel anders als eine Religionspolizei in einem Taliban-Regime.