Das "Programm" der CIA ist gerettet
Das Weiße Haus hat für den Umgang mit verdächtigen Terroristen weitgehend erreicht, was es wollte, auch weil vieles über das Unrechtssystem gar nicht zur Sprache kam und weiterhin Tausende von Menschen im rechtlichen Niemandsland gefangen gehalten werden
Als US-Präsident Bush am 6. September verkündete, dass 14 al-Qaida-Mitglieder von geheimen CIA-Gefängnissen nach Guantanamo gebracht worden seien, hatte er erstmals die Existenz dieser Gefängnis zugegeben, in denen man Menschen, die entführt worden, verschwinden und foltern ließ. Gleichzeitig tat er so, als wären nun die Gefängnisse im juristischen Niemandsland leer, was weitgehend auch von den Medien übernommen wurde, zumal Bush gleichzeitig vom Kongress eine gesetzliche Regelung für die Verhörmethoden der CIA und die Militärgerichte verlangte (US-Präsident Bush bestätigt und rechtfertigt die geheimen CIA-Gefängnisse und die Verhörmethoden). Trotz erstem Widerstand einiger wichtiger republikanischer Senatoren, was schon die Hoffnung keimen ließ, dass die USA zum Rechtsstaat zurückkehren könnte, kam es nun zu einer Einigung, die Folter auch in Zukunft erlaubt, die in der Vergangenheit von Geheimdienstmitarbeitern praktizierten brutalen Methoden straffrei stellt, unfaire Prozesse ermöglicht und denjenigen, die teils Jahre lang ohne Anklage willkürlich eingesperrt und misshandelt wurden, verwehrt, Schadensersatz für die Haft vor amerikanischen Gerichten einzuklagen.
Zwar ist das Unrechtssystem, das die Bush-Regierung mit Lagern, rechtlosen Gefangenen und Folter aufgebaut hat, mit dem Kompromiss zwischen Regierung und Kongress gegenüber ursprünglichen Forderungen abgemildert worden (US-Regierung will für die CIA eine Ausnahme vom drohenden Folterverbot), dafür aber wird die bislang heimlich ausgeführte Praxis nun rechtmäßig. Ein bisschen Folter, unbegrenztes Wegsperren und Scheinprozesse dürfen nun also sein, wenn das vereinbarte Gesetz umgesetzt wird. Der Missbrauch geht weiter, schreibt die Washington Post. Widerstand, kurz vor den Wahlen, dürfte es allerdings kaum großen geben. Republikaner, vor allem aber Demokraten haben Sorge, dass sie als Kritiker dem Verdacht anheim fallen können, nicht genug gegen den Terrorismus zu machen.
Wie Bush sagte, ging es doch eigentlich nur darum, dass CIA-Mitarbeiter weiterhin „das Programm“ betreiben können, „Gefangene zu verhören, um Informationen zum Schutz der amerikanischen Bürger zu erhalten“. Das sei das „wichtigste Werkzeug“, das man habe und das offenbar stumpf wird, wenn Gefangene nicht massiv unter Druck gesetzt werden – und zudem die erzwungenen Aussagen auch bei den Militärgerichten Geltung haben können. Zudem dürfen auch Aussagen unbekannter Zeugen und Beweismittel berücksichtigt werden, die dem Angeklagten nicht vorgelegt werden müssen. Die Anwälte dürfen höchstens, sofern es der Richter gestattet, Teile oder Zusammenfassungen einsehen. Über die Entführungen, die zu dem „Programm“ ebenso gehörten wie die Übergabe mancher Gefangenen an befreundete Geheimdienste zur besseren Folter, wurde lieber erst gar nicht gesprochen.
Auch wenn das Weiße Haus ursprünglich die Definition von Folter im gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Konventionen für amerikanisches Rechts zurechtbiegen wollte, weil dies zu ungenau sei, vor allem aber weil damit gerne praktizierte Foltermethoden – im Orwellschen Neusprech des Weißen Hauses: „alternative Verhörmethoden“ – wie das „Water Boarding“ verpönt wären. Der Kompromiss sieht vor, was diplomatisch weitaus geschickter ist, die Frage der Genfer Konventionen einfach zu umschiffen und dem US-Präsidenten zu überlassen, welche Verhörmethoden von Geheimdienstangehörigen angewendet werden können, wenn sie unter einer gewissen Schwelle liegen. Sicherheitsberater Hadley erklärte, verboten seien u. a. Mord, Verstümmelung, schwere Körperverletzung oder Vergewaltigung, was für das Weiße Haus zu den weiterhin erlaubten Methoden gehört, wollte er nicht sagen.
Auch wenn es nun tatsächlich zu einigen Prozessen gegen Personen kommen sollte, die in Guantanamo einsitzen, so wird damit auch der Skandal für die übrigen noch Gefangenen oder schon Freigelassenen, denen man nichts nachweisen kann oder will, verdeckt, dass die US-Regierung für sich in Anspruch nimmt, Menschen auf bloßen Verdacht hin über Jahre hin weg in Gefängnisse zu sperren, sie womöglich zu foltern und sie dann irgendwann vielleicht wieder frei zu lassen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen werden zu können oder auch nur Schadensersatz oder Schmerzensgeld zahlen zu müssen. So wird etwa über den Fall des Kanadiers Maher Arar geschwiegen, der 2002 auf Hinweise des kanadischen Geheimdienstes hin, die sich nach einer Untersuchung der kanadischen Regierung als völlig unbegründet, als Versehen, erwiesen haben, bei einer Zwischenlandung in New York ergriffen und dann von CIA-Agenten nach Syrien verschleppt wurde, wo er vom syrischen Geheimdienst 10 Monate eingesperrt und schwer misshandelt wurde (Vorsicht bei Zwischenlandung in den USA). Ebenso wenig gibt es eine Entschädigung oder gar eine Entschuldigung gegenüber dem nach Afghanistan verschleppten Deutschen al-Masri, um nur zwei Fälle zu erwähnen.
Das amerikanische Bermuda-Dreieck von Lagern und Gefängnissen
In dem von Bush schnell vor den Kongresswahlen im November noch durchgesetzten Gesetz wird aber offenbar auch nicht von den Gefängnissen gesprochen, die neben Guantanamo, wo es alleine noch über 400 Gefangene gibt, weiterhin im Irak, in Afghanistan oder etwa auf dem Stützpunkt Diego Garcia existieren. Von den mutmaßlich
30 hohen al-Qaida-Gefangenen, von denen Namen bekannt wurden, sind auch nur 14 nach Guantanamo gebracht worden, der Rest bleibt verschwunden. In Afghanistan gibt es neben Bagram mehrere geheime oder nicht offizielle Gefängnisse – in einem war al-Masri eingesperrt worden. Alleine in Bagram werden mehrere hundert Menschen gefangen gehalten, ohne dass sie einen Rechtsbeistand hätten oder sie angeklagt würden. In Afghanistan waren Misshandlungen von Gefangenen an der Tagesordnung.
These are enemy combatants who are waging war on our nation. We have a right under the laws of war, and we have an obligation to the American people, to detain these enemies and stop them from rejoining the battle.
US-Präsident Bush am 6. September 2006
Im Irak haben die Amerikaner in Camp Cropper ein neues Gefängnis gebaut und dafür Abu Ghraib verlassen. Dass nun Misshandlungen und Folter im Irak außerhalb und innerhalb der Gefängnisse durch Iraker überhand nehmen, UN-Mitarbeiter Martin Nowak die Ausübung von Folter als „außer Kontrolle“ und als weitaus schlimmer als während des Hussein-Regimes bezeichnet, kann nicht verdecken, dass die US-Truppen weiterhin um die 14.000 Gefangene haben. Die 2.000 noch verbliebenen Häftlinge aus Abu Ghraib wurden einfach nach Camp Cropper verfrachtet. Auch diese Gefangenen – Zehntausende gingen bereits durch amerikanische Lager und Gefängnisse – haben keine Rechte, werden in einem „legalen Vakuum“ gehalten und wurden oft willkürlich, wie Soldaten selbst einräumen, aus „Sicherheitsgründen“ festgenommen:
Captured on battlefields, pulled from beds at midnight, grabbed off streets as suspected insurgents, tens of thousands now have passed through U.S. detention, the vast majority in Iraq. Many say they were caught up in U.S. military sweeps, often interrogated around the clock, then released months or years later without apology, compensation or any word on why they were taken. Seventy to 90 percent of the Iraq detentions in 2003 were "mistakes," U.S. officers once told the international Red Cross.
Bilal Hussei ist einer dieser Gefangenen. Er ist ein irakischer Fotograf, der für Associated Press arbeitet und letztes Jahr den Pulitzer-Preis gewonnen hat. Seit einem halben Jahr sitzt er nun in einem amerikanischen Gefängnis. Ihm wird vorgeworfen, ohne dass jemals Anklage erhoben wurde, dass er Kontakte zu Aufständischen und Bilder gemacht habe, die er nur mit deren Einverständnis aufnehmen konnte. Immerhin hat er Kontakte mit Anwälten und ist sein Fall bekannt geworden, nicht zuletzt deswegen, weil der Präsident von AP in einem von der Washington Post veröffentlichten Beitrag die US-Regierung aufforderte, die Anschuldigungen zu beweisen und Hussei vor Gericht zu stellen.