Kein nennenswerter Beitrag zum Umweltschutz

Die schöne neue Welt der Informations- und Kommunikationstechnik funktioniert nicht ohne politischen Gestaltungswillen

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Für Politiker aller Parteien hat die Vorstellung, dass sich manche Probleme ganz einfach von selbst erledigen, etwas Unwiderstehliches. Doch leider steckt der Teufel im Detail, und das gilt auch im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik, die sich in den letzten Jahren so rasant entwickelt hat, dass unliebsame Nebeneffekte eigentlich gar nicht hätten Schritt halten dürfen. Aber die IKT, wie sie von Insidern liebevoll genannt wird, hat zwar für weniger Mensch, aber eben nicht für weniger Müll gesorgt. Und auch nicht für weniger Verkehr oder einen geringeren Stromverbrauch. Die „ökologische Dividende“, mit der die Vertreter neuer und alter Märkte, aber auch viele Wissenschaftler fest gerechnet hatten, ist ausgeblieben, und an dieser ernüchternden Bilanz dürfte sich vorerst nichts ändern.

Die Studie The Future Impact of ICTs on Environmental Sustainability, die unter Federführung des Berliner Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung im Auftrag der Europäischen Kommission erarbeitet wurde, kommt zu dem Schluss, dass selbst eine noch weiter fortentwickelte IKT bis zum Jahr 2020 „insgesamt nur wenig Einfluss“ auf wichtige Umweltfaktoren wie Abfallmenge und Energieverbrauch, Transportvolumen und CO2-Emissionen in der Europäischen Union haben wird. Ihre ökologische Effizienz hängt nach Ansicht des internationalen Forscherteams von politischen Vorgaben ab, aber genau da gibt es offenkundig ein erhebliches Defizit.

Weder die bestehenden IKT-Push Initiativen wie D21 und eEurope, noch Umwelteinrichtungen wie das Umweltbundesamt und die Europäische Umweltagentur haben die starken Wechselwirkungen von IKT und ökologischer Nachhaltigkeit bislang angemessen zur Kenntnis genommen und in ihre Politik aufgenommen. Insbesondere Rebound-Effekte sind jedoch bei jeder Politik zu berücksichtigen, die darauf abzielt, die Effizienz zu erhöhen.

Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung

Die Autoren der Studie, die bereits im vergangenen Sommer fertiggestellt, aber erst 2005 freigegeben wurde, werfen den politisch Verantwortlichen vor, bislang nur „direkte Effekte“ der Informations- und Kommunikationstechnik auf die Umwelt berücksichtigt zu haben, sprich: die rasant gestiegene Menge an Elektronikschrott oder den wachsenden Energieverbrauch. Indirekte Effekte wie die Neuausrichtung von Stoff- und Energieströmen oder die Vielzahl der so genannten Rebound-Effekte spielten dagegen kaum eine Rolle. Dabei könne die Kehrseite einer möglichen Zeit-, Kosten- und Energieeffizienz, die eben zu vermehrter und intensiverer Nutzung oder einer Steigerung der Nachfrage führe, nicht mehr übersehen werden. Schließlich werde unter den jetzigen Umständen die Chance vertan, das Verhältnis der positiven und negativen Folgen der IKT, die sich derzeit mehr oder weniger im Gleichgewicht halten, zugunsten der umweltfreundlichen zu verändern.

Grundsätzlich bietet der Übergang zur Informations- Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft durchaus Möglichkeiten, ökologischen Sachverstand zu entwickeln. Die Zukunftsszenarien und Computersimulationen der EU-Studie gehen von erheblichen „Umweltentlastungspotenzialen“ aus, die durch energiesparende Mikrochipsteuerung, abfallvermeidende Downloadfunktionen via Internet, IKT-basierte Car-Sharing-Systeme oder den Einsatz moderner Netzwerke wie WLAN und UMTS optimal genutzt werden könnten.

Derzeit zahlen sich diese Vorteile allerdings nicht in ökologischer Münze aus. Wer über das Internet einkauft, verringert zwar den Personen-, aber nicht zwingend den Güterverkehr und toleriert außerdem den Einsatz größerer Verpackungsmengen. Ganz davon abgesehen, dass die „Lebensdauer“ von Rechnern, Tastaturen, Bildschirmen, Druckern, Handys und anderen Geräten bis dato noch suboptimal genannt werden muss.

In einer weiteren Untersuchung hegt das Institut auch Bedenken gegen die Umweltverträglichkeit elektronischer Zeitungen (Elektronische Papiertiger), wenn sie nicht über digitale Rundfunknetze verbreitet werden. Sollten sie als e-paper zum Download oder mobil über UMTS angeboten werden, prophezeien die Forscher eine Belastung, die 10- bis 40 Mal höher liegt als bei einer Print-Ausgabe, weil der Energieverbrauch für die individualisierte Datenübertragung über das UMTS-Netz größer ist als die Energieeinsparung bei den Endgeräten.

Nach Ansicht der Autoren sind die politischen Entscheidungsträger gefordert, einerseits Gesetze und Verordnungen im Sinne einer unmittelbar wirksamen Nachhaltigkeit zu erlassen, andererseits aber auch perspektivische Überlegungen anzustellen. Dazu gehört die langfristige Ermittlung von Zielkonflikten, wie sie sich beispielsweise aus der Möglichkeit des mobilen Arbeitens bei einem gleichzeitigen Defizit im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs ergeben. Daneben wäre zu klären, inwieweit die Nutzungsausweitung des Güterverkehrs durch Mautgebühren und vergleichbare Maßnahmen präziser als bisher gesteuert und die Kosten für (Energie)Träger dauerhaft beeinflusst werden können.

Politische Vorgaben müssen die positiven Umwelteffekte von IKT maximieren und gleichzeitig die negativen minimieren. Nur dann wird IKT einen beachtenswerten Beitrag zu ökologischer Nachhaltigkeit leisten können.

Lorenz Erdmann, Projektleiter der Studie beim Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung

Gleichzeitig sind natürlich auch Wirtschaft und Wissenschaft gefragt, die aktuellen Standards weiter zu verbessern. Das Berliner Institut sucht im Auftrag der Volkswagenstiftung beispielsweise nach umweltschonenden Innovationsprozessen für die Display-Branche. Bis Oktober 2007 soll die Entwicklung globaler Netzwerke für das Recycling von Displays mit bleihaltigen Kathodenstrahlbildröhren und die Entwicklung von Recyclingtechnologien und -infrastrukturen für Flachbildschirme untersucht werden. Außerdem beschäftigt sich das Projekt mit dem Aufbau einer industriellen Produktionsbasis für ökologisch verträgliche Flachdisplays und nachhaltige Nutzungssysteme für elektronisches Papier.