Kein digitaler Sturzflug des Kranich?
Online-Blockade für die Flüchtlingsinitiativen trotzdem ein Erfolg
Erstmals protestierten Abschiebungsgegner nicht nur leibhaftig während einer Aktionärsversammlung der Lufthansa, die gestern in der Kölnarena stattfand, sondern auch im Internet. Angesetzt war das virtuelle Sit-in für 10 Uhr. Dann sollte auch der Rechenschaftsbericht des Vorstandsvorsitzenden Jürgen Weber via Internet übertragen werden. Letztlich behielten die Firmenserver offensichtlich die Überhand. Und die Demonstranten freuen sich spitzbübisch, denn seit Wochen steht die Airline wegen ihrer "deportee-tickets" in der Kritik.
Webers Rede wurde - Randnotiz: am Weltflüchtlingstag - sowohl real als auch virtuell wiederholt gestört. Demonstranten unterbrachen ihn, die Live-Übertragung im Internet ruckelte zuweilen. Zeitweise - wie etwa gegen 11.15 Uhr beim Aufruf der Homepage meinerseits - waren Teile der Site nicht erreichbar. "Wir haben verstärkt Zugriffe registriert", so Unternehmenssprecher Thomas Ellerbeck. In den ersten Minuten der DOS-Attacke (Online-Demonstrationen sind rechtlich höchst Umstritten) habe sich der Aufbau ihrer Site "verlangsamt". Schnell hätten die Techniker "die Kapazität der Leitungen erhöhnt." Ellerbecks Kollege Martin Riecken sprach gegenüber Nachrichtenagenturen allerdings davon, in den ersten zehn Minuten sei es nicht möglich gewesen, die Homepage aufzurufen. Derweil sorgten Ordnungskräfte für Ruhe im Saal. Sie drängten Abschiebungsgegner, die mit Protestrufen und Transparenten die Aktionärsversammlung teilweise erheblich störten und für Unterbrechungen gesorgt hatten, aus dem Saal.
Schon in den letzten Wochen hatte sich der Ton zwischen Demonstranten und der Lufthansa verschärft. Sprach die Airline im März noch davon, dass man den "großmundigen Ankündigungen" gelassen entgegen sehe, wurde zuletzt von "terroristischen Hackerschlägen" gesprochen. Und ergänzt, man nehme die Drohung "sehr ernst". Zudem wurden Gewinnausfälle befürchtet, falls der Bereich der Online-Buchung lahm gelegt werde. Der Imageschaden, wären die Server eingeknickt, hätte wohl auch weit reichender Folgen haben können. Erst Anfang der Woche hatte die Lufthansa AG mitgeteilt, die Langstreckenflotte mit einem Hochgeschwindigkeitszugang zum Internet auszurüsten. 2003 soll das "fliegende Online-Büro" fest zum Angebot gehören.
Fraglich bleibt trotzdem, ob alle Abwehrmaßnahmen des Unternehmen den gewünschten Erfolg brachten. Sven Maier von der Onlinedemo erklärte auf Anfrage, Sympathisanten hätten sich während der Blockade gemeldet und berichtet, zeitweise sei aus bestimmten Regionen die Homepage der Kranich-Airline nicht erreichbar gewesen. Zeitgleich aber teilte man aus anderen Regionen mit, sie sei unproblematisch aufzurufen. Maier vermutet, mithilfe verschiedener Breitbandnetze habe die Lufthansa den virtuellen Sturzflug verhindert. Falls nötig, habe man zwischen den Netzen geswitcht und wohl auch kurzfristig ganzen Knotenpunkte, Regionen und vermutlich auch den IP-Nummernraum des Deutschen Forschungs-Netzes (DFN) vom Zugriff auf die Homepage ausgesperrt. "Wer hinter einer möglichen Blockade zwischen DFN- und Lufthansa-Servern steht, ist nicht bekannt," so Maier.
Per Grafik wurde von Seiten der Demonstranten über die Häufigkeit der Zugriffe auf der Homepage der Lufthansa informiert. Unsicher sei, so Maier, ob der äußere Schein der Homepage nicht getrogen hat. Er habe etwa versucht im sicheren Buchungsbereich der Homepage Flüge zu buchen oder Reiserouten abgefragt. In nahezu allen Fällen sei das gescheitert oder er sei wieder auf die Startseite umgeleitet worden. Maier geht deswegen davon aus, ihre Software habe wunderbar funktioniert. Und in Anbetracht dessen, dass die Lufthansa wohl "richtig Kapazität" und Technik "aufgefahren" habe, sei der Protest ein voller Erfolg. Alleine schon deswegen, weil das "schmutzige Geschäft mit der Abschiebung" über Wochen in den Medien präsent war und ist. "Das Ziel der Demo sei", so ein erstes Fazit der Organisatoren, "nicht ein technisches Knockout des Servers gewesen, sondern durch eine massive Beteiligung und Berichterstattung die Kritik an den Abschiebeflügen zu verstärken."
Für Kritik unter den Teilnehmern sorgte eine Besonderheit des Tools. Mit Beginn der Aktion griff die Software auf Homepages verschiedener Firmen und Banken zu. Einige Demonstranten fühlten sich ausgenutzt, da sie nur gegen die Lufthansa demonstrieren wollten. Maier erklärte, die Software sei um 10 Uhr gestartet und habe dann in den Headern verschiedener Sites die Uhrzeit abgefragt - erst dann sei auf die Lufthansa-Homepage zugegriffen worden. Das sei auch intern nicht unumstritten gewesen, habe aber gewährleistet, dass das Tool nur für ihre Aktion und zur vorgegebenen Zeit eingesetzt werden konnte.
Mit einem Schreiben am 18. Juni hatten die Initiatoren der Demo erstmals offiziell der Fluglinie und ihrem Vorstandsvorsitzenden mitgeteilt, worum es ihnen geht: "Im vergangenen Jahr erklärten Sie den Aktionärinnen und Aktionären, über einen Ausstieg aus dem Geschäft mit der Abschiebung in Verhandlung treten zu wollen (mit der Bundesregierung; mk)." Man habe jedoch festgestellt, "dass Sie die breite Kritik der Öffentlichkeit an diesem Geschäftszweig nicht ernst nehmen. Stattdessen erlauben Sie sich den Zynismus, von Abschiebungen zu sprechen, die 'mit freundlichem Service vonstatten gehen' (telepolis, 17.03.2001)."
Unabhängig von diesem Schreiben erklärte die Initiative Libertad: "Das unmittelbare Ziel der Aktion ist, den Druck auf die Lufthansa zu erhöhen, um den Konzern zu einer klaren Entscheidung gegen das Abschiebegeschäft zu bringen." Tausende Surfer, zirka 150 Komitees und Organisationen von Australien bis New York, von Argentinien bis Irland hatten sich dieser Forderung angeschlossen. Libertad bemängelte zudem, bisherige Reaktionen der Airline auf die Ankündigungen zeigten, "dass sie diese Kritik vor allem technisch und mittels Kriminalisierung aushebeln wollen. Auch das Bundesjustizministerium reagiert entsprechend fantasielos." Soziale und politische Probleme würden "auf eine Frage der inneren Sicherheit reduziert".
Noch Anfang der Woche hatten die Initiatoren sich gefragt, ob Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm den Sinn ihrer Aktion erkannt habe. Fromm hatte im Interview mit der Welt am Sonntag erklärt, man wolle die Homepage der Lufthansa "mit einer riesigen Menge von E-Mails lahm legen. Das nennen sie eine Internet-Demonstration gegen das Abschiebungsgeschäft, für das sie auch die Lufthansa verantwortlich machen. In einem anderen Zusammenhang ist davon die Rede, dass Anschläge via Internet eine weitaus größere Wirkung haben könnten als etwa Brandanschläge." Die Bundesregierung bekräftigte gestern, so das Bundespresseamt, wirksamer Schutz vor Computerattacken sei ein "wichtiger Teilaspekt der Bekämpfung von Datennetz- und Computerkriminalität". Nach dem Willen der Regierung "sollen alle Menschen die Chancen des Internets nutzen können". Eine Zunahme "illegaler und schädigender Handlungen" machten einen "verbesserten Schutz vor Computerattacken erforderlich".
So hatten denn auch die E-Protestler sich mit den Tücken des weltweiten Datennetzes herumzuärgern. Am 10. Juni erhielten sie 12.000 E-Mails, laut Angaben der Empfänger vom NPD.net-Server und mit einer Tarnadresse der PDS verschickt. Zeitweise war ihre Homepage seit einer Woche so überlastet, dass Gerüchte die Runde machten, sie seien selbst einer DOS-Attacke zum Opfer gefallen. Letztendlich spiegelten befreundete Organisationen knapp 30 mal die Site. Trotzdem scheiterten am "Tag X" Surfer auf der Hauptseite: "Not Found." Sozusagen Schaulustige, die direkt auf die Site der Lufthansa AG zusteuerten, um sich selbst ein Bild zu machen, hatten es da einfacher - auch wenn sie sich unfreiwillig direkt am Protest beteiligten.
Wegen der Einzigartigkeit dieser DOS-Attacke in Deutschland wird nun wohl auch hierzulande die Diskussion einsetzen, was im World Wide Web legaler Protest oder Sabotage ist (vgl.: Kein Demonstrationsrecht im Cyberspace?). Die Lufthansa, so ihr Sprecher Thomas Ellerbeck, werde in den kommenden Tagen auf jeden Fall prüfen, ob ihr während der Onlinedemo wirtschaftlicher Schaden zugefügt worden ist oder sich wegen des erhöhten Arbeitsaufwand sonst Ansprüche geltend machen lassen. Am Dienstag hatte der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen, die Demo als undemokratisch kritisiert. Bloßes Lahmlegen einer Homepage sei keine wirkliche Auseinandersetzung mit der Abschiebung von Asylbewerbern. Im Unterschied zum Bundesjustizministerium sah der Jurist aber keine strafbare Handlung.
Flüchtlingsinitiativen haben unterdessen darauf hingewiesen, dass vermehrt Abschiebungen über billige Chartergesellschaften wie die rumänische Fluggesellschaft Tarom gebucht würden. Da diese Flüge manchmal ohne andere Passagiere, also unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, würden hier auch problematische Abschiebungen unbemerkt über die Bühne gehen. Zudem wies man darauf hin, das vermehrt "auch private Sicherheitsunternehmen in das schmutzige Geschäft mit Abschiebungen verstrickt sind."