Kirgistan: Klare Verhältnisse, alte Probleme
Der Wahlausgang verrät eines: Die Kirgisen wollen Stabilität
Knapp vier Monate nach dem unblutigen Putsch in Kirgistan (Kirgisien) wurde der neue starke Mann, Kurmanbek Bakijev, am 10. Juli mit fast 90 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt. Mit im Team ist Feliks Kulov, der künftige Premierminister. Sogar der verjagte Staatschef Askar Akajev war zufrieden: Er nannte die Wahlsieger Kurmanbek Bakijev und Feliks Kulov „meine politischen Zöglinge“. Dies stimmt: Beide Politiker hatten unter Akajev hohe und höchste Regierungsämter inne. Selbst konnte der seit März 2005 im Moskauer Exil lebende Ex-Präsident allerdings nicht abstimmen – sein Name fehlte auf der Wählerliste der dortigen kirgisischen Botschaft.
Auch die übrigen Wahlbeobachter aus dem In- und Ausland waren weitgehend zufrieden mit dem Ablauf des Urnengangs am 10. Juli. Dies ist gegenwärtig in den mehr oder minder repressiven zentralasiatischen Präsidialdiktaturen keine Selbstverständlichkeit. In Kirgistan hat eine faire und freie Wahl eine besondere Bedeutung: Denn die Unruhen im vergangenen Februar und März sowie die nachmalige Flucht von Präsident Akajev waren gerade durch den Protest der Bevölkerung gegen Unregelmäßigkeiten bei der Parlamentswahl ausgelöst worden.
Weitgehend faire Bedingungen
So stellte denn auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) den kirgisischen Behörden, trotz Kritik in Einzelfragen, gute Noten aus. Besonders hob die OSZE hervor, dass alle sechs Präsidentschaftskandidaten ihre politischen Vorstellungen ohne Beschränkungen auf Kundgebungen wie auch im Fernsehen präsentieren konnten. Die Massenmedien hätten die Bewerber weitgehend gleich behandelt. Bakijev habe allerdings als amtierender Staatschef einen gewissen Platzvorteil vor den übrigen Kandidaten gehabt. Edil Baisalov, Vorsitzender der größten kirgisischen Bürgerrechtsorganisation „Koalition für Demokratie und Bürgergesellschaft“ erklärte, dass der Wahlverlauf nicht ideal gewesen sei. Aber: „Das Ergebnis zeigt den Willen unseres Volkes“.
Der im postsowjetischen Raum beliebte Einsatz sogenannter administrativer Ressourcen blieb nach OSZE-Angaben weitgehend aus. Darunter versteht man die Zwangsverpflichtung von Staatsangestellten, den „Kandidaten der Macht“ in ihrem jeweiligen beruflichen Umfeld zu unterstützen. Das reicht vom Professor, der seine Studenten zur Wahl dieses Kandidaten auffordert, bis zum städtischen Arbeiter, der im Dienst Wahlplakate klebt.
Kurmanbek Bakijev selbst rief die Beamten mehrfach dazu auf, auf derlei demokratisch bedenkliche Maßnahmen zu verzichten: Sie würden ihm damit keinen Gefallen erweisen. Auffällig war indes, dass der neue Präsident über deutlich mehr Wahlkampfmittel verfügte als seine Konkurrenten. Sein Stab konnte besonders die jugendlichen Wähler mit Konzerten locken, auf denen auch die ukrainische Pop-Diva Ruslana auftrat. Dies ist in einem Land, in dem die Hälfte der Bewohner jünger ist als 30 Jahre, von besonderer Bedeutung.
Koalition der populärsten Politiker
Dass Bakijev siegen würde, war klar, die Frage war eigentlich nur: Wie hoch? Angst hatten aber alle Beteiligten, von der Zentralen Wahlkommission bis hin zu den Kandidaten, offenbar vor einer zu schwachen Wahlbeteiligung. Denn bei einer Quote von unter 50 Prozent wäre ein zweiter Urnengang erforderlich gewesen. Deshalb waren die Wahllokale von sieben bis 21 Uhr und somit um zwei Stunden länger als üblich geöffnet. Noch vor Mitternacht wurde Entwarnung gegeben: Die Beteiligung lag nach amtlicher Auskunft bei knapp 75 Prozent der stimmberechtigten 2,6 Millionen Kirgisen, auch wenn einige Beobachter hier Zweifel anmelden.
Das Ergebnis der Wahl war eindeutig: Der bisherige amtierende Präsident (in Personalunion auch Premier) Kurmanbek Bakijev konnte mit fast 89 Prozent Zustimmung einen überragenden Sieg einfahren. Der zweitplazierte Tursunbaj Bakir-uluu, Ombudsmann des Landes, kam auf knapp vier Prozent, Akbaraly Aitikejev, Vorsitzender des nationalen Unternehmerverbandes, erreichte 3,6 Prozent. Die übrigen Kandidaten, darunter als einzige Frau Toktaim Umetalijeva und der frühere Vize-Innenminister Keneschbek Dujschebajev, spielten keine Rolle. Interessanterweise machte nur ein Prozent der Wähler das Kreuz bei der Rubrik „Gegen alle Kandidaten“.
Im Süden Kirgistans, in den Provinzen Osch und Dschalal-Abad, gewann Bakijev sogar rund 95 Prozent, bei einer Wahlbeteiligung von über 90 Prozent. Seine Unterstützung im Norden lag zwar „nur“ bei 75 Prozent – dies ist aber ein beeindruckendes Resultat angesichts der ethnischen, politischen und sozialen Kluft zwischen dem Norden und dem Süden des Landes.
Der Sieg von Bakijev ist denn auch das Ergebnis eines Deals mit Feliks Kulov, der künftig die Regierung Kirgistans leiten wird. Das Polit-Duo setzt Zeichen. Denn es symbolisiert den Wunsch, die Spaltung des Landes zwischen Nord und Süd aufzuheben. Der Norden mit seinem starken russischen Bevölkerungsanteil ist wirtschaftlich erfolgreicher, während der Süden mit einer beachtlichen usbekischen Minderheit stärker von sozialen Spannungen geprägt wird und traditionalistischer ausgerichtet ist.
Norden und Süden gemeinsam
Der 55-jährige Bakijev stammt zwar aus dem Süden, ist aber mit einer Russin verheiratet. Dies beruhigt die slawischen Bürger Kirgistans. Darüber hinaus verfügt er über administrative und wirtschaftspolitische Erfahrung. Der gelernte Elektroingenieur war Direktor einer Fabrik und danach als Leiter verschiedener Regionen tätig. Ende 2000 ernannte Präsident Akajev ihn zum Regierungschef. Von diesem Amt trat er im Mai 2002 zurück, nachdem bei Protesten im Süden des Landes sechs Menschen ums Leben gekommen waren. Im Juni 2004 wurde Bakijev als Chef der Partei „Volksbewegung Kirgistans“ zum Herausforderer von Akajev bei den für Oktober 2005 angesetzten Präsidentschaftswahlen nominiert. Die Unruhen vom März 2005 trieben Akajev außer Landes und brachten Bakijev in den Präsidentenpalast von Bischkek.
Bakijevs Partner Feliks Kulov stammt aus dem Norden. Er war einst Vizepräsident und Oberbürgermeister der Hauptstadt, bevor er wegen angeblicher Korruption für fast fünf Jahre im Gefängnis saß. Der Führer der Partei „Ar-Namys“ („Würde“) ist weithin populär. Die Entscheidung, seine Präsidentschaftskandidatur gewissermaßen im nationalen Interesse zurückzuziehen und unter Bakijev ins zweite Glied zu treten, hat in der Bevölkerung viel Respekt gefunden. Dies schließt indes künftige Konflikte der beiden Partner, etwa bei der Bestallung des Kabinetts, nicht aus.
Das Duo Bakijev-Kulov steht nach eigenen Aussagen für den Kampf gegen Armut und Korruption. Bakijev will die staatlichen Medien auflösen und die unabhängige Presse fördern. Außenpolitisch streben der neue Staatschef und sein Premier gute Beziehungen mit Russland an. Sie haben wiederholt die Idee einer doppelten Staatsbürgerschaft für jene Russen angesprochen, die in Kirgistan leben. Auch die Idee eines zweiten russischen Militärstützpunktes im Süden des Landes findet offenbar die Unterstützung Bakijevs.
Ein guter Draht zum Kreml ist nicht nur wegen der russischen Bürger Kirgistans angebracht. Darüber hinaus arbeiten Hunderttausende von Kirgisen als „Gastarbeiter“ bei dem großen Nachbarn. Präsidentschaftskandidat Aitikejev spricht von einer Million Menschen – bei einer Gesamtbevölkerung von rund fünf Millionen. Der russische Außenminister Sergej Lavrov erklärte, das Wahlergebnis erlaube eine Stabilisierung der Lage in Kirgistan und in ganz Zentralasien.
Im Weißen Haus und im Pentagon könnte allerdings eine erste Stellungnahme Bakijevs für Stirnrunzeln gesorgt haben. Noch am Wahlabend deutete er die Möglichkeit an, die USA zur Schließung ihrer Militärbasis in Manas aufzufordern, denn die Lage in Afghanistan stabilisiere sich (Öl, Revolutionen und kalte Füße). Ob Bakijev diese Angelegenheit tatsächlich vorantreiben wird, bleibt noch abzuwarten. Immerhin sind die Pachtgelder aus Washington und die Ausgaben der GIs vor Ort ein beachtlicher finanzieller Segen für das verarmte Land.
Eine gewisse Garantie für gute Beziehungen zu dem Westen bietet auch Rosa Otunbajeva, einst Botschafterin in den USA und Großbritannien und derzeit Interims-Außenministerin. Selbst einige Zeit als Präsidentschaftskandidatin im Gespräch, kann sie dafür sorgen, dass die außenpolitische Chemie mit den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union stimmt, falls sie in ihrem Amt bestätigt wird.
„Tulpenrevolution“ als Vorbild für Zentralasien?
Nach der „Rosenrevolution“ in Georgien und der „Orangenen Revolution“ in der Ukraine hat die „Tulpenrevolution“ in Kirgistan zu einem Wechsel der politischen Eliten geführt (Revolution, die dritte .... Das große Köpferollen ist in allen drei Republiken ausgeblieben, die neuen Herren haben den bisherigen Amtsinhabern einen honorigen Abgang gestattet (In allen drei Ländern wurden die Veränderungen "von oben" eingeleitet). Askar Akajev war von allen zentralasiatischen Potentaten immer der sympathischste, auch wenn sich in den vergangenen Jahren in der Umgebung des einstigen Physikprofessors allerlei korruptionsanfällige Strukturen breitgemacht haben.
Ob die Präsidenten der benachbarten Republiken Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan die notwendigen intelligenten Schlüsse aus den kirgisischen Ereignissen ziehen, bleibt abzuwarten. Derzeit fürchten sie die ansteckende Wirkung der post-sowjetischen Revolutionen. Zwar haben die Staaten 1991 ihre Unabhängigkeit von Moskau gewonnen – aber viel mehr seitdem nicht erreicht. Sie werden von schwächelnden Ökonomien, Korruption und raffgierigen Eliten um den jeweiligen Staatschef geplagt. Gleichzeitig geraten, Menschenrechte, Demokratie und Meinungsfreiheit immer mehr zur Farce.
Kirgistan ist, so ein ausländischer Journalist, „derzeit am Anfang eines Weges, der mit Unsicherheiten gepflastert ist, aber es hat wenigstens die Macht unerwarteter Möglichkeiten in einer Region demonstriert, wo sie allzu lange geleugnet wurden.“ Die Opposition war reif genug, sich zusammenzuschließen. Diese Koalition muss eine Reihe von Aufgaben stemmen, die miteinander verwoben sind: die Wirtschaft ankurbeln, Arbeitsplätze schaffen, für innenpolitische Stabilität zu sorgen, die Korruption bekämpfen und die sozialen Gegensätze ausgleichen. Sie muss vor allem aber darauf verzichten, einfach einen Elitenwechsel vorzunehmen, der in wenigen Jahren zu einem zweiten Akajev-System führt.
Deutschland und die Europäische Union sind gut beraten, die neue Regierung in Bischkek mit kritischer Sympathie zu beobachten und ihre Reformvorhaben mit Rat und Geld zu unterstützen. Die komplementären Pflanzen Demokratie und Marktwirtschaft haben in dem zentralasiatischen Land gezeigt, dass sie auch unter schwierigen Verhältnissen gedeihen können. Von Stabilität und Wohlstand in der Region profitieren auf längere Sicht alle Beteiligten – auch der Westen.