Kleines Banner mit großen Folgen

Ein Betriebsrat wurde wegen einer Animation auf der Webseite seiner Arbeitnehmergruppe fristlos gekündigt

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Seit 1987 hat Heiko Barten, zuletzt als Betriebsorganisator bei der Berliner Bankgesellschaft, gearbeitet. Zur Zeit ist er arbeitslos. Die Zukunft des 40-jährigen Berliners hängt von der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ab. Es war schließlich auch das Berliner Landesarbeitsgericht, das mit einem Urteilsspruch dafür sorgte, dass Barten nach mehr als 18-jähriger Tätigkeit ohne Beschwerden fristlos entlassen wurde.

Barten hat sich bei der Bankgesellschaft für die Interessen seiner Kollegen eingesetzt. Seit 8 Jahren war er gewählter Betriebsrat. "FrischerWind!", heißt die Liste, auf der er in den letzten Jahren gewählt wurde. Ein fast schon programmatischer Name. Die Gruppe wollte frischen Wind in die verkrusteten Strukturen der Berliner Bankgesellschaft bringen. Nicht nur in den Vorstandsetagen sah man das mit Unwillen. Auch einige Betriebsratskollegen sahen durch das Auftreten der neuen Gruppe ihre Kreise gestört. Schließlich hatten die Neuen auch noch Erfolg. Bis zu 30 % der Stimmen gewannen sie jüngst sogar bei den Aufsichtsratswahlen. Sie kritisierten einen allzu unternehmensfreundlichen Kurs mancher Verdi-Mitglieder in den Arbeitnehmervertretungen.

Einer dieser Konkurrenten begutachtete die von Barten verantwortete Webseite der Initiative www.frischerwind-online.de. Sie hatte im Mai diesen Jahres den Preis für die kreativste Webseite mit Arbeitnehmerbezug erhalten. "Der Internet-Auftritt überrascht in unregelmäßiger Folge mit originellen Animationen und neuen Inhalten. Diese insgesamt kreativ gestaltete Website motiviert die Mitarbeiter zu dem erwünschten regelmäßigen Zugriff", lautete die Begründung.

Doch der Zugriff von Bartens Kollegen hatte fatale Folgen. Eine Animation bewog ihn, die Bankgesellschaft zu informieren. Die Internetsequenz zeigte in schnell wechselnder Folge u.a. ein Stofftier im Ruderboot, ein Krokodil, den Slogan "Arbeit macht frei", der auch über den Tor des Konzentrationslagers Dachau prangte. Weiterhin einen Blitzschlag, Geld und einen Leichenberg sowie das Wort "Trennungsgespräche" und den Satz " Hier ist die Meinungsfreiheit".

"Ich wollte vor den sozialen und politischen Gefahren einer Massenarbeitslosigkeit warnen, wie sie das Ende der Weimarer Republik eingeläutet hatte", erklärte Barten. Die Ausführung sieht er heute als "drastisches Aufrütteln zur Diskussion", mit der er niemanden verletzen wollte. "Das Eingangstor des allerersten KZ überhaupt, der heutigen Gedenkstätte Dachau, sah ich als Symbol für den Anfang vom Ende und als Mahnung für Meinungsfreiheit", betont er. Doch eine Kündigung könne damit nicht begründet werden.

Die aber hatte die Berliner Bankgesellschaft sofort ausgesprochen, als sie per Email von der Computeranimation erfahren hatte. Seitdem war Barten zwangsweise Dauerbesucher bei den Arbeitsgerichten. Im November 2003 hatte das Arbeitsgericht die Kündigung zunächst für rechtmäßig erklärt. Doch in der ersten Instanz gewann Barten. Der Richter bezeichnete in einer 64-seitigen Urteilsbegründung die Animation "als wirres Bilderpotpourri", das keine Kündigung rechtfertige. Kurios: Barten wurde sogar von seinen Betriebsratskollegen noch zum Vorsitzenden gewählt und musste dann wegen Hausverbots die Amtsgeschäfte von zuhause führen. Die Berliner Bankgesellschaft hob das Hausverbot gegen Barten allerdings erst auf, als das Landesarbeitsgericht mit einem Ordnungsgeld in der Höhe von 250.000 Euro täglich bzw. Haft eines Vorstands drohte.

Nachdem Barten in der Berufungsverhandlung verlor, wurde die Kündigung sofort wieder wirksam. Können sich jetzt Betriebsräte überhaupt noch zu gesellschaftlichen Themen äußern, fragt sich nicht nur Barten. Auch andere Webseiten, die sich kritisch mit Vorgängen in Betrieben auseinandersetzen, haben mit Abmahnungen und juristischen Verfahren zu kämpfen.

Mittlerweile wird Barten von einem Solidaritätskomitee unterstützt. Auch Initiativen, die die Politik der Berliner Bankgesellschaft aus anderen Gründen kritisieren, haben sich mit dem gemaßregelten Betriebsrat solidarisiert. Die Einrichtung eines Spendenkonto lehnt er allerdings ab. Er wolle sich nicht zum Almosenempfänger degradieren lassen. Das könnte ihm aber drohen, wenn das Urteil in einem von Barten angestrebten Revisionsverfahren nicht aufgehoben wird. Die Berliner Bankgesellschaft hat jegliche Abfindungen für ihren langjährigen Mitarbeiter kategorisch abgelehnt.Langweilig wird es Barten aber nicht. Zur Zeit gestaltet er Banner für die Montagsdemonstrationen, die bundesweit von den Initiativen verwendet werden.