Jedermanns Himmelfahrt
Seite 2: Nieder mit der NASA
Mehr Weltraumerfahrung als John Glenn, der 1962 als erster Amerikaner die Erde umkreiste, besitzt der Vorstandsvorsitzende von USL ohnehin. Fast 1200 Stunden verbrachte er außerhalb des blauen Planeten und leistete bei jedem Flug etwas, das keinem je zuvor gelungen war. Mit Gemini 5 stellte er 1965 einen Dauerflugrekord auf, der die USA an den UdSSR vorbeiziehen ließ. Mit Gemini 11 stieg er ein Jahr später 1300 Kilometer hoch auf, höher als je ein Astronaut zuvor. 1973, beim bislang letzten Raumflug, rettete er die Raumstation Skylab mit einer lebensgefährlichen und komplizierten Reparaturaktion.
Am Spektakulärsten jedoch verlief im November 1969 Pete Conrads dritter Ausflug ins All. Es war die zweite Reise der Amerikaner zum Mond, und sie begann damit, daß beim Start zwei Blitze in die Saturnrakete einschlugen, die Apollo 12 in die Umlaufbahn trug. Unter Kommandant Conrad landete das Mondmodul schließlich exakt 180 Meter neben der Raumsonde Surveyor. Der setzte sodann als dritter Mensch seinen Fuß auf den Erdtrabanten und stiefelte sieben Stunden lang durch das Meer der Stürme, kiloweise Gesteinsproben sammelnd. Nebenher stellte er ein kleines Atomkraftwerk auf, und zum Abschied gab's einen Knall: Conrad ließ, nachdem er und sein Partner Alan Bean zur Apollo-Kapsel zurückgekehrt waren, das Landegerät auf dem Mond zerschellen und erzeugte so das erste künstliche Mondbeben.
Über all das spricht Pete Conrad nicht gerne. Nicht weil es unangenehme Erinnerungen wären. Im Gegenteil. Es sind gute Erinnerungen. Doch eben Erinnerungen. Pete Conrad mag nicht in der Vergangenheit leben. Er zieht die Zukunft vor. Genauer: Er betet sie an, sie beherrscht sein Denken. Von Kindheit an waren seine Augen auf den Himmel gerichtet, und dessen endgültige Eroberung kann nur eine Epoche bringen, die den Lebenszeit und Kapital vernichtenden Praktiken der Vergangenheit abgeschworen hat.
Dieses Urteil wiegt umso schwerer, als Conrad von dem, was er heute so heftig ablehnt, mehr versteht als die meisten Menschen. Fast 20 Jahre diente der heutige Prophet privater Raumfahrt dem amerikanischen Staat, dabei keine Gefahr scheuend. Draußen vor dem Fenster seines Büros weht das Sternenbanner im sanften Sommerwind, im vollklimatisierten Innenraum sind die Wände mit persönlichen Auszeichnungen und Urkunden gepflastert, die der in Princeton ausgebildete Flugzeugingenieur und ehemalige Navy-Testpilot für seine außergewöhnlichen Abenteuer erhielt, von diversen amerikanischen Präsidenten, vom US-Senat, von Universitäten und wissenschaftlichen Vereinigungen.
Wer den langjährigen Regierungsangestellten heute allerdings auf die NASA anspricht, die nationale Weltraumbürokratie, kann erleben, wie Pete Conrads gute Laune verschwindet und in seiner jovialen Stimme plötzlich kalte, alte Wut schwingt. "Die sollten ihren Shuttle-Betrieb eher heute als morgen einstellen", bellt er ins Telefon. "Der Staat muß sich aus Geschäften raushalten, die privat zu erledigen sind, und vor allem sollte er die Finger von der Weltraumfahrt lassen."
So außergewöhnlich Pete Conrad ist, mit dieser Meinung steht er alles andere als allein unter den NASA-Veteranen, die in der aufstrebenden privaten Aerospace-Industrie den Ton angeben. Der Widerwille gegen den aufgeblähten Apparat und seine Kultur der Verhinderung und Verbote, unter der alles litt - die Sache wie die Menschen, die an sie glaubten -, ist geradezu epidemisch. Und natürlich gibt es auch einen Bösewicht, der für die NASA-Kritiker den staatsautoritären Sündenfall verkörpert: Wernher von Braun.
Da die NASA "von demselben Mann entworfen wurde, der Raketentechnologie für die Nazi-Kriegsmaschine entwickelte", schreibt etwa Jim Davidson, Präsident der Houston Space Society, sei ihr Ziel nicht gewesen, den Menschen freien Zugang zum All zu verschaffen, sondern "die Aktivitäten der Regierung über die Atmosphäre hinaus auszudehnen". Die einflußreiche Space Frontier Foundation fordert dementsprechend, die bürokratisch-zentralistische Weltraumpolitik aus der Zeit der Nazis und des Kalten Krieges zu überwinden: "Das neue kulturelle Modell für Menschen im Weltraum ist nicht das von-Braun-Paradigma, sondern die unternehmerische und spirituelle Energie der amerikanischen Frontier, symbolisiert durch die Öffnung Nordamerikas und des Wilden Westens durch die Pioniere, die unsere Vorfahren waren."
Pete Conrad ist haargenau derselben Meinung. "Was immer Regierungen tun", verkündet er im Tonfall einer päpstlichen Bulle, "sie tun es ineffizient, verschwenderisch teuer und im Schneckentempo. Ich will mit der Regierung nichts mehr zu tun haben. Ich will alles in einem Drittel der Zeit und zum halben Preis erledigen."
Sein Vorbild ist dabei Charles Lindbergh, der "lone eagle", der gewissermaßen im Alleinflug die Luftfahrt revolutionierte. "Wenn man sich vorstellt, man hätte an der Küste gestanden, als Lindbergh zu seinem Transatlantik-Flug aufbrach", pflegt Pete Conrad zu sagen: "Wer hätte sich damals vorstellen können, daß einst eine Zeit kommen würde, an dem vier Millionen Menschen in der Luft sind - an einem einzigen Tag. Genauso wird es mit dem Zugang zum Weltraum geschehen."
So weit aber, wie Lindbergh die Luftfahrt brachte, ist die Raumfahrt trotz ihrer spektakulären Erfolge noch lange nicht. "Lindbergh hat das praktisch allein bewerkstelligt, mit ein paar Leuten", sagt Pete Conrad: "Und es hat über 400 000 Amerikaner gebraucht, um Neil Armstrong oder mich auf den Mond zu bringen." Seine Stimme klingt für einen Augenblick fast traurig: "Unser Lindbergh ist noch nicht geflogen."
Daran aber, an der relativen Unterentwicklung der Raumfahrt, trägt nicht nur die Weltraumbürokratie Schuld. Kaum besser als sie funktionieren nach Meinung der privaten Newcomer die etablierten Aeorospace-Konzerne, die sich seit den Zeiten des Kalten Kriegs fett und träge vom Staatsgeld nähren. Auch mit ihnen hat Pete Conrad mehr Erfahrung als die meisten in seiner Branche. Denn kaum war seine Astronauten-Laufbahn beendet, lockte lukrativ der militärisch-industrielle Komplex.
Ein Vierteljahrhundert, bis zu seiner Pensionierung 1996, arbeitete der Ex-Astronaut in diesem semi-staatlichen Umfeld, einem wirtschaftlichen Soziotop, in dem Kostenkontrolle bis vor kurzem ein Fremdwort war und Schrauben oder Toilettensitze schon mal ein paar Hundert Dollar kosten durften. Zuletzt diente Conrad dem Rüstungskonzern McDonnell Douglas als Vize-Präsident. Er leitete die Entwicklung des Delta Clippers, eines wiederverwendbaren Raumgleiters, bei dessen Konzeption zum erstenmal eine kommerzielle Verwendung im Vordergrund stand. Den unbemannten Jungfernflug des DC-XA, eines ungewöhnlichen, senkrecht startenden und senkrecht landenden Gefährts - "ein Raketensystem, das glaubt, es sei ein Flugzeug" -, steuerten er und sein 30 Jahre jüngerer Flugmanager Thomas Ingersoll 1995 höchstpersönlich fern.
Bei dieser Gelegenheit kam den beiden auch die Idee, sich mit einer Firma selbständig zu machen, um so ihr Know-how besser, billiger und schneller zu nutzen, als das in den Diensten großer Apparate möglich war. Conrad war damals Mitte 60, die Pensionierung stand ohnehin an. Sein Leben lang hatte er für andere gearbeitet. Jetzt wollte er sich nicht zur Ruhe setzen, jetzt wollte er endlich sein eigener Chef sein und nach eigenem Wissen entscheiden können. "Darauf hatte ich so viele Jahre gewartet."
Was dabei herauskam, ist zwar ein besonders spektakuläres Beispiel für die aufstrebende private Weltraumfahrt. Ein Einzelfall ist USL jedoch beileibe nicht. Die Firma sei exemplarisch für den neuen Untermehmungsgeist, für den Abschied von der "big-budget, big program"-Mentalität, meint Ray Williamson vom Institut für Raumfahrtpolitik der George Washington University. Pete Conrad sagt es drastischer. Er mag ein Träumer sein, aber er ist ein Träumer mit Geschäftsplan: "Christopher Columbus ist nicht der Wissenschaft zuliebe über den Atlantik gesegelt. Er ist über den Atlantik gesegelt des Geldes wegen, nicht wahr?"