Jedermanns Himmelfahrt
Seite 4: Programmiert ins All
Für die Mixtur aus erfahrenen Weltraumprofis und Programmierern, zu deren prägenden Kindheitserfahrungen die vorm Fernseher verfolgte Mondlandung gehört, bietet USL ein hervorragendes Beispiel. 1996 mit nur 1,1 Millionen Dollar privater Investoren gegründet, hatte die Firma am Ende des ersten Geschäftsjahrs 28 Angestellte, heute sind es bereits 55, darunter viele Raumfahrtveteranen; vom Astronauten Thomas "T.K." Mattingly, der mit Apollo 16 und dem Space Shuttle flog und auch den Bau der Atlas 2AS Rakete überwachte, über die Wissenschaftler, die das Kommunikationssystem des Space Shuttle und das Apollo-Mondmodul entwarfen, bis zu den Technikern, die Thor-, Delta-, Saturn- und Titan-Raketen warteten und starteten. Zusammengenommen gebietet die Firma so über ein paar hundert Arbeitsjahre hochwertiger NASA-Erfahrung.
Daß die Neugründung jedoch "rocking and rolling" ist, wie Pete Conrad stolz verkündet; daß USL bereits nach einem Jahr acht mal so viel einnahm, wie der Geschäftsplan vorsah, und damit wider Erwarten schwarze Zahlen schreibt, verdankt die Firma primär ihrer Programmiererschar. Denn das Gros der Einnahmen stammt aus einer Dienstleistung, mit der man sich zugleich Know-how für den Betrieb der eigenen Raumflotte verschafft: USL produziert - für die NASA-Raumgleiter X-33 und X-34 sowie für das Military Space Plane - hochspezialisierte Software, die all die Steuerungsvorgänge für Raketenstarts und Satellitenstationierungen optimiert und automatisiert, bei denen heute noch menschliche Kontrolleure ihre teuren Fehler machen können.
Und auch das am weitesten realisierte Projekt der Firma, das Universal Space Net, das weltweit erste privat entwickelte und betriebene Kommunikationsnetzwerk, das seine Dienste kommerziell anbietet, verdankt sein Entstehen wesentlich innovativer Programmiererleistung. Bislang pflegt jeder Satellitenbetreiber eigene Bodenstationen zu installieren und proprietäre Kontroll-Software zu entwickeln, oft sogar auf einen bestimmten Satelliten oder eine bestimmte Familie von Satelliten zugeschnitten. Der Preis ist enorm: Jede Station erfordert im Schnitt Investitionen von 1,5 Millionen Dollar, hinzukommen Betriebskosten zwischen einer halben und drei Millionen Dollar jährlich, je nach Ausstattung und geographischer Lage. Und das alles bei einer durchschnittlichen Lebensdauer pro Satellit von nur drei Jahren.
Die Höhe des erforderlichen Einsatzes verhindert nicht nur, daß kapitalschwächere Firmen in das Satellitengeschäft einsteigen können. Die Praxis verteuert auch die angebotenen Leistungen dramatisch. Pete Conrad hält sie daher für so ruinös, als hätten einst die konkurrierenden Eisenbahngesellschaften beim Ausbau ihrer Strecken Schienen verschiedener Breite verwendet, so daß jede Route gleich mehrfach hätte verlegt werden müssen. Statt dessen einigte man sich bekanntlich auf Einheitsschienen, weshalb alle Züge überall verkehren konnten. Die Konkurrenz fand über Preis und Leistung statt, nicht über technische Standards.
Mit dem Commercial Ground Network (CGN) - Stationen in Alaska und Pennsylvania sind einsatzbereit, ebenso die Zentrale in Newport Beach; eine Bodenstation auf Hawaii geht demnächst online, weitere in Florida und Norwegen sind in Vorbereitung - offeriert USLs Ableger Universal Space Net kleineren und mittleren Einsteigern erstmals einen erschwinglicheren Satellitenservice zur Miete. Wichtiger jedoch als die Hardware-Installationen sind für Pete Conrad die von USL produzierten Software-Lösungen. Sie bieten den Kunden die Möglichkeit, sich in Universals Space Net einzuwählen und über eine einfache graphische Benutzoberfläche die verschiedensten Satelliten per Computer fernzusteuern. Indem sie die erforderlichen Kommunikationstandards setzt, soll diese Software nachhaltig die Praxis der Bodenkontrolle verändern.
Wie immer sind Conrads Pläne dabei über das Tagesgeschäft hinaus gesteckt. Er denkt an den Aufbau eines globalen "space orbit management", einer organisierten internationalen Verwaltung des knappen erdnahen Raums, einer Mischung aus Verkehrslenkung und Parkservice. "Irgendwer muß ja sicherstellen", sagt er, "daß diese Unmengen von Satelliten, die in den kommenden Jahren hochgeschossen werden, auch an den richtigen Orten geparkt sind."
Im Geschäftsplan von Universal Space Lines erfüllt das Space Net einen dreifachen Zweck. Es erlaubt der Firma, eine kommerzielle Infrastruktur zur Kommunikation mit Satelliten und Raumschiffen aufzubauen. Es läßt sie Know-how gewinnen und neue Software erproben. Und es hilft, last but not least, die laufenden Kosten zu decken, bis man endlich mit dem beginnen kann, wofür USL schließlich gegründet wurde: dem Betrieb einer Firmenflotte von wiederverwendbaren Raumschiffen.
Deren Entwicklung wird zwar auf breiter Front betrieben. Die NASA, die, dem politischen Willen folgend, derweil die Privatisierung der Raumfahrt fördern muß, hat verschiedene Forschungsprojekte ausgeschrieben. Nicht nur die üblichen Rüstungskonzerne, auch zahlreiche private Neugründungen wie Kelly Space & Technology in San Bernhardino, Space Access in Palmdale, Rotary Rocket Company in Mountain View, Pioneer Space Plane in Denver und vor allem Kistler in Seattle, von einflußreichen Finanziers mit Hunderten von Millionen Dollar ausgestattet, haben daran teilgenommen und Prototypen angekündigt.
Doch die Ergebnisse lassen länger auf sich warten, als nicht nur Conrad noch vor zwei Jahren geglaubt und gehofft hatte. "Wenn man die Probleme sieht, die die alle haben!" klagt er. "Die Zeitpläne verschieben sich weiter und weiter nach hinten ..." Selbst wenn er die Trennung von Herstellern und Betreibern in der Raumfahrt weiterhin für richtig und wichtig hält, einfach stillzusitzen, gutes Geld mit Satellitenservice zu verdienen und auf den endlichen Erfolg der anderen zu warten, war Conrads Sache nicht. "Wir kamen zu der Ansicht, daß wir am Ende besser dastehen könnten, wenn wir unsere eigenen Startsysteme bauen."
Einweg-Discount-Rakete
Das Ergebnis dieser Überlegung ist eine weitere Firma, die Rocket Development Company (RDC). Bei ihr hält zwar USL die finanzielle Mehrheit, organisatorisch jedoch sind die beiden Conrad-Firmen, dem Dienstleistungs-Credo folgend, streng getrennt. Der Gründer selbst ist die einzige Person, die für beide tätig ist. RDC entwickelt auch nicht wiederverwendbare Raumgleiter, wie sie USL erwerben möchte, sondern eine Billigrakete namens Intrepid. "Da klafft eine riesige Lücke", sagt Pete Conrad, "zwischen den sehr teuren Start-Vehikeln, die es heute gibt, und der Heraufkunft wirklich wiederverwendbarer Vehikel, die am Ende die Einweg-Start-Geräte ersetzen werden."
Die Intrepid soll diesem Mangel an einem billigen Arbeitstier abhelfen. Ihr simples Design, die geplante Massenherstellung in einem fließband-ähnlichen Produktionsprozeß, bei dem soweit als möglich kommerzielle Standardmaschinen und Bauteile verwendet werden sollen - das alles überzeugte die NASA bereits, RDC zu beauftragen, für die Zwecke der Weltraumbehörde die Bantam-Low-Cost-Rakete zu entwerfen und zu bauen.
RDC selbst will ab 2001 in einer Fabrik, die in New Mexico entsteht, pro Jahr 50 modulare Einweg-Discount-Raketen mit einer Nutzlast zwischen 1100 und 5500 Kilo herstellen. Starten soll sie eine nur 15köpfige Crew und das obendrein "on demand": Die Kunden werden ihren dank RDC-Software vollautomatisierten Start bereits zehn Tage nach Bestellung geliefert bekommen.
Gut hundert neue Satelliten dürften in naher Zukunft jährlich in erdnahe Umlaufbahnen geschossen werden. Die Gesamtzahl der funktionierenden Kommunikationssatelliten wird sich dabei im nächsten Jahrzehnt von heute rund 150 auf über 1000 erhöhen. Hinzu kommt der notwendige Ersatz, denn die durchschnittliche Lebensdauer von Low-Earth-Orbit-Satelliten (LEOs) beträgt gerade mal fünf Jahre. Im Augenblick leidet die Industrie unter einem eklatanten Mangel an Startmöglichkeiten. "Die könnten alle viel mehr Satelliten verkaufen", sagt Thomas Ingersoll, "wenn sie nur über mehr und billigere Möglichkeiten verfügen würden, die auch in die Umlaufbahn zu kriegen."
Unternehmungen wie Lorals Cyber-Star, TRWs Odyssey oder das Iridium-Projekt, bei dem der Betreiber Motorola derweil mit dem Teledesic-Vorhaben des Milliardär-Gespanns Bruc McCaw/Bill Gates zusammenarbeitet, sehen ein Investitionsvolumen von über 50 Milliarden Dollar vor. RDC fühlt sich, was diese Geldtöpfe angeht, mit seinem Angebot im Wettbewerbsvorteil, da die etablierte Konkurrenz zu vergleichbaren Serviceleistungen nicht in der Lage ist - weder die schwerfälligen amerikanischen Aerospace-Konzerne noch die staatlichen Raumfahrtorganisationen Westeuropas und des Ex-Ostblocks, deren Kundendienst eine RDC-Broschüre als "schwer berechenbar, wenn nicht total erratisch" einschätzt.
Bei RDC hofft man daher, binnen kurzem gut 35 Prozent des boomenden Launch-Marktes für LEOs zu erobern; eine Vorstellung, deren Erfüllung nicht ganz unwahrscheinlich ist, da schließlich Bruce McCaw, der "Vater der Funktelefonie" und die treibende Kraft hinter Teledesic, im Aufsichtsrat von RDC sitzt.
"Das alles versorgt uns mit Erfahrungen", sagt Conrad, "die auch für ein wiederverwendbares System wichtig sein werden." Und wenn nicht, so doch wenigstens mit einem gesunden cash-flow.