"Keine Minute, in der du nicht auf einem Bildschirm bist"

Seite 3: Möglichkeiten und Grenzen eines Journalisten in China

Ist es Ihr Traumjob, Journalist in Peking zu sein?

Christoph Giesen: Ja, ich kann mich nicht beschweren, dass es mir an Themen mangelt. Es gibt nur ein, zwei frustrierende Sachen an dem Job. Du merkst, dass immer weniger Leute mit dir reden wollen. Du merkst, dass bei Sachen, bei denen deine Kollegen zu Hause zwei Anrufe brauchen, das hier in China bis zu zwei Wochen Arbeit kostest. Es dauert, bis du irgendeinen Gesprächspartner hast, der mit dir redet. Es ist quälend, weil alles hochpolitisch ist und keiner sich äußern möchte.

Und ich merke, dass dieses Land sich stärker verschließt und dass auch die Propaganda, die rund um die Uhr in die chinesischen Ohren träufelt, immer mehr verfängt. Der Umgang mit Ausländern wird unfreundlicher, ja nachgerade xenophob.

Das ist für mich als Journalisten, der ich eine Rolle als teilnehmender Beobachter habe, in Ordnung. Aber wenn man mich fragen würde, ob ich die nächsten 30 Jahre in China bleiben möchte, dann würde ich das verneinen.

Aber es ist interessant und auch ein Geschenk, das beobachten zu können. Ich habe dabei viele Freiheiten durch meine Sonderposition in dem System. Ich kann es beobachten, ich kann es beschreiben und ich kann es völlig offenherzig kritisieren – im Unterschied zu vielen Chinesen, die in einer Welt und einem System leben müssen, dass sehr autokratisch, sehr reguliert, ja teilweise fast langweilig ist.

Die Wunschvorstellung der führenden Kaste von einer Zukunft Chinas wäre deshalb auch so eine Art Singapur: eine riesige Shopping-Mall mit sehr strikten Regeln, in der du, wenn du artig warst, in der Stadt mit der Sonne leben und dein Geld in der Shopping-Mall ausgeben darfst.

Diese geordneten singapurischen Verhältnisse sind ganz schön, wenn man mal eine Auszeit braucht aus dem wuseligen Südostasien, ein geordneter Hub, in dem alles funktioniert und wo du deine Kinder zur Schule schicken kannst. Aber eigentlich ist das nichts, was man anstreben möchte, weil es eine geordnete und uniforme Langeweile ist, aus der niemand ausbrechen soll. Das ist das, was denen hier als Idealbild vorschwebt. Das sind alles geistige Schrebergärtner.

Es ist ein Traumjob in dem Sinne, all das beobachten zu können und das Gefühl zu haben, am Puls der Zeit zu sein, wenn die großen Konfliktlinien zwischen Amerika und China aufbrechen.

Und du hast als China-Korrespondent natürlich einen Vorteil gegenüber einem USA-Korrespondenten: Ich recherchiere hier so, als wäre ich Korrespondent der SZ in München oder Berlin, das heißt, ich suche mir meine Quellen selbst, es ist Material, das vorher noch nicht geschrieben worden ist, es ist mit Aufwand verbunden, es steckt eine gewissen investigative Leistung dahinter.

Wenn ich in Washington sitze, dann betreibe ich sehr viel Nacherzählung dessen, was in dem Land gerade passiert. Ich muss nicht anfangen, als ausländischer Korrespondent in New York oder Washington die großen Skandale Amerikas zu recherchieren – es gibt die New York Times, die Washington Post und das Wall Street Journal. Wenn ich hier die Staatszeitung aufschlage, weiß ich nicht genug, was Xi Jinping gerade denkt.

Das ist das, was mir sehr viel Spaß macht. Geschichten gibt es an jeder Straßenecke in einem Land mit 1,4 Milliarden Menschen und einem so ausgebauten Polizeistaat.

Sie sagen, dass das alles auf Gesetzen basiert, aber was sind denn die Gesetze wert und wie schützen die auch möglicherweise die Menschen?

Christoph Giesen: Wenn wir uns die chinesischen Gesetze angucken, dann würden wir sagen: Gott, sind die schlecht. Und die sind handwerklich wirklich schlecht, weil sie völlig unpräzise sind.

Es sind keine Strafmaße eingeführt, es wird nicht klar umrissen, was genau zu sanktionieren ist, wann und unter welchen Bedingungen. Es wird alles sehr schwammig formuliert, das aber ist kein Fehler, sondern Design. Damit will man ständig den Eindruck bei den Leuten hinterlassen, gegen ein Gesetz verstoßen zu haben.

Mit solchen Gummiparagrafen können sie immer nachweisen, dass etwas doch vom Gesetz abgedeckt sei. Es gibt zum, Beispiel ein völlig irres Anti-Spionage-Gesetz, 2017 verabschiedet, das vorsieht, dass jede Organisation in China und jeder Chinese vom Staat angesprochen, zur Mithilfe verpflichtet werden kann, wenn es um die nationale Sicherheit geht, und er dann darüber schweigen muss.

Das klingt nach so etwas wie einer kodifizierten Willkür.

Christoph Giesen: Ja. Diese Sicherheitsgesetze sind so ab 2015 bis 2017 eingeführt worden. Völlig irres Zeug. Das ist einer der Gründe, warum man Huawei auf keinen Fall ins System lassen sollte. Es geht nicht um die Frage, ob dahinter die KP steht ist oder ob die Daten sicher sind. Allein dieses Counterintelligence-Gesetz lässt Huawei in dem Moment einknicken, in dem die KP an die Tür klopft und sagt: "Eure Businesslizenz oder ihr redet mit uns".

Sie hätten keine andere Wahl. Sie hätten und haben keine Chance. Und man muss sich daher genau überlegen, mit wem man es zu tun hat. Man hat es halt mit einer Organisation zu tun, die das große Interesse hat, sehr, sehr viel zu kontrollieren, weil sie panisch ist, dass ihnen alles um die Ohren fliegt.