Kern warnt Türkei vor Staatsbankrott

Der österreichische Bundeskanzler fordert, dass sich die EU nicht von Erdoğan "einschüchtern" lässt

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Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern hat der Zeitung Österreich bestätigt, dass er über Soziale Medien "Morddrohungen vom radikalen Teil der türkischen Community" erhalten hat. Außerdem drohten Erdoğan-Anhänger dort, die Terrorgruppe IS werde die österreichische Regierung "vernichten". Anlass für die Äußerungen ist die Kritik Kerns an der türkischen Politik nach dem Putschversuch und an gewalttätigen Demonstrationen von Erdoğan-Anhängern in Wien sowie die Gegenkritik, die der türkische Staatspräsident auf diese Kritik hin an österreichischen Politikern übte.

Kern: "Schluss mit Appeasement"

Kern nahm dies zum Anlass, zu fordern, es dürfe jetzt zwar zu keinem "Bashing" von Türken kommen, die von Erdoğan "in Geiselhaft" genommen würden, aber es müsse auch "Schluss [sein] mit Appeasement". "Wir dürfen uns", so der Sozialdemokrat, "auf keinen Fall einschüchtern lassen". Zur Drohung des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu, den Migrationsdeal platzen zu lassen, wenn die EU der Türkei nicht bis zum Oktober Visafreiheit gewährt, meinte Kern, in dieser Angelegenheit sitze die EU "auf dem längeren Ast". Ein Meister der Metaphern ist der österreichische Bundeskanzler ganz offenbar nicht. Wahrscheinlich wollte er sagen, die EU sitze am längeren Hebel. Oder vielleicht auch, auf dem dickeren Ast, der sich weniger leicht absägen lässt.

Außenbereich einer kurdischen Gaststätte in Wien wird von Erdoğan-Anhängern demoliert, weil diese keine türkische Fahne aufhängen wollen

Dafür spricht Kerns Erklärung, ohne die EU drohe der Türkei ein Staatsbankrott. Tatsächlich kostete der Putschversuch das Land nach einer Rechnung des türkischen Handelsministers Bülent Tüfenkci bislang mindestens 300 Milliarden Lira - umgerechnet etwa 90 Milliarden Euro. Diese Summe setzt sich unter anderem aus Zerstörungen, Kosten für das Militär, stornierten Bestellungen und abgesagten Reisen und Hotelbuchungen zusammen. Insgesamt sollen über eine Million Reservierungen zurückgenommen worden sein. Ein großer Teil dieser Absagen betrifft allerdings nicht Touristen aus dem Ausland, sondern türkische Beamte, die wegen der Krise ihren Urlaub nicht antreten durften oder abbrechen mussten.

S&P stuft Türkei als "Hochrisikoland" ein

Die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) stuft die Türkei seit Montag als "Hochrisiko"-Land ein. Vorher hatte sich der stellvertretende türkische Ministerpräsident Mehmet Şimşek darüber beklagt, dass S&P das Rating türkischer Staatsanleihen mit Verweis auf den Putschversuch herab- und die Zukunftsaussichten auf "negativ" setzte. Şimşek meinte dazu, die Bewertungen seien "falsch" und drohte S&P und anderen Ratingagenturen mit "Schritten".

Sebastian Kurz, der wichtigste Regierungspolitiker der christdemokratischen ÖVP, stärkte seinem Kanzler gestern den Rücken und forderte auf Twitter und im Ö1-Morgenjournal, die EU dürfe sich "nicht in [eine] Abhängigkeit [von der Türkei] begeben", sondern müsse ihre "Außengrenzen selbst schützen". Die Ausdehnung des Familiennachzugs über Ehepartner und minderjährige Kinder hinaus, die die EU-Kommission derzeit planen soll, hält man in der österreichischen Regierung dagegen für einen Schritt in die falsche Richtung, wie Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck dem Kurier sagte.

Kurden, Armenier und Aramäer sollen kostenlos türkische Nachnamen ablegen können

Nicht zu einer Verbesserung der Beziehungen zwischen der türkischen und der österreichischen Staatsführung beitragen dürfte eine im Juli Gesetzesinitiative der kurdischstämmigen österreichischen Grünen-Abgeordneten Berîvan Aslan, die vorsieht, dass Kurden, Armenier und Aramäer, deren Vorfahren in der Türkei in den 1920er Jahren türkische Nachnamen annehmen mussten, diese Namen gebührenfrei ändern lassen können. Ob sich die österreichische Regierungskoalition, die im Nationalrat die Mehrheit hat, diesem Antrag anschließt, wird sich aber erst nach der Sommerpause entscheiden.

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