Kleines Systemproblem

In "Downsizing" entdeckt Regisseur Alexander Payne die Verkleinerung des Menschen als nachhaltige Problemlösung

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Mit einem Pfannenwender sammelt eine Krankenschwester den bewusstlosen Paul Safranek (Matt Damon) ein. Man hat ihn in Narkose versetzt, ihn rasiert und ihm die Zähne ausgeschlagen. Haar- und zahnlos sieht er aus wie eine Barbie-Puppe nach einer Chemotherapie.

Safranek wurde geschrumpft. Nicht ganz ein Zehntel seiner einstigen Körpergröße kann der Physiotherapeut noch vorweisen. Hinter der Prozedur steht keine Strafe, sondern ein aberwitziges Konzept zur Eingrenzung des Klimawandels.

1:10-Modell Amerikas

Eine norwegische Stiftung erfindet den Downsizing genannten Verkleinerungsprozess, der einem ebenso simplen wie effektiven Ansatz folgt: kleiner Mensch, kleiner CO2-Verbrauch. Doch nicht Altruismus und ein Interesse für den Klimaschutz machen das Downsizing zum Erfolg. Es ist der marktwirtschaftliche Nutzen, der Menschen wie die Safraneks anlockt.

Je kleiner der Mensch, desto größer auch das Vermögen. Bei einer Körpergröße von knapp 15cm reicht das Ersparte der überdurchschnittlich gutherzigen Durchschnittsamerikaner Paul und Aubrey (Kristen Wiig) Safranek zum Privatierdasein in einer Vorstadt-Luxusvilla. Ein Lebensentwurf, den das Unternehmen Leisure Land in der gleichnamigen "Kleinstadt" anbietet.

Downsizing (17 Bilder)

Bild: © Paramount Pictures

Selbst mit seinem bescheidenen Einkommen schafft es der rasierte Physiotherapeut also in die High-Society des kleingezauberten Paradieses. In der gemeinsamen Villa empfängt ihn allerdings keine ebenfalls geschrumpfte Aubrey, sondern nur eine einsame Flasche Mini-Champagner. Paul zieht allein in sein Vorstadt-Disneyland. Dessen Vorzüge muss er im Zuge seiner Scheidung, die schließlich in Form eines riesigen A4-Blatts vor ihm präsentiert wird, ebenso aufgeben wie sein Privatierdasein.

Payne illustriert in seiner überlangen Exposition wie eine altruistische Idee unweigerlich von der Gesellschaftsstruktur vereinnahmt wird. Nach seiner Verkleinerung erlebt Paul die tägliche Tristesse des Abstiegs in die Mittelschicht, inklusive Call-Center-Job und 2-Zimmer-Wohnung.

Denn in Leisure Land herrschen letztlich die gleichen Strukturen wie in der großen weiten Welt - es gibt nur weniger Vögel. Dementsprechend schlecht geht es auch den illegalen Immigranten und Flüchtlingen, die zu einem Großteil gegen ihren Willen geschrumpft wurden.

Sie leben jenseits der Grenzmauern in den Schuhkarton-großen Zellen eines alten Containers. Leisure Land ist ein 1:10-Modell der amerikanischen Gesellschaft, das eben auch zeigt, dass die Probleme kapitalistischer Mechanismen nicht einfach weggeschrumpft werden können.

Schaulauf der Lebensentwürfe

So sind auch die Auswege aus der eintönigen Existenz für den kleinen und den großen Paul die gleichen. Repräsentiert werden sie als Lebensmodelle von den Wegbegleitern, die dem einsamen Protagonisten in- und außerhalb von Leisure Land begegnen.

Da ist zunächst sein Playboy-Nachbar Dusan, den Christoph Waltz auf die gewohnt flamboyante Art verkörpert, für die ihn Hollywood seit Jahren immer wieder gerne bucht. Dusan gibt sich ganz dem Hedonismus hin, schmeißt zusammen mit seinem Freund Konrad (den Udo Kier als Partygranate in Morgenmantel und Ringelsocken gibt) Parties, nimmt Drogen und finanziert all das mit dem Schmuggel "großer" Güter aus der echten Welt.

Seine kodderschnäuzige Haushälterin Ngoc Lan Tran (Hong Chau), eine Dissidentin, die auf der Flucht aus Vietnam ein Bein verlor, erinnert Paul nicht nur an sein Leben als Physiotherapeut, sondern gibt ihm auch die Möglichkeit Empathie, Solidarität und vielleicht sogar die Liebe neu zu entdecken.

Zusammen lernen die drei schließlich den Erfinder des Downsizing kennen: Dr. Jorgen Asbjørnsen (Rolf Lassgård), den seine edelmütigen Maximen in eine Selbstversorger-Hippie-Enklave geführt haben.

Der Plot zerstreut sich in den Abzweigungen dieser unterschiedlichen Lebensweisen, in denen der Normalo Paul versucht seinen winzigen, fast CO2-freien Fußabdruck zu setzen. Während er die kleine Welt nach einem geeigneten Entwurf abklopft, verheddert sich der Film im Netz seines theoretischen Überbaus.

Je weiter Regisseur Alexander Payne für den satirischen Rundumschlag ausholt, desto mehr Kraft scheint verloren zu gehen. Vielleicht lässt sich die Faust auch einfach schwer ballen, wenn man dabei ständig den Zeigefinger hebt.

Mehr und mehr geht es um den Abgleich der alternativen Lebensmodelle der Figuren, über den Payne sukzessive die Vorzüge seiner Prämisse vergisst. Der Pfannenwender als Ersatz für die Tragbahre und eine Piepmanscher-Explosion bleiben zwei der wenigen Erinnerungen an das Miniaturdasein, das über die mehr als zweistündige Laufzeit zunehmend verblasst. "Downsizing" ist im Mikrokosmos von Leisure Land eine schlagende Parabel, in der großen weiten Welt aber nur eine Kleinigkeit.