Keine Zeit für Pazifisten
Seite 4: "Realer Pazifismus": Mit Gewalt Verhandlungen erzwingen
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- "Realer Pazifismus": Mit Gewalt Verhandlungen erzwingen
- Kein Platz für "echten" Pazifismus: Gewalt gehört zum guten Ton
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Was soll angesichts dessen ein "realer Pazifismus", wie ihn Franz Alt vorschlägt, bewirken? Gewalt durchaus anwenden gegen Russland, um den Angriff zu stoppen; aber das Verhandeln nicht vergessen! Da findet er den Satz von Bundeskanzler Helmut Kohl aus seiner Regierungserklärung von 1982 gut, gegen die damals sehr starke Friedensbewegung gemünzt:
Frieden schaffen mit immer weniger Waffen (statt ohne Waffen – B.H.).
Klar, wenn der dem Westen genehme "Frieden" – also die Welt im Griff haben fürs globale Geschäft – mit weniger Aufwand zu bekommen ist, warum nicht? So ist das wohl gewiss nicht gemeint. Eher geht es um die Vorstellung, eine Welt mit weniger Waffen würde weniger gewalttätig, mithin sicherer. Und dafür müsste stattdessen der Diplomatie der Vorrang gegeben werden.
So sieht das auch die Berliner tageszeitung und präzisiert den angesagten neuen Pazifismus:
...eine Art bewaffneter Pazifismus. Einer, der den Einsatz von Militär nicht ausschließt, dabei aber nie vergisst, dass der nur das Mittel zum Zweck sein darf: dem Erreichen einer Verhandlungslösung. Für Idealist:innen mag das absurd, ja hart klingen. Aber Pazifismus ist eben nichts für Weicheier.
Der verantwortungsvolle Pazifist von heute setzt demnach Kanonen und Panzer nur ein, um eine Verhandlungslösung zu erreichen. Solange schießen, bis der Gegner merkt, er kann nicht gewinnen, oder er verliert sogar.
Ja, dann kommt es zu Verhandlungen – weil eine der beiden Kriegsparteien ihren Kriegszweck nicht erreicht oder ihr schlicht Munition und Menschenmaterial ausgehen. Solche Art Verhandlungen sind daher keine friedliche Veranstaltung, sondern behandeln brutal die Konditionen für Sieg und Niederlage.
Was daran gewaltfrei, auch nur der Tendenz nach sein soll, bleibt das Geheimnis des bewaffneten Pazifisten. Gewalt anwenden muss man heutzutage einfach wollen, das gehört zum neuen guten politischen Ton. Wer das nicht kann, ist ein "Weichei".
Die Partei Die Linke plädiert in eine ähnliche Richtung, vor dem Hintergrund der beschlossenen Lieferungen deutscher Leopard-Panzer:
Der Krieg muss sofort beendet werden, Russland muss die Truppen aus der Ukraine zurückziehen. Die Ukraine hat das Recht auf Selbstverteidigung gegen den Angriff Russlands. Aber mehr Waffen-Lieferungen werden nicht zu einem Ende des Krieges führen – das geht nur mit Verhandlungen und Diplomatie.
Verhandlungen und Krieg gehören zusammen
Dass die Nato mitsamt den unterstützenden USA und der EU ebenfalls raus aus der Ukraine sollen, fällt der Partei nicht ein. Damit entfiele zwar der Kriegsgrund für Russland, und es gäbe tatsächlich den Raum für Verhandlungen.
Doch von der angesagten politmoralischen Verurteilung Putins will auch Die Linke nicht lassen. Nur ein bisschen weniger Waffen wäre gut, lautet ihr bescheidener Einwand. Ab welchem Umfang die gewünschte Wirkung sich entfaltet – nur ein paar Haubitzen, aber "keine Leos"?
Absurd, das kann natürlich nicht bemessen werden. Es ist auch gar nicht die Zahl der Waffen, die eine Verhandlung verhindert. Sondern die Kriegsparteien schauen, inwiefern ihre Kriegsziele in Reichweite oder gar bereits erreicht sind. Dann erfolgt das Angebot für eine Verhandlung – nämlich darüber, in welchem Maß der angeschlagene oder geschlagene Gegner zur Aufgabe seiner Kriegsziele bereit ist.
Verhandlungen und Krieg sind daher keine Gegensätze. Vielmehr finden die Gespräche zwischen Staaten auf Basis der jeweiligen Machtverhältnisse statt. Dabei kann sich für einen Staat herausstellen, dass es keinen Krieg braucht, um seinen Willen einem anderen Staat aufzuzwingen. Weil er eben genügend Gewaltmittel in der Hand hat – in Form ökonomischer Erpressung und des sie absicherndern Militärs.
Krieg bleibt dann aus, es braucht ihn nicht, um den Zweck zu erreichen. Umgekehrt ist er das letzte Mittel, wenn die Diplomatie versagt. Das heißt, wenn die Drohung mit unangenehmen Maßnahmen bei der Gegenseite nicht verfängt. So viel zur angeblich friedlichen Seite diplomatischer Treffen.
Der reale, weil bewaffnete Pazifist reiht sich ein in die Phalanx der gewalttätigen Solidarität mit der Ukraine. Sein konstruktiver Hinweis, mit Gewalt allein sei es jedoch nicht getan, sondern man müsse davon auch wieder herunterkommen, fügt der von Waffenlieferungen beherrschten hiesigen Debatte einen zwar nicht nötigen, aber wunderbar moralischen Akzent hinzu: Die Ukraine im Krieg gegen Russland unterstützen, ja. Doch bitte maßvoll und schauen, wann es Gelegenheit zu Verhandlungen gibt.
Und so guten Gewissens und mit mahnendem Zeigefinger bei alldem mitzumachen, was die Bundesregierung treibt. Größere Scheunentore, die sperrangelweit offen stehen, kann man nicht einrennen.