"Keine Wohlfühlatmosphäre in einer reinen Welt des Konsums"

Seite 2: Rechtspolitische Wertung

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Beachtenswert ist das Urteil vor allem wegen seiner rechtspolitischen Neuausrichtung der Versammlungsfreiheit; bricht es doch mit gängigen dogmatischen Mustern, um den Gewährleistungsgehalt des Grundrechts auch auf private Bereiche auszudehnen. Dabei zeigt sich das Gericht überaus entscheidungsfreudig, äußert sich – ohne dazu durch den vorgelegten Fall verpflichtet zu sein – zu nahe liegenden Anschlussfragen und schreibt der Legislative damit so manche verfassungsrechtliche Maßgabe für die gesetzliche Neugestaltung des Versammlungsrechts in sein obiter dictum.

Knackpunkt der Entscheidung ist dabei zunächst die Frage, in wie weit staatliche Hoheitsträger an Grundrechte gebunden bleiben, wenn sie in privatrechtlich organisierter Form am Wirtschaftsleben teilnehmen. Weiterhin geht es darum, ob und in welchem Umfang Versammlungen und Meinungskundgaben auch in privat(isiert)en Räumen geduldet werden müssen, wenn diese dem allgemeinen Publikumsverkehr offen stehen. Schließlich war die Frage zu beantworten, welche Anforderungen an eine grundrechtsbeschränkende Gesetzesgrundlage zu stellen sind, insbesondere ob sich diese im Falle der Versammlungsfreiheit auch aus dem Zivilrecht ergeben kann.

Keine Flucht ins Privatrecht!

An diesem alten Grundsatz des öffentlichen Rechts, wonach die öffentliche Hand ihre Grundrechtsbindung nicht dadurch abschütteln kann, dass sie als zivilrechtlich organisierte Aktiengesellschaft in Erscheinung tritt, und den 2003 auch der VGH Kassel bei seiner Flughafenentscheidung zu Grunde gelegt hatte, hält das BVerfG ohne Abstriche fest. Dabei komme es auch nicht darauf an, ob der Staat nun 100% oder 51% der Anteile an dem Unternehmen halte. Maßgeblich sei vielmehr, ob er aufgrund seiner Gesellschafterstellung in der Lage ist, Einfluss auf das operative Geschäft der Firma zu nehmen. Eine unmittelbare Grundrechtsbindung ergebe sich dabei gerade für solche Unternehmen, die vom Staat wegen dessen Gesamtverantwortung "beherrscht" würden. Bei ihnen handle es sich also nicht um private Aktivitäten unter Beteiligung des Staates, sondern um staatliche Aktivitäten unter Beteiligung von Privaten.

Für sie gelten unabhängig von ihrem Zweck oder Inhalt die allgemeinen Bindungen staatlicher Aufgabenwahrnehmung. Bei der Entfaltung dieser Aktivitäten sind die öffentlich beherrschten Unternehmen unmittelbar durch die Grundrechte gebunden und können sich umgekehrt gegenüber Bürgern nicht auf eigene Grundrechte stützen.

Hier muss der Staat also nicht erst durch seine Gesellschafteranteile auf die Geschäftsleitung einwirken, um die Durchsetzung von Grundrechten zu bewerkstelligen, sondern ist das Unternehmen selbst grundrechtsverpflichtet. Unabhängig von der Rechtsform, in der sie in Erscheinung treten, sind staatliche Aktivitäten damit nicht als "Ausdruck freier subjektiver Überzeugungen in Verwirklichung persönlicher Individualität" zu verstehen, sondern als treuhänderische Aufgabenwahrnehmung für die Bürger und diesen gegenüber rechenschaftspflichtig. So auch die zu 51% in öffentlicher Trägerschaft befindliche Frankfurter Flughafengesellschaft Fraport AG. Sie muss bei ihrer Aufgabenerfüllung zugleich die Grundrechte der betroffenen Bürgerinnen und Bürger beachten.

Durch die Grundrechtsbindung gewinnt die Rechtsprechung zugleich etwas Terrain gegenüber den privaten Teilhabern zurück, die sich üblicherweise in weitgehender unternehmerischer Freiheit aus den Dividenden der privatisierten Staatsbetriebe befriedigen konnten, während Investitionskosten und Schulden üblicherweise auf die Steuerzahler umgelegt und damit sozialisiert werden. Dazu stellt das BVerfG ebenso einfach wie treffend klar:

Ob diese [die Privaten] sich an einem öffentlich beherrschten Unternehmen beteiligen oder nicht, liegt in ihrer freien Entscheidung, und auch wenn sich die Mehrheitsverhältnisse erst nachträglich ändern, steht es ihnen wie bei der Änderung von Mehrheitsverhältnissen sonst frei, hierauf zu reagieren.

Und macht damit zugleich deutlich: Wer aus den Vorzügen staatlicher Unternehmensbeteiligung wirtschaftlichen Profit zieht, ist auch dessen Schranken unterworfen.