Jens Spahn gegen Generation Z: Arbeit, Arbeit, nichts als Arbeit?

Debatte um Arbeitsmoral: Weg vom "Sado-Liberalismus", hin zum guten Leben für alle. Fragen Jüngere nicht zu recht nach dem Sinn? Ein Kommentar.

Seit Monaten wird im deutschsprachigen Raum über die Arbeitsmoral, insbesondere die der jungen Generation diskutiert. Der deutsche Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn hat eine klare Meinung: Die Beschreibung der Bundesrepublik als "Freizeitpark" hält er "nicht für komplett abwegig".

Während laut einem Bericht der Ärzte Zeitung mehr als ein Drittel aller in Deutschland Beschäftigten über körperliche und geistige Erschöpfung klagt und 20 Prozent von Burnout-Symptomen wie Dauermüdigkeit, Konzentrationsstörungen oder einer starken Ablehnung der eigenen beruflichen Tätigkeit berichten, fordert Spahn längere Arbeitszeiten.

Die Äußerungen des CDU-Politikers gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung stießen im Netz auf scharfen Widerspruch – auch und vor allem von Pflegekräften – und stehen im Kontrast zu den Vorstellungen junger Berufsanfänger, die sich eine bessere Work-Life-Balance wünschen.

"Danke, dass ich hier atmen darf"

Der Generation Z schmeckt die Arbeit nicht, meinen zumindest viele der älteren Erwerbsarbeitenden – in Deutschland wie in Österreich. So auch die Chefredakteurin des peppigen Magazins Biber aus Wien. Sie beschwerte sich bereits vor einem Jahr darüber, dass jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mal locker abwinken bei anstehenden Arbeitsaufgaben, weil der Hund ausgeführt werden muss. Habe es früher so nicht gegeben.

Okay. Die Äußerungen der Chefredakteurin Aleksandra Tulej gingen viral und wurden jetzt wieder in Deutschland aufgegriffen. In ihrer Generation (Millennials) war man laut Tulej noch in hierarchischen Strukturen verankert, die zwar als falsch, aber auch unabänderlich erachtet wurden.

Man war froh Teil einer Redaktion sein zu dürfen und sagen zu können: "Wow, danke, dass ich hier atmen darf." Atemluft ist sicherlich Grundbedingung für Redaktionsarbeit, sich über sie zu freuen, legt die Latte aber schon ein bisschen sehr tief.

Arbeitseifer hilft nicht gegen "Marktbereinigung"

Die Diskussion über den richtigen Arbeitseifer ist eines jener tückischen Blendwerke unserer Mediengesellschaft, weil es scheinbar einen neuralgischen Punkt anspricht, dabei aber die entscheidenden, strukturellen Probleme außer Acht lässt.

Übrigens, die wirklich gute Zeitschrift Biber wurde mit Ende des Jahres 2023 eingestellt. Offenkundig hilft kein Arbeitseifer gegen medialen Wandel und "Marktbereinigung".

Tendenziell wird auch im Zuge der Digitalisierung weniger menschliche Arbeitskraft benötigt werden. Und dann?

Worüber diskutieren wir hier überhaupt?

Diskussionen wie die über die Arbeitsmoral junger Menschen haben zunächst einen fundamentalen Baufehler, nämlich den der unmöglichen anekdotischen Evidenz. Alle Diskutierenden der aktuellen "Arbeitsdebatte" haben mal hier, mal da was gehört und sich dann wahnsinnig aufregen müssen.

Nur ist seit der Antike umfassend belegt, dass Menschen manchmal einen kruden Unsinn von sich geben, über den sie kaum oder überhaupt nicht nachgedacht haben. Das allein bedeutet nichts.

Blöd läuft es allerdings, wenn zufällig gerade ein Aufnahmegerät in der Nähe ist und jemand die Äußerung in den sozialen Medien postet. Es entsteht dann eine jener Erregungswellen, die niemandem nützt. Kurioserweise betonen fast alle Beteiligten sogleich, dass die sozialen Medien und deren Filterblasen Mitschuld sind, dass solche Debatten überhaupt entstehen.

Differenzierte Analysen kommen zu kurz

Eine klassische Contradictio in adiecto, denn wenn die Filterblasen wirklich so gut funktionieren würden, wie alle wortreich beklagen, dann blieben doch die allermeisten Menschen von dem ganzen Unsinn verschont und würde nie davon erfahren. Leider ist das Gegenteil wahr.

Die Öffentlichkeit muss sich dauernd mit unausgegorenen Privatmeinungen herumschlagen, die – so funktionieren eben die Algorithmen – stets mehr Verbreitung erfahren als differenzierte Analysen.

Unzufriedenheit mit den Verhältnissen

So weit, so belanglos. Nur, das Leid eines Menschen sollte immer ernst genommen werden. Egal wie ungeschickt es sich äußert. Die Öffentlichkeit darf festhalten: Den jungen Leuten geht es nicht gut in der Arbeitswelt und vermutlich haben sie dafür gute Gründe.

Diese Gründe gilt es ernst zu nehmen, gerade auch dann, wenn sie sich verquer artikulieren. Mitglieder der Generation Z fühlen sich schlecht bezahlt, auch wenn sie eigentlich relativ hohe Gehälter bekommen.

So wie jene TikTokerin, die ein Einstiegsgehalt von 36.000 Euro brutto im Jahr für nervenzusammenbruchauslösend gering erachtet – zumindest als Vollzeitkraft mit nur 30 Tagen Urlaub im Jahr.

Bullshitjob bleibt Bullshitjob

Darüber lässt es sich leicht lustig machen und echauffieren, ohne zu beachten, dass diese junge Frau in eine Gesellschaft mit ruinösen Zwecksetzungen geboren wurde. Man lebt heute auf großem Fuß und das ist eben teuer. Die Angst, nicht mithalten zu können, ist ein hochgefährlicher, gesellschaftlicher Disziplinierungsapparat.

Arbeit, Studium, Leistungsbereitschaft sollen sich deshalb üppig auszahlen. Nur leider bleibt eben ein gut bezahlter Bullshitjob ein Bullshitjob.

Es ist so, als müsste jene Generation die Erfahrung erneut machen, dass das "Angebot" einer kapitalistischen Gesellschaft: "Mach etwas, was Du nicht magst, für falsch hältst und das sogar schädlich ist, kassiere dafür aber eine Haufen Geld", niemals aufgeht. Am Ende überwiegt die seelische Aushöhlung, je früher ein Mensch dies erkennt, desto besser.

Siehe meinen Fleiß!

Eigentlich spüren das ja alle und an der Stelle wird die Diskussion interessant. Eine entscheidende Frage bleibt hier nämlich im Hintergrund: Warum haben so viele (ältere) Menschen überhaupt das Bedürfnis ihr "richtiges Arbeiten" und die entsprechende Arbeitsmoral zu betonen?

Zunächst: Arbeit kann nur als Akt der Solidarität empfunden werden, wenn sie sinnvoll ist. Aber was ist sinnvoll? Um beim Beispiel Medienarbeit zu bleiben: An jenem fernen Tag, an dem endlich die Maxime durchgesetzt wird, dass nur mehr jene Arbeit geschieht, die gesellschaftlichen Nutzen hat und die Arbeitenden bereichert, stellen vermutlich alle Socialmedia-Abteilungen ihre Arbeit ein.

Seien wir ehrlich, wir haben diesen Unsinn doch nie gewollt, der uns in unendliche Kreisläufe der Anpreisung und Selbstanpreisung drängt. Werbung war schon immer eine allenfalls weitentfernte Verwandte der Wahrheit, aber was in den neuen Medien läuft, ist übergeschnappt und krankmachend. Aber dafür ist Geld da und da sind die Jobs. Im Journalismus immer weniger.

Weniger Chancen, als sinnvoll empfundene Arbeit zu finden

Es mag sein, dass die Mitglieder einer Redaktion lieber mit dem Hund spazieren gehen, weil sie in ihrer Arbeit keinen Sinn mehr sehen. Es kann aber auch sein, dass sie ganz haltlose Egoisten sind, über die kein weiteres Wort verloren werden muss, denn das ist ein privates Phänomen.

Wer das Glück hat in dieser Gesellschaft eine Aufgabe gefunden zu haben, die nicht himmelschreiend sinnlos ist, hat selten das Bedürfnis, die Arbeitsmoral anderer zu überwachen. Der oder die macht einfach, was ihm oder ihr Freude bereitet und darf hoffen, dass dies andere mitzieht.

Nur, die Möglichkeiten dafür reduzieren sich zusehends. Digitalisierung und Automatisierung würden Raum schaffen für mehr bezahlte Arbeit im Bereich Kultur und Soziales. Vorsichtig formuliert: Es sieht nicht danach aus. Die Ausbeutungsmaschine wird nur noch unerbittlicher. Im Amazon-Lager kommt auch dieses Jahr wieder keine rechte Weihnachtsstimmung auf.

Generationenkonflikt: Warum sollten es Jüngere besser haben?

Hiergegen müsste gemeinsam angekämpft werden, stattdessen gibt es Schuldzuweisungen, Der Dialog zwischen den Generationen wird von den Älteren meist insgeheim so geführt: "Ich habe das durchgestanden ohne zu murren, habe mich gebeugt und nun sollst Du das auch tun!"

Jene die ihre Arbeitsmoral betonen, machen dies nicht, weil sie mit sich selbst und ihrer Leistung zufrieden sind, sondern fast immer, weil sie den Verdacht haben, andere seien nicht leistungsbereit und würden sich auf "unsere" Kosten ein leichtes Leben machen.

Dass sich dabei nicht selten zugleich eine Abscheu gegenüber den eigenen Arbeitsaufgaben artikuliert, wird gerne übersehen. Manchmal könnten Beobachter den Verdacht haben, alle sind unzufrieden mit dem was sie tun und achten sorgsam darauf, dass nur ja niemand den "Hammer beiseitelegt". Das wechselseitige Beäugen allein verhindert die notwendige Solidarisierung.

Die Disziplinierung erkennen

Die Politik in Österreich fördert genau dieses Grundgefühl der unausweichlichen Notwendigkeit des Zwangs zur Arbeit. Die meisten Instrumente der Arbeitsmarktpolitik zielen auf Überwachung und Strafen.

Und wer nichts hat, so wird empathielos konstatiert, ist eben selber schuld. Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer machte dies in einem geleakten Video im Sommer unmissverständlich deutlich. Im Grunde darf man ihm dankbar sein, dass er so ungeschickt ist und die bestehenden Unterdrückungsstrukturen offenlegt.

Wer hier dem Kanzler applaudiert, übersieht, wie man sich damit unter Druck setzt und sich in die politisch intendierte Selbstdisziplinierung begibt. So kommt es, dass der Neoliberalismus den Menschen Arbeitsleistung in Bereichen abverlangen kann, die sie teilweise aus gutem Grund verabscheuen.

Zahlende Zuschauer in Arbeitshäusern zur Umerziehung

Das Drangsalieren von Erwerbslosen kommt traditionell gut bei der Bevölkerung an. Die Stadt Wien verfügte zu den Zeiten der zu Unrecht gefeierten Kaiserin Maria Theresia über Arbeitshäuser in denen Arbeitsscheue (es waren meist schlicht Menschen ohne Erwerb) interniert wurden, um sie zum Fleiß zu erziehen.

Gegen ein kleines Entgelt durfte die interessierte Bevölkerung den Insassen beim Schuften zugesehen. Wie weit sich die österreichische Volksseele hier weiterentwickelt hat, bitte im nächstgelegenen Chat-Room diskutieren.

Etwas fehlt bei nahezu jeder Diskussion über die Arbeitsmoral. Es wird selten oder nie danach gefragt, ob die Arbeit wirklich so hundselendig sein muss. Ob sich nicht vielmehr die Arbeitsbedingungen an die Bedürfnisse und Fähigkeit der Arbeitenden anpassen lassen.

"Flexibilität, Dauerleistung und Klappe halten"

Ganz im Gegenteil: "Flexibilität, Dauerleistung und Klappe halten" ist die Trias des längst sadistische Züge annehmenden Arbeitslebens.

Mindestens zwei Parteien im österreichischen Nationalrat rufen ununterbrochen danach Sozialleistungen zu "überdenken" und am besten gleich zu kürzen, damit der Wirtschaftsmotor wieder läuft. Die Drohung kommt bei den meisten an, wird internalisiert und dann als eigene, vorbildliche Haltung angepriesen.

Die Generation Z spürt dies vielleicht. Sie hat nur meist keinen erkennbaren Plan, wie dies zu ändern sei. Einfach die Arbeit einzustellen ist wenig zielführend. Das widerständige Potenzial könnte somit auch bei dieser Generation bestenfalls in Individuallösungen versickern, ohne gesellschaftliche Änderungen festschreiben zu können.

Kerkermeister oder Insasse?

"Der eindimensionale Mensch" kann sich anscheinend nur entscheiden zwischen Kerkermeister oder Insasse. "Beute aus, auf dass Du nicht ausgebeutet wirst" ist sein geheimes Credo. Am Ende verlieren in dieser Arbeitswelt alle, denn die Entfremdung ist ein Gift das tief in die Knochen sickert.

Mag die wirtschaftliche Not und der daraus erwachsende Zwang für Lohnabhängige enorm sein und selbstverständlich vornehmliches Problem, dann darf man sich vorweihnachtlich auch diese Frage stellen: Haben Sie schon einmal einen Milliardär lachen sehen? Wenn, dann ist dies allenfalls ein Schmunzeln aus Gehässigkeit.

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