Keine Zeit für Pazifisten
Seite 2: Zweifelhaftes Lob des Pazifismus
Immerhin vermissen einige wenige Stimmen die zur Kriegsenthaltung rufenden Pazifisten. So hob die Süddeutsche Zeitung Ende September vergangenen Jahres zu einem "Lob des Pazifismus" an.1 Ein sehr zweifelhaftes Lob:
Man muss ihnen nicht zustimmen. Aber man braucht sie. Zum Beispiel für ihre guten Fragen (…) als wichtige Gegenstimme im Ernstfall und vor allem als andere Art der Kriegsprävention.
Nele Pollatschek, SZ, 29. September 2022
Wenn also Krieg geführt wird, ist es gut, wenn es auch Leute gibt, die sagen: Ist der Kriegszweck nicht auch ohne Krieg zu erreichen? Dann kann man doch viel besseren Gewissens mit einem "Leider Nein!" weiter auf den Feind schießen.
Und wenn die mahnenden Pazifisten wertvolle Tipps geben, wie der Gegner mit anderen Mitteln als mit Waffengewalt auf Linie gebracht werden kann – warum nicht? Damit spart der Staat sich eine Menge Geld und Schäden, die nun einmal so ein Krieg kostet. Denn Krieg will ja keiner, sondern nur, wenn es unbedingt sein muss.
Darin liegt die ganze Krux: Wer trifft aus welchen Gründen die Entscheidung, dass ein Volk ein anderes Volk auf Leben und Tod zu bekämpfen hat? "Es" mithin sein "muss". Klar, die jeweilige Staatsregierung. Da werden bis vor kurzem noch anständige Partner zu Parias erklärt, umgekehrt ehemalige Erzfeinde zu Brüdern, wenn es gemeinsam gegen ausgemachte Gegner besser funktioniert.
Das kann dann schon eine Weile dauern, bis das brave Volk das kapiert und verinnerlicht hat, siehe die deutsch-französischen Beziehungen. Es kann aber auch recht zügig gehen, wenn eine Feindschaft wieder hervorgeholt wird, die nur zeitweise aus taktischen Gründen zurückgefahren wurde, siehe das deutsch-russische Verhältnis.
Im Endeffekt beschließt eine Herrschaft, sein Volk gegen ein anderes zu hetzen. Gefragt wird das Volk selbstverständlich nicht. Sondern ihm mitgeteilt, dass es ab sofort aus guten Gründen Untertanen der anderen Seiten gepflegt zu hassen hat und sie durch die eigenen Soldaten töten soll.
Aktuell "muss" der Krieg gegen Russland sein. Das hat nun sogar Bundesaußenministerin Annalena Baerbock so gesagt, nachdem lange Zeit selbst "Wirtschaftskrieg" auf dem Index stand.
Sahra Wagenknecht kann davon ein Lied singen. Als sie diesen Begriff in ihrer Bundestagsrede im September vergangenen Jahres gebrauchte, erntete sie drastische Kritik, auch aus der eigenen Partei.
Die "guten Gründe" für die massive Unterstützung der Ukraine mit Geld, Material und Waffen sind bekannt: Das Land muss sich gegen einen Angriffskrieg wehren, den der Aggressor Russland mit einem Tyrannen, Irren, Unberechenbaren und noch viel Schlimmeren an der Spitze namens Putin angezettelt hat.
Wenn zwei Weltmächte sich bekämpfen
Eine sachliche Erläuterung, warum der Staat Russland gegen den Staat Ukraine vorgeht, ist das natürlich nicht. Das würde auch zur Kriegspropaganda nicht taugen. Denn dann würde deutlich, dass sich in der Ukraine gegensätzliche Interessen von zwei Weltmächten gegenüberstehen – Russland und USA.
Die eine möchte nicht zulassen, dass die andere dort weiter gegen sie vorrückt. Nachdem die US-Amerikaner alle Aufforderungen Russlands abgelehnt hatten, von der Ukraine diesbezüglich zu lassen, blieben "Putin" nur zwei Alternativen: Dies hinzunehmen, mit der Folge eines weiteren mächtigen Nato-Stützpunkts mit Nuklear-Potenzial direkt an seiner Grenze. Oder mit Gewalt dagegen vorzugehen. Letzteres geschah. (ausführlicher dazu siehe "Wenn zwei Weltmächte streiten").
Wohlgemerkt, dies ist keine Rechtfertigung oder gar Parteinahme für das Handeln einer dieser beiden waffenstarrenden Staaten. Eine Rechtfertigung und Parteinahme ist allerdings im Westen ebenso gefordert wie im Osten: Beide Lager sehen sich im Recht.
Wäre ja auch noch schöner, wenn die geschätzten und benutzten Untertanen ins Grübeln kämen. Wie sie aufeinandergehetzt werden, damit die jeweiligen Vorhaben gelingen – also Aufmarsch der Nato in der Ukraine oder Abwehr desselben.
Nein, hier geht es um Höheres, hier werden Werte verteidigt: Freiheit, Demokratie, Selbstbestimmung. Verdächtig, dass diese Kategorien von den Propagandamaschinen hier wie dort als Grund angeführt werden.
Einfach so einen Kriegszweck ausrufen und ihn dann durchzusetzen versuchen? Von wegen. Da muss schon mehr her, um die Bürger in heiligen Zorn zu versetzen. Die vom Westen vor dem Krieg und auch noch jetzt der enormen Korruption bezichtigte Ukraine, mit Oligarchen, einigen Faschisten, Parteienverboten und Zensur, hält nichts Geringeres als die Fackel der Demokratie hoch.
Gegenüber, im Osten des Landes, stehen die abtrünnigen Regionen für einen geradezu heroischen Kampf gegen "Nazis". Da muss natürlich Russland helfen, angesichts der furchtbaren Erfahrungen mit diesen Leuten im Zweiten Weltkrieg. Auch das also fraglos ein "gerechter" Krieg. Weil ja beide Lager sich lediglich "verteidigen". Und selbstverständlich wollen beide Frieden – freilich nur den, der ihnen gemäß ihrer Kriegszwecke gefällt.