Kein Rechner auf der Venus

Eine neue Studie der "American Association of University Women" zeigt, dass viele Mädchen wenig Bock auf Computer haben.

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"Tech Savvy: Educating Girls in the New Computer Age 2000" ist das Ergebnis einer Untersuchung der Educational Foundation Commission der American Association Of University Women (AAUW). Eine Kommission von vierzehn weiblichen Experten (Wissenschaftlerinnen, Professorinnen, Journalistinnen, Unternehmerinnen) recherchierte und forschte über zwei Jahre lang im Schnittpunkt von Frauen und Informationstechnologie. Der Report umfasst neben theoretischen Auswertungen eine Online-Umfrage von 900 Lehrern und eine zwei Jahre dauernde Feldforschung mit mehr als 70 jungen Mädchen.

Der Report Tech-Savvy" vereint Statistiken, soziopolitische Schlussfolgerungen sowie Vorschläge zur Verbesserung der Anbindung von Frauen und Mädchen an neue Technologien. Die statistischen Ergebnisse zeigen, dass nordamerikanische Frauen und Mädchen im Bereich Computerwissenschaft und Technik alarmierend unterrepräsentiert sind:

In Computerklassen stellen Mädchen nur 17 Prozent der Teilnehmer. In höheren Levels sind es sogar nur 10 Prozent.
In der Informationstechnologie arbeiten knapp 20 Prozent Frauen.
Weniger als 28 Prozent aller Informatikstudenten sind Frauen. 1984 waren es 37 Prozent. Informatik ist damit der einzige Studienzweig, in welchem die Frauenbeteiligung in den letzten Jahren gesunken ist.
Nur 9 Prozent der Universitätsdiplome gehen an weibliche Ingenieure

Sherry Turkle, Soziologieprofessorin am MIT und Mitverfasserin von "Tech-Savvy" resümiert: "Mädchen haben keine Phobie vor Computern, aber sie sind kritisch. Sie langweilen sich in Computerklassen. Und die Aussicht auf eine Zukunft in der Computerbranche inspiriert sie ungefähr so sehr, wie die Vorstellung ein Leben lang zu schlafen."

Die meisten Computerspiele wurden von den für "Tech-Savvy" interviewten Mädchen als ermüdend, redundant und brutal bezeichnet. Befragt, wie mädchenaffine Computerspiele sein sollten, gaben die Testpersonen klare und offensive Antworten: mehr Simulation, mehr Strategie, mehr Interaktion ("high skill" statt "high kill"). Das sind Kriterien, die durchaus auch Jungs auf den Bildschirm passen könnten.

Ein wichtiger Ratschlag der AAUW Kommission 1 an Gesellschaft und Pädagogen ist, in diesem Zusammenhang von "rosa" Software abzusehen. Software solle nicht speziell für Jungs oder Mädchen bestimmt sein. Sie solle auf Designelemente und Themen abzielen, welche beide Geschlechter gut finden, damit die Unterschiede nicht zementiert würden. Sie solle auf keinem Fall einem "Nerd-Image" entgegenkommen.

Dass die meisten Mädchen lieber mit Ponys als mit dem Computer spielen, das liegt - neben der immer noch sehr auf Jungen ausgerichteten Didaktik - sicher auch an der empfundenen Notwendigkeit, Geschlechtszugehörigkeit zu inszenieren, mädchenhaft zu sein. Hier kommt das soziale Geschlecht ("doing gender") ins Spiel, das es immer (noch und) wieder aufs neue durch Kommunikation und Handlungen zu konstruieren gilt. Die Zuordnung von technischen Geräten zur männlichen oder weiblichen Sphäre ist aber wandelbar. Telefone z.B. klingelten anfangs vor allem für berufstätige Männer und wurden eindeutig dem männlichen Bereich zugeordnet, während das Telefon heute kein geschlechtstypisches Stereotyp mehr darstellt - außer vielleicht im Bild des stundenlang quatschenden weiblichen Teenagers. Computer wiederum galten in ihrer Anfangszeit im Büro als Geräte für Frauen, sprich Sekretärinnen - wegen der Schreibmaschinen-artigen Tastatur.

"Tech-Savvy" empfiehlt der amerikanischen Öffentlichkeit, Rassen-, Klassen- und Genderdefinitionen verstärkt und unermüdlich zu diskutieren, um die Basis für eine gleichberechtigte Nutzung der neuen Technologien zu schaffen. Es sei in jeder Hinsicht wichtig, weibliches Potential für die Branche zu gewinnen. Dazu müsse auch das Image des Computers sich ändern. Medien und Schulen sollten versuchen, das Stereotyp des, in einer antisozialen grauen Welt vor sich hin vegetierenden Computerfreaks, aus den Köpfen der Mädchen und Frauen zu verbannen. Denn schließlich sei dieses Stereotyp falsch.

Schon ganz junge Mädchen müssten, so die Empfehlungen von "Tech-Savvy", früh lernen, dass sie nicht nur "User" sind, sondern aktive Mitgestalter. Sie bräuchten schon zuhause Situationen, die ihr Interesse wecken.

Schaffe einen Familiencomputer an, und stelle ihn an einen hellen, luftigen Platz in der Wohnung. Integriere den Computer in Bereiche wie Musik, bildende Kunst und Literatur, so dass Mädchen mit dem besten Willen nicht mehr an ihm vorbeikommen. Zeige, dass der Computer hilft "real life problems" zu lösen."

Patricia Diaz Dennis, Co-Chair of the AAUW Educational Foundation Commission

Technologieaffinität lässt sich laut "Tech-Savvy" nicht daran messen, wie viele Mädchen und Frauen Mails verschicken oder ins Netz gehen. Wie fit man am PC sei, das zeige sich daran, ob man fähig sei, die Information zu interpretieren, die diese Technologie möglich mache, ob man unterschiedliche Designkonzepte kapiere und ob man sein Leben lang an der Kiste weiter lernen wolle.

Pamela Haag, Direktorin der Forschungsabteilung der Kommission: "Es sind zwar viele Mädchen und Frauen auf den Zug aufgesprungen, aber sie sind beileibe nicht diejenigen, die ihn lenken. Technologie verstehen bedeutet, dass Technologie einen dahin bringt, wohin man will. Und das kapiert man am besten schon im Klassenzimmer." Ein klares Statement (bis auf die Frage vielleicht, wie man einen Zug überhaupt lenken kann, in dem man sitzt), und ein Statement, das umso wichtiger ist, als es auch die Situation in Deutschland auf den Punkt bringt.

Eine Studie des Marktforschungsunternehmens Fittkau und Maaß, die Mitte Juni das Verhalten der Frauen im Internet untersuchte, zeigte zwar -auf der einen Seite -, dass fast ein Drittel aller privaten Nutzer des World Wide Webs in Deutschland inzwischen weiblich sind . Doch der Einfluss auf die "Netiquette" - die Regeln und Gepflogenheiten im Netz - ist weniger groß, und die technische Ausstattung bleibt weit hinter der der männlichen Nutzer zurück (vgl. Frauen surfen langsam, aber gewaltig). Immerhin fällt am 15.Jui der Startschuss für Aktivitäten der ersten internationalen Online-Frauenuniversität, gehostet an der Humboldt-Universität (vgl Erste Internationale Frauenuniversität online). Für die technische Ausstattung des Projektes sponserte der Geschäftsführer der Firma Hewlett Packard, Rainer Geissel, Soft- und Hardware im Wert von 50 000 Mark. Auch er beklagte bei der Gelegenheit dem Tagesspiegel gegenüber bitter, dass Frauen in Ingenieurberufen immer noch stark unterrepräsentiert seien.

Der neue Report "Tech-Savvy" hält das gebrochene, ambivalente Verhältnis von Mädchen zu Technologie für teilweise gerechtfertigt. Zu Unrecht würde diese Abwehr nur mit Ängstlichkeit und Inkompetenz gleichgesetzt. Passivität, Redundanz, Brutalität und gleichzeitige Unsinnlichkeit seien Schwachpunkte der Branche. Durch defensive Haltung und offensive Kritik, (wie in "Tech-Savvy") würden Mädchen und Frauen auf diese Punkte hinweisen. Die Computerszene müsse integrativer, offener, vielseitiger werden und die Allgegenwart von Technologie im täglichen Leben transparent machen.

Dazu schrieb Ellen Ullmann, die fast zwanzig Jahre als Programmiererin gearbeitet hat, in einer Email-Diskussion über Gender, Technologie und das Netz:

"Statt zu rätseln warum Frauen nicht mehr mit neuen Technologien zu tun haben, frage ich mich warum es überhaupt jemandem Spaß macht, einem Net Browser anzuglotzen, der einem erzählt wie viele Bytes noch runterzuladen sind. Du veränderst dich dabei - und nicht unbedingt zum besten. Beim Programmieren und bei Computern im Allgemeinen hast du einen schön begrenzten Horizont - die Welt in diesem kleinen Rahmen - und bist ständig erfüllt von-nervöser, rotierender Energie. Diese komische Energie kann dich in Hochstimmung versetzen oder nerven, aber was nach längerer Zeit übrig bleibt, ist eine ständige Ungeduld. Wenn du dich erstmal daran gewöhnt hast, dass die Maschine auf dich reagiert, auf dich, und nur auf dich, dann fängst du an sie zu hassen, wenn sie langsam ist. Und das diffuse, umständliche Wesen der normalen Menschen kann dir unerträglich werden. Sogar nach Stunden und Tagen vor dem Computer, ist es eine Versuchung, sich nach dem Abendessen gleich wieder davor zu setzen. Da ist etwas, wenn nicht jemand, der mit dieser seltsamen, nervösen Energie umgehen kann, die ein Teil von dir geworden ist. Wenn du eine normale kluge Frau bist, die Freunde hat und das leicht umständliche Wesen von Menschen mag, dann ist es eigentlich klar, dass du nicht in der Computerbranche arbeiten willst."Sexing the machine