Jedermanns Himmelfahrt

Seite 5: Interplanetarische Massenbedürfnisse

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Natürlich gibt es Skeptiker. Mit drei wiederverwendbaren Raumgleitern, rechnen sie mathematisch nicht unrichtig vor, sei der maximale LEO-Markt auf ewig abgedeckt. Was also, fragen sie, kann man mit einer ganzen Flotille anfangen außer sich selbst zu ruinieren?

Thomas Ingersoll erinnert dieses Argument an den unglücklichen IBM-Chef Thomas Watson, der 1943 meinte: "Der Weltmarkt verträgt vielleicht fünf Computer." Verständlicherweise konnte sich der Mann all das nicht vorstellen, was die Menschheit heute mit Millionen PCs treibt, von denen jeder einzelne um ein Vielfaches leistungsfähiger ist als das, was man in den vierziger Jahren unter "Computer" verstand. Der Denkfehler des IBM-Bosses bestand schlicht darin, die Gegenwart, die er kannte, für alle Zeiten fortzuschreiben. Genauso weit dürften jene daneben liegen, glaubt man bei USL, die den Status quo zum Ausgangspunkt ihrer phantasielosen Bedenken nehmen.

"Sehr bald schon wird sich da ein gewaltiges Geschäft eröffnen", sagt Pete Conrad. Von der Eisenbahn über das Auto bis zum Computer hat in der Wirtschaftsgeschichte noch jede Verbilligung von Gütern, die für den Massenkonsumenten zuvor unerschwinglich waren, neue Märkte und überraschende Anwendungen geschaffen.

Die Alltagsbedürfnisse und Geschäftsgelegenheiten, die daraus entstehen, lassen sich bestenfalls am Beispiel des Global Positioning Systems (GPS) erahnen. Mit seiner Verbilligung inflationierten die von den militärischen Erfindern nie geahnten Anwendungen. Heute erleichtert GPS die Orientierung beim Autofahren und beim Segeln, es hilft bei der Verwaltung von Fuhrparks und Nutztierherden, es erlaubt, Container oder Fischschwärme bei ihren weltweiten Wanderungen zu verfolgen oder verschlagene Golfbälle und entlaufene Haustiere zu lokalisieren.

Wird der Start und die Verwaltung von Satelliten erst einmal so billig, wie es Conrad mit seinen Unternehmungen erreichen will, wird sich das Angebot an planetarischen und interplanetarischen Dienstleistungen mit Sicherheit vervielfachen. Conrad listet auf, was ihm für den Anfang vorschwebt:

Satelliten "for the rest of us". Universitäten werden sich Weltraumexperimente leisten können, mittlere und kleinere Privatfirmen eigene Kommunikations- und Überwachungssatelliten.

Eilpostzustellung. Private Expreßdienste werden den Weg durch den erdnahen Raum für Point-to-Point-Dienste nutzen. "Wenn man suborbital fliegt", sagt Conrad, "gibt es keinen Ort auf der Welt, der mehr als 45 Minuten entfernt ist." Das eröffnet die Möglichkeit, dringend benötigte Ersatzteile oder wichtige Dokumente weltweit im Laufe eines Arbeitstages zuzustellen. Bei Federal Express hat man bereits entsprechende Wirtschaftlichkeitsstudien angestellt - die angesichts schrumpfender Lagerhaltung und des damit wachsenden Bedarfs an Eilzustellungen in Industrie und Handel positiv ausfielen.

Beseitigung von Raummüll. Rund 20 Milliarden Trümmerstücke hat die bisherige Raumfahrt in Erdnähe hinterlassen. Fast 8000 davon sind groß genug, um Satelliten zu zerstören, und erfordern daher ständige Beobachtung. Mit jedem weiteren Trabanten, der in die Umlaufbahn geschossen wird, steigt die Wahrscheinlichkeit eines kostspieligen Zusammenstoßes. Conrad meint, Regierungen und Satellitenbetreiber werden nicht umhinkommen, das Einsammeln des Weltraummülls finanziell zu fördern - eine weitere Einnahmequelle für Gesellschaften wie Universal Space Lines. Man könnte, statt nach dem Aussetzen der Satelliten leer zur Erde zurückzukehren, zusätzliches Geld mit Weltraummüllabfuhr verdienen.

Rohstoffgewinnung auf dem Mond und Fabrikation im All.

Tourismus - in Conrads Augen die Geldmaschine überhaupt. "Bis vor kurzem erntete Pete immer Gelächter, wenn er darauf zu sprechen kam", sagt Ingersoll. Doch das hat sich ein wenig geändert, seit japanische Konzerne allen Ernstes die ersten Hotels auf dem Mond planen. Zudem haben einschlägige Meinungsumfragen in den USA ergeben, daß es 60 Prozent aller Amerikaner nach einem Ausflug ins All verlangt und daß Zehntausende von Wohlstandsbürgern, die heute fünfstellige Summen für Kreuzfahrten und kostspielige Abenteuerurlaube verpulvern, auch bereit wären, ein wenig mehr für Raumtourismus aufzuwenden.

Am Markt also mangelt es nicht, nur - vorerst noch - an der Technik. An ihrer Entwicklung jedoch zweifeln Conrad & Co. nicht. "In 15 Jahren wird Raumtourismus schon nichts Besonderes mehr sein", sagt Thomas Ingersoll. Die Raumfahrt werde der Luftfahrt schnell den Rang ablaufen, bis sich Kontinentalflüge zu Mondreisen verhalten werden wie heute Butterfahrten zum Fernurlaub.

Menschenskinder zuerst

Im Zimmer des Vorstandsvorsitzenden von Universal Space Lines nehmen sich derlei futuristische Überlegungen überraschend normal aus. Über der vollklimatisierten Innenwelt liegt jenes konstante Hintergrundrauschen, das den Soundtrack der Star-Trek-Serie kennzeichnet. Auf dem bescheidenen Chef-Schreibtisch drängeln sich die Modelle der Flugzeuge und Raumschiffe, die Pete Conrad im Laufe des vergangenen halben Jahrhunderts geflogen hat. Daneben steht ein Globus, der jenen runden Überblick gewährt, den in der Realität erst ein paar Dutzend Menschen gewinnen konnten.

"Es geht mir ziemlich auf die Nerven, wenn die Leute sagen, schau dir Pathfinder und diesen Rover an, das bedeutet ja, daß wir nicht selbst zu gehen brauchen", sagt Pete Conrad. "Das stellt die Dinge auf den Kopf."

Der Mann ohne Alter ist ein Pionier; ein Abenteurer, der etwas wagte und überlebte, wovon die Mehrheit nur träumt. Erfahrungen einzig auf dem Bildschirm zu machen und den Weltraum ferngesteuert zu erobern, liegt ihm nicht. Was die Raumtechnik angeht, denkt er wie die Propagandisten der digitalen Revolution: Beides soll dem "empowerment" dienen, der Steigerung menschlicher Möglichkeiten - nicht der des Kollektivs, sondern der des Individuums. Sein Glück, der "pursuit of happiness", ist das Maß aller Dinge.

Insofern ist es kein Schönheitsfehler, sondern nur konsequent, daß Pete Conrad, wenn er der Menschheit den Weg ins All ebnen will, dabei sich selbst ganz augenscheinlich als einen der Menschen sieht, die von seinen Anstrengungen zuallererst profitieren sollen. "Pete hat mir vor einigen Jahren eine persönliche Führung durchs All versprochen", lacht Thomas Ingersoll. "Ich verlasse mich darauf."

Was aber, wenn es mit dem Jungfernflug der Universal Space Lines doch nicht klappen sollte? Jedenfalls nicht bis 2010, rechtzeitig vor Pete Conrads 80. Geburtstag? Wäre er dann bereit, zur Not noch mal mit der NASA zu fliegen?

"Wir werden unseren Zeitplan einhalten", antwortet Conrad bestimmt. "Außerdem glaube ich kaum, daß die NASA mir noch einmal ein Angebot macht." Dann stockt der Mann, der sonst nie um eine Antwort verlegen ist, für einen auffälligen Augenblick. Um schließlich durchzuatmen und trocken zu lachen. "Aber falls doch, werde ich natürlich versuchen, die Zeit dafür zu finden."