In allen drei Ländern wurden die Veränderungen "von oben" eingeleitet
Telepolis sprach mit Gisbert Mrozek, dem Chefredakteur der Internetzeitung Russland-Aktuell.ru, über die Revolutionen in Georgien, der Ukraine und Kirgisien
Die Geschehnisse in Kirgisien (Revolution, die dritte ...) reihen sich in eine Serie von Umbrüchen ein, denen die Revolutionen in Georgien (2003) und der Ukraine (2004) vorangingen. Sehen Sie einen Zusammenhang?
Gisbert Mrozek: Ich denke schon, dass es einen Zusammenhang zwischen diesen sogenannten Blumenrevolutionen gibt. Zunächst einmal ist das ein geographischer: Alle Umbrüche fanden ja in Staaten der ehemaligen Sowjetunion statt. Der zweite Zusammenhang ist ein politischer: Allen drei dieser sogenannten Revolutionen lag deutliche Unzufriedenheit der Bevölkerung zugrunde, die direkt auf die Unfähigkeit der jeweiligen postsowjetischen Nomenklatura zurückzuführen ist. Weder in Georgien, noch in der Ukraine noch in Kirgisien konnte sie die schwerwiegenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme lösen.
Worin liegen diese Probleme denn?
Gisbert Mrozek: Alle drei Staaten sind wirtschaftliche und soziale Katastrophengebiete. Massenarmut und -arbeitslosigkeit, minimale Einkommen, schlechte medizinische Versorgung und fehlende Zukunftsperspektiven bestimmen das Bild. Die Auswanderung aus all diesen Ländern erreicht immense Ziffern. Aus Kirgisien sind in den letzten Jahren eine Million Menschen nach Russland ausgewandert, aus Georgien ebenso viele. Das sind die Gemeinsamkeiten.
Die Opposition rekrutierte sich aus den Reihen der postsowjetischen Nomenklatura
Kommen wir zu den Unterschieden. In westlichen Medien wurde der Sturz des ehemaligen Präsidenten Askar Akajews mitunter als Sieg der Demokratiebewegung dargestellt. Ein haltbares Urteil?
Gisbert Mrozek: Nein, so nicht. Und auch im Falle von Georgien und der Ukraine wäre ich sehr vorsichtig damit, "Opposition" und "Demokratiebewegung" synonym zu benutzen. Es gibt nämlich noch eine Gemeinsamkeit: In allen drei Ländern rekrutiert sich auch die Opposition aus den Reihen der postsowjetischen Nomenklatura selbst.
Wer zum Beispiel ?
Gisbert Mrozek: In der Ukraine war Viktor Juschtschenko Premier unter Kutschma, Julia Timoschenko und viele andere saßen lange im Kabinett oder in anderen Führungspositionen. In Georgien ist das ähnlich und in Kirgisien erst recht. Der neue starke Mann in Bischkek, Kurmanbek Bakijew, war Premierminister, der zweite Mann der "Opposition", Feliks Kulow, war schon in der Sowjetrepublik Kirgisien Innenminister, später dann unter Akajew sogar Vizepräsident und Geheimdienstchef. Rosa Otunbajewa war zu Sowjetzeiten Gesandter der Sowjetunion in der UNESCO und später Außenministerin unter Akajew. Das heißt also, dass die politische Elite in all diesen drei Ländern sich unter dem Druck der innenpolitischen Probleme und teilweise mit tatkräftiger Unterstützung von außen gespalten hat. Und das hat dann gezielt über den Aufbau von Oppositionsbewegungen, die aus den sozialen Problemen Antrieb und Dynamik bezogen, zur Ablösung im Machtapparat geführt. In allen drei Ländern handelt es sich ganz eindeutig nicht um eine authentische Revolution "von unten", sondern um einen Prozess, der "von oben" eingeleitet wurde.
Tatsächlich ist der amtierende Übergangspräsident Kirgisiens, Bakijew, einer der reichsten Männer des Landes. Mitunter werden ihm daher Kontakte zur Drogenmafia unterstellt. Was ist an diesen Vorwürfen dran?
Gisbert Mrozek: Beweise für seine Beteiligung an Drogengeschäften gibt es nach meinem Eindruck nicht. Tatsache ist zwar, dass er aus dem Drogenanbau- und Umschlagsgebiet im Fergana-Tal in der Umgebung der Stadt Osch stammt. Von 1997 bis zur Ernennung zum Premierminister im Jahr 2000, war er Gouverneur des nördlichen traditionellen Drogengebietes, der Provinz Tschu. Es lässt sich also sagen, dass Lebensweg und politische Biographie Bakijews sich parallel zu den Wegen des Drogenschmuggels entwickelt haben. Daraus können zwei Sachen folgern. Entweder hat er mitgemacht oder dagegen angekämpft - in beiden Fällen kann das ein profitables Geschäft sein.
Auch in den anderen zentralasiatischen Regimen könnte es zum Umsturz kommen
Sie haben "Unterstützung von außen" bei den drei vergangenen Umbrüchen in der GUS angesprochen. Inwieweit ist der Fall Kirgisien für Russland oder Europa von Interesse?
Gisbert Mrozek: Da gibt es einen wichtigen Unterschied zu Georgien und der Ukraine, wo die neue politische Elite westlich orientiert ist. Die Ehefrau Saakaschwilis ist Niederländerin, die Gattin Juschtschenkos Kanadierin mit US-amerikanischem Pass. In Kirgisien orientieren sich die neuen Machthaber hingegen an Moskau. Mit ihnen kann Putin bestens leben. Wesentlich besser zumindest, als mit denen, die vielleicht an die Macht gespült worden wären, wenn es eine langandauernde Krise in Kirgisien gegeben hätte. Der schnelle Zusammenbruch des unfähigen Akajew-Regimes war vermutlich die beste Lösung für den Kreml, aber wohl auch für Kirgisien.
Nach dem Umbruch in Kirgisien fühlen sich nun auch andere Oppositionsbewegungen motiviert, etwa in Kasachstan. Was ist Ihre Prognose?
Gisbert Mrozek: Ein Umbruch nach dem Schema von Georgien, der Ukraine oder Kirgisien wäre tatsächlich auch in Kasachstan denkbar. Und das ist auf eine weitere Parallele zurückzuführen: In all diesen Ländern war die Staatsmacht relativ schwach, es gab zivilgesellschaftliche Elemente und eine gewisse Liberalität. Mehr zumindest als in den Anrainerstaaten. Es gab Ansätze politischer Bewegungen und einer organisierten Opposition. Das trifft auf die anderen zentralasiatischen Regime keineswegs zu. Usbekistan unter Islam Karimow ist extrem diktatorisch, Sapamurad Nijasow verwaltet "sein" Turkmenistan wie ein Despot aus 1000 und einer Nacht, bloß weit weniger märchenhaft. Ähnliches gilt für Emomali Rachmonov in Tadschikistan. In dieser Gruppe der zentralasiatischen Republiken ist Kirgisien geradezu ein Musterbeispiel an Demokratie. Und auch Kasachstan ist weit weniger homogen, als es auf den ersten Blick wirkt. Aber es ist noch die Frage, ob Kasachstan oder Usbekistan eher in die Krise geraten. Auch hinter des despotischen Fassade in Usbekistan rumort es.
Usbekistan ist ja nun gerade ein wichtiger Stützpunkt für den US-geführten "Krieg gegen den Terror" in Afghanistan, und auch die Bundeswehr unterhält dort im Rahmen der ISAF "Schutztruppe" eine Militärbasis. Inwieweit trägt diese Militärkooperation zur Stabilisierung der Diktatur bei?
Gisbert Mrozek: Die Anti-Taliban-Koalition hat natürlich ein starkes Interesse an Stabilität an der Grenze zu Afghanistan. Für Russland ist Ruhe an seinen langen südlichen Grenzen extrem wichtig. Darauf kann sich in Tadschikistan Rachmonow stützen. In Usbekistan und erst recht in Kasachstan stellen sich alle Fragen aber schon etwas anders. Wie wir wissen, gibt es in Kirgisien sowohl einen russischen, als auch einen US-amerikanischen Militärstützpunkt. Das hat den Umsturz nicht verhindert - zumal eben sowohl Washington, als auch Moskau davon ausgehen können, dass ihre Präsenz nicht angetastet wird. Das heißt, entscheidend für die weitere Entwicklung ist nicht ausländische Militärpräsenz, sondern die Konsistenz und Stabilität der politischen Eliten und das Ausmaß des Problemdrucks.