Kanzler Kurz?
Österreichische Medien berichten über angebliche Pläne der ÖVP, die Koalition zu beenden, wenn die SPÖ an Faymann festhält
Seit der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer am 25. April mit deutlichen Vorsprung in die Stichwahl gegen den Grünen Alexander van der Bellen einzog und die Kandidaten der Christ- und Sozialdemokraten mit jeweils nur etwa elf Prozent hinter sich ließ, diskutiert man in den beiden österreichischen Regierungsparteien darüber, wie es weitergehen soll. Die SPÖ wird deshalb eine "Strategiegruppe" einberufen, in der über Koalitionen mit den Freiheitlichen und über alle Fragen gesprochen werden soll, die mit der Migrationskrise zusammenhängen - darunter Integration, Arbeit, Bildung und Wohnen (vgl. "Abgrenzen ja, ausgrenzen nein"). In der ÖVP hat man nach Berichten österreichischen Medien konkretere Pläne, die jedoch noch nicht bestätigt werden.
Fest steht bislang nur, dass die Partei am 20. Mai - zwei Tage vor der Stichwahl - eine "Zukunftskonferenz" veranstaltet, auf der es Parteiobmann Reinhold Mitterlehner zufolge darum gehen soll, die Partei "weiterzuentwickeln" und sich mit "Verbesserungsnotwendigkeiten" zu beschäftigen. Dazu gehöre auch die "Frage der Regierungskonstellation". An der Konferenz sollen jeweils drei Vertreter der Nationalratsfraktion, der Landesverbände, und der Teilorganisationen Bauernbund, Arbeitnehmerbund, Wirtschaftsbund, Seniorenbund, ÖVP-Frauen und Junge ÖVP teilnehmen. Auch 10 bis 15 Personen von außerhalb der Partei wurden eingeladen. Außerdem, so Mitterlehner gestern, werde sich der Bundesvorstand der ÖVP "zeitnah" zum Stichwahltermin treffen.
Der Zeitung Kurier nach (die sich auf zwei Quellen aus der ÖVP beruft) gibt es aber noch andere Pläne als die, die der Parteiobmann der Christdemokraten gestern offenbarte. Danach will die ÖVP die Regierungszusammenarbeit mit der SPÖ aufkündigen und vorgezogene Neuwahlen herbeiführen, wenn die Sozialdemokraten nicht Werner Faymann als Kanzler auswechseln. Hält die SPÖ an Faymann fest, will die ÖVP mit dem erst 29-jährigen Außenminister Sebastian Kurz angeblich in einen "Anti-Faymann-Wahlkampf" ziehen.
Selbstbewußteres Auftreten gegenüber Berlin und Brüssel
Kurz fiel in der Vergangenheit bereits mehrmals dadurch auf, dass er für eine andere Politik eintrat als der SPÖ-Chef: Im September plädierte er während eines Staatsbesuches in Teheran für eine Anti-IS-Zusammenarbeit mit Russland, dem Iran und dem syrischen Präsidenten, der in dieser Frage auf derselben Seite stehe, wie der Westen. Trotz der Einschränkungen des ÖVP-Politikers, dass so eine Kooperation "nichts über eine langfristige Lösung für den Bürgerkrieg in Syrien aussage" und dass man dabei "die Verbrechen Assads nicht vergessen" dürfe, empörten sich österreichische Grüne wie der Europaparlamentarier Michel Reimon darauf hin, Kurz habe einen "diplomatischen Fehler von historischer Tragweite" begangen und "humanitären Werte ausverkauft" (vgl. Unterschiedliche Meinungen zum Umgang mit Syrien und Russland).
Gegenüber Deutschland und der dortigen Kanzlerin Angela Merkel zeigte sich Kurz in der Vergangenheit selbstbewusster als Faymann: Schon im November diagnostiziert er einen "totalen Kontrollverlust" an der EU-Außengrenze und verlangte ein Ende der "Einladungspolitik" (vgl. Merkel, Gabriel und Seehofer vertagen sich auf Donnerstag). Die "Idee der EU ohne Grenzen nach innen" funktioniert seinen Worten nach nur dann, wenn die Außengrenzen gesichert sind. Und bei der Sicherung dieser Außengrenzen dürfe man sich nicht komplett "der Türkei ausliefern".
Außerdem plädiert Kurz für einen vollständigen Umbau der europäischen Asylpraxis, die seiner Ansicht nach zu einem "Schlepperförderprogramm" verkommen ist, bei dem gerade die "Ärmsten der Armen" auf der Strecke bleiben. Er schlägt vor, dass Asylbewerber ihre Anträge bereits in den Herkunftsländern stellen können. Wer als "besonders schutzbedürftig" eingestuft wird, soll dann legal einreisen können - allerdings nicht in eine EU-Land seiner Wahl, sondern in eines, in dem gerade ein Quotenplatz frei ist (vgl. Österreichischer Außenminister diagnostiziert "totalen Kontrollverlust").
Strategische Überlegungen
Strategische Überlegung hinter der möglichen Koalitionsbeendigung soll sein, dass die ÖVP bei Neuwahlen zwar wahrscheinlich deutlich hinter der FPÖ, aber noch vor der SPÖ landet. Weil die Freiheitlichen eine absolute Mehrheit allen Umfragen nach verfehlen und die SPÖ zu zerstritten für eine Koalition mit Heinz-Christian Strache ist, würden die Christdemokraten von einem Bundespräsidenten Norbert Hofer den Regierungsbildungsauftrag im zweiten und von einem Bundespräsidenten Alexander van der Bellen voraussichtlich schon im ersten Anlauf bekommen. Dann könnte Kurz als neuer Kanzler eine Koalition mit der SPÖ und den Neos oder (falls das nicht klappt) mit den Grünen eingehen.
Der Zeitung Die Presse zufolge debattiert die ÖVP intern aber nicht nur über das Personal der SPÖ, sondern auch über das eigene - vor allem über den niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll, der es sich mit Mitterlehner verdorben haben soll, als er Innenministerin Johanna Mikl-Leitner überraschend nach Niederösterreich holte und durch seinen Stellvertreter Wolfgang Sobotka ersetzte. Mitterlehner soll sich darauf hin "blamiert" vorgekommen sein.
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