Jules Verne lebt

"The time has come for action.": Ein Professor möchte ganz nach unten

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Im Film "The Core" muss eine Truppe von Terranauten mit einem passenden Gefährt zum Erdkern vordringen. In den Siebzigern ging Rolf Ulricis "Giganto" im Erdinneren auf große Fahrt und bestand dabei mannigfaltige Abenteuer.

David Stevenson

In der Realität macht David Stevenson, ein Professor am Caltech einen etwas moderateren Vorschlag: Er möchte nur eine etwa pampelmusengroße Sonde zum Erdkern hinabschicken. Alles, was er dazu braucht, ist die Sonde, ein Erdbeben der Stärke 7 oder eine Atombombe, die die gleiche Energie freisetzt, und 100.000 Tonnen geschmolzenes Eisen.

Das könnte jetzt ein reiner Lacher sein, wenn dieser Vorschlag nicht von der Zeitschrift Nature abgedruckt worden wäre (Vol. 423, 15.5.05), und wenn es nicht David Stevenson wäre, der ihn gemacht hat. Der gebürtige Neuseeländer ist nicht irgendwer. Er ist Mitglied der britischen Royal Society und vieler anderer wissenschaftlicher Vereinigungen, ein Asteroid ist nach ihm benannt, und seine pädagogischen Fähigkeiten sind offensichtlich beträchtlich: 2001 erhielt er den Richard P. Feynman-Preis für seine Leistungen als akademischer Lehrer.

Mit dem Vorschlag, zum Erdkern vorzudringen, meint er es ganz ernst. Zunächst einmal stellt er in seinem kurzen Text namens "Mission to Earth's core - a modest proposal" fest, dass die Raumfahrt unser Wissen über den Weltraum enorm erweitert habe. Dieser wissenschaftlichen Großanstrengung stehe aber nichts Vergleichbares bei der Erforschung des Erdinneren gegenüber. Ein Übelstand, dem Prof. Stevenson mit seinem bescheidenen Vorschlag gerne abhelfen möchte. Grundsätzlich denkt er dabei an einen Prozess, der dem "China-Syndrom" ähnelt, jener in den Siebzigern ebenfalls durch einen Katastrophenfilm bekannt gewordenen Idee, nachdem sich der geschmolzene Kern eines havarierten amerikanischen Atomreaktors theoretisch durch die Erde bohren könnte, bis er in China wieder herauskäme. Diese Idee hat viele Schwächen, aber Stevenson benutzt sie als Aufhänger für sein eigenes Projekt.

Er möchte keinen Reaktorunfall provozieren, sondern in einen möglicherweise per Atombombe erzeugten künstlichen Erdspalt 100.000 Tonnen geschmolzenes Eisen hinabschütten - zusammen mit der Erdsonde. Seiner Ansicht nach wäre ein so genutzter Spalt sowohl selbstfortpflanzend (nach unten) als auch selbstverschließend (nach oben). Im Grunde ist alles berechnet: Die Energie, die nötig ist, um einen solchen Spalt zu erzeugen (eine Bombe mit der Sprengkraft von ein "paar Megatonnen" reicht aus), die Geschwindigkeit, mit der sich der Spalt nach unten fortpflanzt (5 m/s), die benötigte Masse an geschmolzenem Eisen (unter ungünstigen Umständen bräuchte man vielleicht auch eine oder zehn Million Tonnen davon). Alles nicht so wild, sagt Prof. Stevenson.

In einer Woche könnte die Sonde beim Erdkern angelangt sein und unschätzbare Messdaten übermitteln. Sogar das Kommunikationsproblem hat er (theoretisch) gelöst: Da das Erdinnere für elektromagnetische Strahlung undurchdringlich ist (jedenfalls für solche mit einer praktikablen Periode), und da Prof. Stevenson Neurinos ebenfalls unpraktisch findet, zieht er eine akustische Kommunikation vor. Die Schwingungen, die die Sonde aufgrund ihrer Bewegung selbst aussendet, könnten gewissermaßen mit den zu übermittelnden Daten codiert und von einem Gerät wie LIGO, das eigentlich Gravitationswellen messen soll, abgelauscht werden - vorausgesetzt, es würde zu diesem Zweck leicht modifiziert.

So bizarr das alles klingt - vorschnelles Gelächter ist nicht angebracht. Nachdem Robert Hutchins Goddard in seinem Traktat "A Method of Reaching Extreme Altitudes" behauptet hatte, dass mit einer Rakete der Mond erreicht werden könne, erinnerte ihn die New York Times ("A Severe Strain on Credulity, 13.1.1920) an Grundtatsachen, die sie für gesichert hielt: Ein Wissenschaftler wie Goddard solle doch im Auge behalten, dass sich eine Rakete im Vakuum "von nichts abstoßen kann". Die Leser lachten herzhaft über den wirren "Mond-Mann". Am 16.3.1926 startete Goddard die erste Flüssigkeitsrakete der Welt.

Aber vielleicht bestehen doch erhebliche Unterschiede zwischen dem Vorschlag Goddards von 1920, eine Rakete zum Mond zu schießen, und den Ambitionen des Prof. Stevenson. Das Fazit der Versuche, Nuklearexplosionen für zivile Zwecke zu nutzen, ist desaströs. Das weiß Stevenson natürlich, nichtsdestotrotz schlägt er zur Erzeugung seines nun einmal benötigten Erdspalts die Anwendung einer Atombombe mit der Sprengkraft von ein "paar Megatonnen" vor. Sein Text lässt die Möglichkeit außer Acht, dass die Erzeugung eines Spalts bis zum Erdkern, sei er nun "selbstverschließend" oder nicht, unvorhersehbare Nebenwirkungen haben könnte. Und selbst die technischen Schwierigkeiten seines Vorschlags wischt er mit der Bemerkung vom Tisch, sie seien mit einer Forschungsanstrengung vom Kaliber des Manhattan-Projekts sicher beherrschbar. Letzter Satz seines Texts: "The time has come for action."

Bei soviel Hemdsärmeligkeit möchte man dem Professor, der mit "bescheidenen Vorschlägen" in die Fußstapfen von Jules Verne treten will, fast raten, sich ein wenig mehr mit Science Fiction zu beschäftigen. Denn immerhin ist in dem anfangs schon erwähnten Film "The Core" das "Projekt Destiny" dafür verantwortlich, dass die Helden auf ihre gefahrvolle Reise geschickt werden müssen: eine nukleare Waffe, die den Feind durch die Erzeugung von Erdbeben bekämpfen soll. Ihre Nebenwirkungen verursacht das "Stillstehen des Erdkerns", das von den Helden behoben werden muss. Das ist natürlich ein ziemlicher Schmarren. Aber es hat immerhin die Wahrheit für sich, dass bedenkenlose Experimente katastrophale Konsequenzen haben können. Würde auch dieser Film den Professor nur auf dumme Ideen bringen? Jedenfalls kann man nur hoffen, dass seine derzeit dümmste Idee ein bloßer Vorschlag bleiben wird.