KI und die Renaissance der Techno-Kapitalisten

Seite 2: Wer ist "Herrscher der Technologie"?

Dafür muss man gar nicht bei der von Andreessen gelobten "Green Revolution" ansetzen und in Frage stellen, ob die genetische Manipulation von Nutzpflanzen die Menschheit wirklich vor dem "Verhungern" gerettet hat – oder angesichts des verhältnismäßig geringen Nutzens nicht eben doch einen in seinen Folgen nicht ausreichend abgeschätzten technologischen Eingriff in die Natur darstellt.

Ähnlich ist es um die "unbegrenzte saubere Energie" durch Kernkraft bestellt.

Die Trugschlüsse betreffen auch die Vorstellung von Technologie als solche. So beispielsweise im Falle der Überzeugung, dass sich immer "die besten und produktivsten" technischen Ideen durchsetzten. Das verkennt eindeutig die (kommerziellen) Interessen und Ambitionen, die hinter dieser oder jener Technologie stehen. Eigentlich eine Binse.

Zu dieser deterministischen beziehungsweise teleologischen Vorstellung von Technologie gesellt sich auch eine instrumentelle, nämlich dass die "Techno-Kapital-Maschine" beziehungsweise "alle Maschinen [...] für uns" arbeiten und wir "immer die Herrscher der Technologie bleiben werden".

Da war Andreessens Geistesverwandter Kelly schon weiter, als er im oben genannten Buch von 2010 prophezeite, dass "die Fähigkeit des Techniums, uns zu verändern, unsere Fähigkeit, das Technium zu verändern, übersteigen wird".

Dass sich Technologie außerdem unserer Wahrnehmung zwischenschaltet und das Potenzial hat, diese (einseitig) zu verändern – auch das eine Binse. Und eher ein Argument dafür, wohl zu überlegen, welche Werte und Entscheidungsmöglichkeiten man einer technischen Erfindung einschreibt, bevor man sie auf die Menschheit loslässt.

Wer KI nicht fördert, "tötet"

Erst zu beweisen hätten sich auch Andreessens unzweideutig marktradikale Überzeugungen, wonach es keinen Konflikt zwischen Wirtschaftsliberalismus und Sozialstaat gebe, Märkte von sich aus Frieden schafften, Monopole verhinderten oder technologische Innovationen per se Löhne und Lebensstandard anhöben.

Die junge Geschichte der Informationstechnologie hat gezeigt, dass die Früchte des Fortschritts in ganz erheblichem Maße von wenigen großen Playern gesammelt werden können – Player, die anschließend dem Idealzustand des freien Wettbewerbs gerade entgegenwirken.

Die These, dass "Millionen und Milliarden von Nutzern" eher von einer neuen Technologie profitieren als deren Erfinder, steht im Falle der Wert-extraktiven Plattform-Ökonomie ebenso auf wackligen Beinen.

Der Ausbau der Künstlichen Intelligenz schließlich, welcher jene kalifornische Ideologie ihre Renaissance verdankt, gilt Andreessen konsequenterweise geradezu als sakrosankt. Die Fetischisierung der Technologie, die in den übrigen Abschnitten anklingt, wird hier ausformuliert:

Wir glauben das Künstliche Intelligenz unsere Alchimie ist, unser Stein der Weisen (…) Wir glauben, dass jede Verlangsamung der KI Leben kosten wird. Todesfälle, die durch die verhinderte KI vermeidbar waren, sind eine Form von Mord.

Techno-Optimist Manifesto

Abschlussbemerkung: Künstliche Rechtsprechung

Ein abschließender Gedanke zu diesem Themenfeld, das uns noch lange beschäftigen wird: Der Bundestag hat vergangenen Mittwoch beschlossen, knapp 100 Millionen Euro aus dem umstrittenen Digitalpakt für die Länderjustiz freizugeben. Wie Legal Tribune Online berichtet, soll das Geld für neue Software und mehr KI eingesetzt werden, statt für mehr Richter und Staatsanwälte.

Gegen eine bürokratische Aufwandsersparnis durch den Fortschritt im sogenannten "Legal Tech"-Bereich mag generell nichts einzuwenden sein.

Sollte an die sogenannte Künstliche Intelligenz mitsamt ihren Halluzinationen und eingespeisten Wissensständen aber einmal mehr Verantwortung delegiert werden, was die Entscheidungsfindung bei teilweise existenziellen Fragen angeht – wären wir da nicht doch gut beraten, nach dem von Andreessen verunglimpften Vorsorgeprinzip zu handeln und nicht jeden technisch gangbaren Weg auch wirklich zu gehen?