Johnny Depp in Taka-Tuka-Land

Piraten reloaded: Rob Marshall entwickelt die "Fluch der Karibik"-Saga weiter

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Typisch, typisch, wir leben in paradoxen Zeiten. Einerseits hat sich die Filmindustrie die Bekämpfung der Piraterie auf die Fahnen geschrieben, andererseits schwenkt sie selbst mit Vorliebe die Piratenflagge: "Pirates of the Caribbean", zu deutsch "Fluch der Karibik", ist die einzige wirklich originelle und innovative Blockbusterfranchise im Hollywood-Sequelland. Jetzt ist der 4.Teil im Kino zu sehen.

Dieser Jack Sparrow - Captain Jack Sparrow, wie er gern insistiert - ist schon ein merkwürdiger und ganz besonderer Filmheld. Kein Muskelprotz, wie die Terminator, Rambos und Rocky früherer Jahrzehnte, auch kein Film-Noir-Detektiv im Anzug oder ein Indiana Jones (dem er noch am ähnlichsten ist), sondern eher ein Dandy des Meeres. Bequem, nicht immer mutig, mit weichen, zum Teil sogar femininen Zügen. Außerdem eher passiv: Er wartet ab, lässt die Dinge gern auf sich zukommen - aber wenn es wichtig wird, ist er zu Mut und zur richtigen Handlung immer in der Lage. Und wenn er sich durch die Schiffswanten, von Lüster zu Lüster durch prächtige Säale und über Urwaldpalmen schwingt, dann wirkt er wie ein Tarzan des Barockzeitalters.

Alle Bilder: Walt Disney

Von Johnny Depp gespielt war es für diesen großartigen Schauspieler des US-Autorenkinos auch die große Chance Blockbusterdimensionen zu erreichen - die Rolle hat er in ihren hippeligen, nervösen Körperbewegungen, in ihrer Grundhaltung, die immer ein wenig wirkt, als würde Sparrow unter Drogen stehen, nach eigener Auskunft seinerzeit an die Körperlichkeit des Rolling-Stones-Gitarristen Keith Richards angelegt. Und Richards ist damit offenbar sehr zufrieden, denn in "Pirates of the Caribbean - Fremde Gezeiten" der vierten Folge des offenkundig unkaputtbaren Piratenfantasy-Spektakels, die gerade auf den Filmfestspielen von Cannes Premiere hatte, spielt er jetzt, wie schon im dritten Teil, in einem kurzen, hübschen Auftritt den Vater von Sparrow.

In drei Abenteuern war Sparrow zuvor zu sehen, immer abgründiger, verrückter, auch esoterischer wurden die Geschichten, bei denen jeweils Gore Verbinski Regie führte - "Pirates of the Caribbean" war der große Überraschungserfolg unter der Blockbusterszene des vergangenen Jahrzehnts. Nichts Geringeres als die Wiedergeburt eines totgesagten Genres gelang dem bis dato weitgehend unbekannten Verbinski mit seinem Überraschungserfolg.

Dessen Geheimnis waren Ironie und (post-)moderner Relativismus: Munter mixte der Film altmodische Motive und moderne Erzählweise, kombinierte Versatzstücke des Mantel- und Degen-Genres mit Elementen des Horrorfilms und benutzte das Image seines Stars Johnny Depp geschickt zur Etablierung eines dandyhaften, ebenso ausdrucksstarken wie komischen Helden. Wohltuend konterkarierten der grundsätzliche Unernst und die Frechheit des Films den Kinotrend der Zeit, als in Hollywood moralisierende Filme mit besinnlicher Botschaft wieder in Mode waren.

Die Handlung von "Pirates of the Caribbean - Fluch der Karibik 2", der zeitgleich mit einem dritten Teil gedreht wurde, begann einige Zeit nach Ende des ersten Teils. Den folgenden Teilen dieser Geschichte war ihre Konstruiertheit weitaus stärker anzumerken als dem ersten Teil, der wie aus einem Guss wirkte. Es dominierte offensichtlich die Frage, wie man den Erfolg wiederholen könne, ohne an Originalität zu verlieren oder die ironisch-reflexive Erzählhaltung aufzugeben.

Deren Beibehaltung gelang denn auch vortrefflich: Erneut ging es nicht um Gut oder Böse und schon gar nicht um die Rettung der Welt. Man nahm sich nicht sonderlich ernst, wohl aber sein zutiefst romantisches Genre. Daher feiert er die Bewegung der Körper seiner Stars als Selbstzweck, zeigt Degengefechte, Kämpfe mit Ungeheuern und nicht zuletzt immer wieder turbulente Fluchten vor überlegenen Gegnern - temporeich, aber voller Genuss und immer eine Spur zu übertrieben.

Wer den Piratenfilm liebt, wusste diese Herangehensweise zu würdigen, zumal viele Szenen mit Anspielungen auf Klassiker des Genres gespickt waren, insbesondere auf frühe Fairbanks-Filme. Über eine gewisse Ziellosigkeit und das Mäandern der Handlung konnte dies aber nicht hinwegtrösten.

Der vierte Teil, bei dem nun Rob Marshall Regie führt, hat zunächst einmal Orlando Bloom und Keira Knightley entsorgt und entfernt sich noch stärker als die Vorgängerfilme vom Piratengenre. Stattdessen wirkt das wie ein Hybrid aus "Herr der Ringe", "Avatar" und Horrorkino.

Alles beginnt im Schmuddel- und Matsch-London des 18 Jahrhunderts: Georg II. regiert und schickt halblegale Freibeuter gegen die Spanier aufs Meer. Die haben derweil das Tagebuch des berühmten (und historischen) Konquistadors Juan Ponce de Leon gefunden - und darin den Zugang zu den Quellen der ewigen Jugend. Der König schickt mehrere Schiffe aus, um hier den Spaniern zuvor zu kommen - auf einem ist auch Sparrow.

Das eigentliche Problem ist die barocke Überladenheit des Films. Als trauten die Macher einem Storyelement nicht, schaffen sie in jeder Situation deren drei, geben aber die Fäden schnell wieder aus der Hand.

Am besten ist der fantasiereiche, angenehm unprätentiöse, aber wenig überraschende Abenteuerfilm daher in seinen oft atemberaubenden Action- und Slapstickszenen, die, obschon mit Computerhilfe entstanden, weitaus realistischer und beeindruckender wirken als in vielen anderen Filmen - und immer dann, wenn der Film sich selbst ironisch reflektiert.

Egal, die Handlung, die mitunter konfus ist, ist eigentlich nur Nebensache und Gelegenheit, ausgiebig filmische Schauwerte auf der Leinwand auszubreiten: Dazu gehören ganz besonders die Meerjungfrauen, die Vampirzähne haben und gleich rudelweise angreifen. Eine wird schließlich gefangen, weil man ihre Tränen braucht, und in einer Art Schneewittchensarg durch den Dschungel getragen.

Johnny Depp in Taka-Tuka-Land (12 Bilder)

Der zweite, unbestreitbare Schauwert ist Penelope Cruz. Viel hat sie als Piratentochter nicht zu tun. Aber wenn sie auf Depp trifft, sprühen die Funken. Hector Barbossa (Geoffrey Rush) rundet das Bild ab.

Der Film unterhält hervorragend und erinnert, wenn am Schluss ein Uralt-Tempel krachend zusammenbricht, von fern an eine Indiana-Jones-Folge, die sich ins Piratengenre verlaufen hat. Was wieder einmal störte, war die völlig überflüssige 3D-Animation. Über weite Strecken verzichtet der Film auch völlig auf sie - das einzige, was immer da ist, ist der dunkle Grauschleier über allen Bildern. Der Story und der Stimmung fügt 3D absolut nichts hinzu, außer Dunkelheit.