Kann eine Energiewende mit kleinen zellulären Netzen eher gelingen?

Bau des Praterkraftwerks, das seit 2010 ca. 4000 Münchner Haushalte mit Strom versorgt. Bild: TP

Mit der Energietechnischen Gesellschaft im VDE zurück in die Zukunft

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Der Bau von Gleichstrom-Höchstspannungstrassen für die Fernübertragung von Strom aus winkraftanlagenreichen Regionen im Norden Deutschlands nach Süddeutschland, wo in wenigen Jahren alle Kernkraftwerke vom Netz gehen sollen, stößt bei Teilen Bevölkerung entlang der geplanten Trassen im Freistaat Bayern auf Widerstand, der die Staatsregierung dazu veranlasste, eine Verlegung der Haupt-Trassen in die nichtbayerischen Bundesländer Hessen und Baden-Württemberg zu fordern. Was weder in Wiesbaden noch in Stuttgart auf freudige Zustimmung stieß, ist möglichweise im derzeit vorgesehenen Umfang auch nicht notwendig.

War die Struktur der deutschen Stromversorgung in den letzten Jahrzehnten in der Hauptsache von Großkraftwerken geprägt, hat sich die Zahl der einspeisenden Anlagen von etwa 400 auf inzwischen über 1,5 Millionen erhöht. Dennoch scheint bei den Netzbetreibern noch immer die Denkweise vorzuherrschen, dass man die abzuschaltenden Kernkraftwerke durch große Windkraftparks ersetzt, die vorwiegend offshore errichtet werden sollen, weil dort das Windangebot größer ist und man zudem die Anlagen vom Land aus nicht sieht. Letzteres hat den Vorteil, dass sich der Widerstand gegen eine sogenannte "Verspargelung" der Landschaft in Grenzen hält.

Werden nun die süddeutschen Großkraftwerke durch norddeutsche Offshore-Windparks ersetzt, muss der Strom irgendwie nach Süden transportiert werden, wenn man nicht die meist industriellen Verbraucher an die Küste umsiedeln will. Mit einer verbrauchernahen, regionalen Stromerzeugung könnte der Trassenneubau reduziert werden. Dazu muss man jedoch die Struktur der deutschen Stromversorgungsnetze überarbeiten und dabei kann ein Blick in die historische Entwicklung der Stromversorgung hierzulande sinnvoll sein.

Ausgehend von lokalen Stromerzeugungsanlagen in Mehl- oder Sägemühlen sowie städtischen Kraftzentralen wurde zu Anfang des letzten Jahrhunderts in zunehmendem Maße die örtliche Nachbarschaft mit Strom versorgt und später mit den Überlandzentralen dann auch der weniger dicht besiedelte ländliche Raum. Die steigende Nachfrage nach Elektrizität hat im Laufe der Jahre dazu geführt, dass die Ortszentralen den Bedarf nicht mehr decken konnten und den Anschluss an einen größeren und leistungsstärkeren Versorger suchen mussten.

Die damals dezentral nutzbaren Energiequellen beschränkten sich auf Wasser und Wind und die stehen lokal nur in begrenztem Umfang zur Verfügung. Und bei den mit fossilen Brennstoffen betriebenen Kraftwerken hatten Großkraftwerke einen nicht zu schlagenden Kostenvorteil. Dieser war umso größer, je verkehrsgünstiger die Kraftwerke für den Antransport der Energieträger lagen. Aufgrund der Kostendegression beim Bau und Betrieb von Großkraftwerken wurden die lokalen und regionalen Kraftwerke in zunehmendem Maße gänzlich unwirtschaftlich und in der Folge vom Netz genommen und stillgelegt.

Historisch gesehen macht diese Entwicklung durchaus Sinn. Vor dem Hintergrund der heute verfügbaren dezentral einsetzbaren Stromerzeugungstechnik erscheint es jedoch vorteilhaft, die Struktur des deutschen Stromnetzes zu überarbeiten. Das Ziel sollte dabei der Ausgleich von Erzeugung und Last auf der niedrigstmöglichen Ebene sein. Dies hat neben dem technischen Vorteil der reduzierten Umwandlungs- und Übertragungsverluste den nicht zu unterschätzenden Effekt, dass Stromerzeugung und Stromnutzung auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung besser sichtbar verknüpft werden. Dies könnte die Akzeptanz lokaler Erzeugungs- und Übertragungsanlagen deutlich verbessern.

Statt größer, weiter, länger tendenziell eher strukturell kleiner und überschaubarer, das ist die Grundidee, die sich hinter dem Graswurzel-Konzept verbirgt, das in der von der Energietechnischen Gesellschaft im VDE (ETG) vorgestellten Studie "Der Zelluläre Ansatz" angesprochen wird. Die Studie zeigt verschiedene Ansätze und Szenarien für die Bereiche private Endkunden, Gewerbe-Handel-Dienstleistungen und Industriekunden unterschiedlicher Größe und Struktur.

Innerhalb der Zellen sollen Stromnachfrage und Stromangebot vorrangig auf der jeweiligen Spannungsebene ausbalanciert werden. Die jeweils übergeordnete Netzebene wird erst dann angesprochen, wenn der Ausgleich innerhalb einer Zelle nicht möglich oder auch wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Die technischen Informationsübertragungsmöglichkeiten, die mit den Smart Grids verfügbar werden, erleichtern sowohl die Kommunikation innerhalb der Zellen, als auch zwischen den Zellen und den überlagernden Netzen.

Wie groß eine Zelle im konkreten Fall sinnvollerweise sein sollte, hängt von den lokalen Gegebenheiten ab und ist nicht generell festzulegen. Es sind im Grunde sogar autonome Zellen ohne Anschluss an das öffentliche Versorgungsnetz denkbar.

Dabei bestehen jedoch zumindest in Deutschland zwei gravierende Hemmnisse, welche die Realisierung solcher autarken Zellen auf Einfamilienhäuser sowie Einfamilienreihenhäuser beschränken: In den bestehenden Konzessionsverträgen zwischen den lokalen Netzbetreibern und den jeweils zuständigen Gebietskörperschaften ist die Nutzung öffentlicher Verkehrswege gegen Bezahlung einer sogenannten Konzessionsabgabe ausschließlich dem jeweiligen Netzbetreiber gestattet. Und da in der Folge der Liberalisierung der Energiemärkte jeder Endverbraucher die Wahl hat, sich seinen Stromlieferanten unabhängig vom Netzbetreiber zu suchen, darf ein sogenannter Arealnetzbetreiber, der eine autonome Kleinzelle betreiben will, keinen Mieter dazu zwingen, den Strom von ihm zu kaufen. Damit sind autonome Kleinzellen in Mietobjekten derzeit nur mit beträchtlichem Kapital- und Vertragsaufwand realisierbar.

Die Studie zeigt deutlich, dass der derzeit vorgesehen Bau von zusätzlichen meist als Stromautobahnen bezeichneten Ferntrassen keinesfalls alternativlos ist und die für den Bau dieser Trassen vorgesehenen finanziellen Mittel möglicherweise besser für den Aufbau einer dezentral ausgelegten Zellenstruktur der Stromversorgungsnetze genutzt werden. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, dass die fachliche und nicht zuletzt die politische Diskussion möglichst schnell in Gang kommt, denn 2022 soll das letzte Kernkraftwerk in Süddeutschland vom Netz gehen und alle Änderungen in der Struktur der Stromnetze kosten nicht nur Geld, sondern auch viel Zeit.

Christoph Jehle hat in seiner Dissertation über die leitungsgebundene Energieversorgung im Regierungsbezirk Freiburg die historische Entwicklung der Stromversorgung untersucht.

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