Revolution, die dritte ...

Trotz zweifelhafter Umstände wird auch der Umsturz in Kirgisien im Westen mehrheitlich als Sieg der Demokratie gefeiert

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Anderthalb Jahre nach dem Sturz der georgischen Regierung und nur wenige Monate nach der ukrainischen "Revolution in Orange" ist Ende vergangener Woche mit dem zentralasiatischen Bergstaat Kirgisien ein weiteres Mitglied der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) von einem Umsturz erschüttert worden. Es ist das dritte Mal binnen zwei Jahren, dass eine gewählte Regierung der GUS-Region abgesetzt wird. In den ersten beiden Fällen hatten den Aufständen Wahlmanipulationen zugrunde gelegen. Und auch in Kirgisien werfen oppositionelle Gruppen der am Donnerstag entmachteten Regierung unter Askar Akajew vor, die Parlamentswahl vom 13. März zu deren Gunsten beeinflusst zu haben.

Der politischen Gewalt hätte es nicht bedurft, denn der oberste Gerichtshof hatte die Wahlen bereits für ungültig erklärt. Statt auf Neuwahlen zu drängen, hatten die Demonstranten nach mehrtägigen Protesten am Donnerstag jedoch das Parlament und den Regierungssitz in der Hauptstadt Bischkek im Süden des zentralasiatischen Landes gestürmt. Akajew soll sich zunächst in den nördlichen Anrainerstaat Kasachstan geflüchtet haben. Die russische Regierung hat ihm Asyl angeboten. Er soll sich bereits in Russland aufhalten. Die Regierungsgeschäfte wurden umgehend von Kurmanbek Bakijew übernommen. Der Geschäftsmann hatte die Proteste gegen die Regierung maßgeblich angeführt.

Im Westen wurde der neuerliche Staatsstreich mit weitgehender Selbstverständlichkeit aufgenommen. Die österreichische Zeitung "Die Presse" etwa sah in den kirgisischen Geschehnissen ein weiteres Indiz für eine "Demokratiebewegung", die über die "Diktaturen in den ehemaligen Sowjetrepubliken" hinwegrolle. Mit dem gewaltsamen Sturz Akajews sei ein weiteres "autokratisches Regime" zerschlagen worden. Eine Serie weiterer Berichte in westlichen Medien folgte diesem Schema. Außer acht gelassen wurde dabei, dass sowohl die "Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" als auch die russische Regierung bis zuletzt großen Wert auf eine rechtsstaatliche Lösung der Krise gelegt hatten. Beide Parteien drängten bis zum gewaltsamen Ende des politischen Konfliktes auf Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition. Auch nach dem Umsturz hielt man sich in Moskau wie in Washington im Urteil zurück. Die US-Außenministerin Condoleezza Rice plädierte weiterhin für eine friedliche Lösung und mahnte baldige Wahlen an. Russlands Präsident Wladimir Putin ergriff deutlicher Position. Er bezeichnete den Staatsstreich als "völlig illegitim".

Die im Gegensatz zu diesem Urteil neutralen bis positiven Reaktionen im Westen erstaunen vor allem angesichts der offensichtlichen Unterschiede zwischen dem Putsch in Kirgisien und den Staatskrisen in der Ukraine und Georgien. Während hinter den Umstürzen in jenen Fällen zumindest noch breite Oppositionsbewegungen standen, beschränkt sich der Konflikt in Kirgisien maßgeblich auf Streitigkeiten rivalisierender Clans. Während Akajew seine politische Basis vor allem im Norden des Landes hatte, liegt Bakijews Machtbasis im Süden des Landes. Mit der neuen "Revolution" in der GUS hat sich wohl nicht "die Demokratie" durchgesetzt. Und auch ein Politikwechsel dürfte in dem zentralasiatischen Staat ausbleiben. Akajew hatte in den 14 Jahren Regierungszeit eine streng wirtschaftsliberale Linie verfolgt. Daran wird sich auch unter der neuen Regierung nichts ändern: Der neue Regierungschef Bakijew gilt schon jetzt als einer der reichsten Männer des Landes.

Sein politisches Kapital zog der Geschäftsmann Bakijew in den vergangenen Wochen vor allem aus den sozialen Unterschieden zwischen dem reicheren Norden und dem verarmten Süden des Landes. Die Hoffnungen auf eine Umverteilung drohen aber auch unter seiner Herrschaft enttäuscht zu werden. Statt dessen prognostizieren Beobachter bereits eine weitere Eskalation der Lage. Der deutsche Asienexperte Alexander Rahr etwa warnt vor einem drohenden Bürgerkrieg in dem Bergstaat.

Vorerst aber geht es in Kirgisien vorrangig um die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung. Neuwahlen sollen Ende Juni dieses Jahres stattfinden. Spätestens dann wird sich der wahre Wert der neuen "Demokratie" in Kirgisien herausstellen. Derzeit erheben gut vier Dutzend politischer Gruppen und Parteien Anspruch auf die Macht.