Killernatur Mensch

Von den Haien lernen

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Julia K.Baum und Mitarbeiter vom Department of Biology an der Dalhousie Universität in Halifax sprechen in Science vom "Kollaps" der Hai-Populationen im nordwestlichen Atlantik. Die Erkenntnisse beruhen auf systematischen Untersuchungen an der amerikanischen Ostküste bis ins Karibische Meer: Seit 1986 werden die Beobachtungen der Fischer, die Schwertfisch und Thunfisch aufbringen, registriert, und zwar in Küstennähe ebenso wie auf Hochsee. Hammerhai, Weißer Hai und Tigerhai werden um 90-80 Prozent weniger gefunden, die Häufigkeit der anderen Arten, die sich in Küstennähe aufhalten, wurde mehr als halbiert. Auf hoher See sind die Auswirkungen nicht geringer. Hier haben ebenfalls alle Familien, am meisten die der Fuchshaie mit einem Verlust um 80 Prozent gelitten.

Bogenstirn-Hammerhai (Sphyrna lewini): Bis zu 4,5 Meter lang, gelegentlich Einzelgänger, zumeist in größeren Verbänden lebend, bevorzugt in Küstennähe. (Bild: Science, Philip Colla / OceanLight.com)

"Nur ein toter Hai ist ein guter Hai", ist seit Jahrhunderten "common sense", und verstärkt seit Steven Spielbergs Film "Der Weiße Hai". Der englische Begriff "Shark", so wird mitunter behauptet, sei aus dem deutschen Wort "Schurke" entstanden. Wer kann bei mehr als 400 verschiedenen Arten der Verallgemeinerung trauen?

Haie gehören zu den ältesten Bewohnern der Erde, die, so zeigen die Versteinerungen von Urvater Cladoselache, der bereits vor 400 Millionen Jahren stromlinienförmig und demnach ein perfekter Schwimmer war. Manche Haie sind nur handgroß, ein Weißer Hai so ausladend wie im Film ist bisher allerdings noch nicht in freier Wildbahn gesichtet worden. Die Wahrscheinlichkeit, die mächtigen Beherrscher des Meeres überhaupt noch vor die Augen zu bekommen, schwindet jährlich. Die meisten erreichen unter natürlichen Bedingungen das Alter von Menschen, werden häufig später als der Mensch geschlechtsreif und tragen ihre wenigen Nachkommen bis zu 13 Monate aus. Zweifellos muss diese Gattung, die älter ist als die Dinosaurier und die Großechsen auch noch überlebt hat, gut angepasst und im Gleichgewicht mit der Umwelt sein.

Warum rottet der Mensch den Hai aus? Der große Hai fasziniert: Er ist stark, wendig, schlau und unberechenbar, kurz: der ideale Jäger. Allerdings macht er mehr als Tiger oder Panther Angst, weil der Mensch nicht mit der Büchse in der Hand und den Rücken frei auf Pirsch gehen kann, sondern im Wasser ziemlich machtlos ist, sein Gegenüber nicht einzuschätzen vermag und, schlimmer noch, Schmach leidet: die Krone der Schöpfung fühlt sich hoffnungslos in der Rolle des Gejagten.

Haifischgebisse kapitaler Tiere werden als Trophäen zu Höchstpreisen verhökert, die Flossen von den lebenden Tieren abgetrennt und zur Kraftsuppe verarbeitet, und Millionen von Haien werden als unproduktiver Beifang von den Fischern vernichtet. Damit geht das ökologische Gleichgewicht verloren, mit Auswirkungen, die heute nicht abzusehen sind, weil wir viel zu wenig über den Hai und seine Lebensgewohnheiten wissen.

Bogenstirn-Hammerhai (Sphyrna lewini) (Bild: Science, Philip Colla / OceanLight.com

Richard Martin, ein Biologe, der als Mitglied der National Marine Educators Society im kanadischen Vancouver lebt, hat jahrelange Erfahrung im Tauchen zusammen mit Haien gesammelt und führt zusammen mit seiner Frau Taucher in die Reviere der Haie. Rick beschreibt die Tiere so wie andere den Umgang mit Wildkatzen, mit einer Ausnahme:

Vermeide, den Hai direkt anzusehen. Nach meinen Erfahrungen verfolgen Haie die Augen des Tauchers. Sie mögen es genau so wenig wie Du, angestarrt zu werden.

Was bisher fehlt, ist ein Konrad Lorenz für die Haie. Bis dahin werden viele landläufige Meinungen kritiklos weiter getragen, obwohl sie wissenschaftlich ungeprüft sind. Das bisherige Wissen erschöpft sich in der Anatomie sowie dem Mageninhalt, der forensisch aufbereitet wird. Rätselhaft bleiben für die Forscher die Kommunikation zwischen den Tieren ebenso wie die Lorenzinischen Ampullen, jene Sinnesorgane, die um das Maul angeordnet sind und auf elektrische Felder ansprechen. Zum Auffinden der Beute, sagen die einen, zur Ortung ihrer Wanderung über Tausende von Kilometern, sagen die anderen. "Wir können noch viel von den Haien lernen," erklärt Steven Campana vom Canadian Shark Research Laboratory ebenfalls aus Halifax.

Die Cornea kann für die Hornhauttransplantation beim Menschen verwendet werden, weil sie der des Menschen ungemein ähnlich ist. Ferner gehören die Haie zu den wenigen Wirbeltieren, die keinen Krebs bekommen.

Julia K. Baum begrüßt die Regelung der 12. Artenschutzkonferenz des Washingtoner Artenschutzabkommens CITES (Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora), die erstmals zwei Haiarten für schutzwürdig befunden hat.

Unsere Ergebnisse für acht Haifamilien machen deutlich, dass dieselben Schutzregelungen notwendig sind. Dazu gehören zwei konzertierte Aktionen: Reservate sollten eingerichtet, und das Überfischen muss eingeschränkt werden.

Wir, die wir ressourcenhungrig sind und so wenig Erfahrung mit harmonischen Gleichgewichten vorweisen können, sollten angesichts des Kollaps in den Hai-Populationen innehalten und fragen: Wie funktionierte über Jahrmillionen ein ausgeglichenes Räuber-Beute-System, bei dem die Räuber ihre Beute niemals vollständig aufgefressen haben? Killernaturen können die im Wasser lebenden Haie nicht sein, ganz anders als die Zweibeinigen mit dem kleinem Mund.