Klimagesetz: Nachsitzen und Nachhilfe
Die Energie- und Klimawochenschau: Von einem weiter völlig unzureichenden Klimagesetz, Nachhilfeunterricht für den Kanzlerkandidaten Laschet und von dessen verwüsteten Landschaften im Rheinland
Wie es aussieht, wird am heutigen Mittwoch das Bundeskabinett einen Entwurf auf den Weg bringen, mit dem das erst vor wenigen Monaten verabschiedete Klimaschutzgesetz geändert werden soll. Damit soll dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts stattgegeben werden, so das erklärte Ziel der Regierung. Telepolis hatte über das Ende April gefällte Urteil mehrfach berichtet.
Neu am Gesetzentwurf sind vor allem, dass Klimaneutralität nun 2045 statt 2050 erreicht sein soll. Außerdem werden konkrete Minderungsschritte zwischen 2031 und 2040 benannt und das Klimaziel für 2030 heraufgesetzt.
Nun sollen bis dahin die Treibhausgasemissionen um 65 statt um 55 gegenüber dem Niveau von 1990 reduziert sein. Auch für das darauf folgende Jahrzehnt sind für jedes Jahr konkrete Reduktionsziele definiert. 2031: 67 Prozent, 2032: 70 Prozent und so weiter bis 2040 88 Prozent erreicht sind.
Wie schon im geltenden Klimaschutzgesetz werden für die 2020er Jahre den verschiedenen Sektoren wie Verkehr, Industrie, Landwirtschaft, Energiewirtschaft und Gebäude Emissionsmengen zugewiesen, die von Jahr zu Jahr abnehmen.
Allein der Energiewirtschaft wird lediglich ein Endziel für 2030 vorgeschrieben. Doch immerhin fällt dieses knapp 40 Prozent niedriger als im alten Gesetz aus und würde für den Kraftwerkssektor bedeuten, dass die Emissionen gegenüber 2020 um fast zwei Drittel abnehmen müssen.
Alle genannten Werte sind in der Anlage 2 zum Gesetzentwurf festgehalten. Addiert man die Emissionsmengen auf, die nach der neuen Fassung des Klimagesetzes noch bis 2030 erlaubt sein sollen, kommt man auf rund 6,2 Milliarden Tonnen CO2.
Der große Fehler
Schaut man sich diese Zahl genauer an, wird schnell klar, weshalb es von Seiten der Umweltverbände, der Linkspartei und Fridays for Future Kritik an dem so außerordentlich kurzfristig und mit lächerlichen Konsultationsfristen für die Verbände vorgelegten Gesetz setzt.
Wie wiederholt hier auf Telepolis dargelegt und der Bundesregierung schon 2009 von ihrem Wissenschaftlichen Beirat für Globale Umweltveränderungen vorgerechnet gibt es ein Gesamtbudget an Treibhausgasen, die noch in die Luft geblasen werden dürfen, wenn die globale Erwärmung 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau nicht überschreiten soll.
Wenn man sich mit einer Zwei-Drittel-Chance begnügt, die 1,5-Grad-Messlatte nicht zu reißen, wäre Deutschlands sehr großzügig berechneter Anteil daran 3,3 Milliarden Tonnen CO2. Die Bundesregierung will jedoch allein bis 2030 noch fast das Doppelte emittieren und behauptet dabei noch, den Beschluss des Verfassungsgerichts umzusetzen.
Das ist aber ganz offensichtlich nicht der Fall. Das Gericht ist in der oben verlinkten Urteilsbegründung ausführlich auf den Budget-Ansatz eingegangen, wie er unter anderem auch IPCC (Intergovermental Panel on Climate Change, salopp manchmal UN-Klimarat genannt) verfolgt wird. Ausdrücklich zitiert das Gericht den IPCC-Sonderbericht "Global Warming of 1.5°C" in dem verschiedene Angaben für das verbleibende Budget je nach Temperaturziel und der Sicherheit, diese zu erreichen gemacht werden.
"Ein schneller Verbrauch des CO2-Budgets schon bis 2030 verschärft jedoch das Risiko schwerwiegender Freiheitseinbußen, weil damit die Zeitspanne für technische und soziale Entwicklungen knapper wird," hatte das Gericht geurteilt. Es verstoße gegen das Verbot der Verhältnismäßigkeit, nachfolgenden Generationen die Hauptlast zu überlassen.
Angesichts des vorliegenden, hastig eingebrachten Gesetzentwurfes, können eigentlich die Klageschriften recycelt werden und der Gang noch Karlsruhe erneut angetreten werden. Doch derlei dauert natürlich und die Bundesregierung könnte sich bis dahin damit brüsten, dem Urteil genüge getan zu haben.
Letzteres scheint das Motiv für die Eile zu sein, denn die Regierungsparteien haben verständlicher Weise wenig Interesse daran, dass ihre Versäumnisse im Klimaschutz den Wahlkampf dominieren. Das wäre fast so schlimm, als wenn auch im August und September sich die Menschen noch allzu lebhaft an die diversen Masken-Affären der Union erinnern.
Fragwürdige Senken
Bundesumweltministerin Svenja Schulze, die sich unter den Budgetzahlen nichts vorstellen kann, scheint übrigens unter anderem darauf zu setzen, Moore und Wälder als Speicher für das Treibhausgas CO2 nutzen zu können, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland schreibt.
Hätte sie ihre Fachleute im Umweltbundesamt oder beim Wissenschaftlichen Beirat für Globale Umweltveränderungen gefragt, könnte sie wissen, dass daraus nichts werden kann. Zum einen ist deren Aufnahmefähigkeit im Verhältnis zu den deutschen Emissionen sehr begrenzt. Zum anderen sind sie alles andere als sichere Tresore, in denen CO2 einfach weggeschlossen werden kann.
Schon ein paar Dürrejahre wie die zurückliegenden reichen, um aus Mooren und Wäldern zusätzliche Quellen des Treibhausgases zu machen. Diese Ökosysteme besser als bisher zu schützen, ist allerdings dennoch sinnvoll, zumal sie durch die Erwärmung weiter unter Stress geraten werden.
Auf Kosten anderer
Eine andere Art von Budgetansatz ist es, die nachhaltig zur Verfügung stehenden Ressourcen auf alle Erdbürger gleichmäßig zu verteilen und dann mit dem Jahresverbrauch zu vergleichen. Das Ergebnis: Deutschland hatte seinen Anteil bis zum 5. Mai aufgebraucht.
Seit letzter Woche leben wir also für den Rest des Jahres auf Kosten der armen Länder und zukünftiger Generationen. Bis zum Dienstag letzter Woche hatten wir - die Reichen mehr, die Armen weniger - den Anteil der Ressourcen aufgebraucht, die uns pro Jahr zu stehen.
Alles was von jetzt an verbraucht wird, ist nicht erneuerbar. Das betrifft nicht nur die fossilen Energieträger sondern auch Wälder, Boden, Meeresprodukte und vieles mehr. Würden alle Menschen so viel verbrauchen wie der und die durchschnittliche Deutsche, so zeigen die Berechnungen des Footprint Networks, dann bräuchte die Menschheit 2,9 Erden.
Da aber ein großer Teil der Menschheit wesentlich bescheidener lebt (oder besser gezwungen ist zu leben), liegt der sogenannte Overshoot day für die gesamte Menschheit erst im August. Aber auch als Ganzes kommen wir nicht mehr mit dem Planeten aus. Das war zuletzt Ende der 1960er der Fall gewesen. Inzwischen bräuchte die Menschheit für ihren Ressourcenverbrauch 1,7 Erden.
Nachhilfe für Laschet
Derweil hat der CDU-Vorsitzende Armin Laschet die Sachen mit dem Treibhausgasbudget immer noch nicht richtig verstanden. Auch scheint er nicht recht zu wissen, was in der Pariser Klimaschutzvereinbarung steht.
Entsprechend musste Luisa Neubauer von Fridays for Future den Kanzlerkandidaten in der jüngsten Talkrunde bei Anne Will ein wenig aufklären. In den sozialen Medien sorgte das mal wieder für eine Welle frauenfeindlicher und hasserfüllter Kommentare, zumal Neubauer den CDU-Vorsitzenden auch noch darauf hinwies, dass sein für den Bundestag kandidierender Parteifreund Hans-Georg Maaßen antisemitische Inhalte verbreite.
Maaßen, der als Vorsitzender des Bundesverfassungsschutzes verantwortlich für die Vernichtung zahlreicher Unterlagen über die Naziterrorzelle NSU war, hatte mehrfach in Tweets und auf YouTube von "Globalisten" und "Great Reset gesprochen, wie es vom Blog Volksverpetzer dokumentiert wird.
In rechtsextremen Kreisen sind das Begriffe, mit denen antisemitische Verschwörungstheorien umschrieben werden. Schaut man sich einige von Maaßens Stellungnahmen an, dann bleibt wenig Zweifel an seiner stramm rechten Gesinnung, der unter anderem Klimaschutz und Kampf gegen Rassismus ein Gräuel sind.
Unter Beobachtung
Maaßens ehemalige Untergebene vom Inlandgeheimdienst versuchen derweil einen Teil der Klimaschutzbewegung zu kriminalisieren wie etwa die Kieler Gruppe TKKG, die sich unter anderem gegen den Bau neuer Autobahnen starkmacht und dabei auch wagt, den Kapitalismus zu kritisieren.
Der hat übrigens hierzulande, anders als mancher CDU-, SPD-, aber auch Grünen-Politiker zu glauben scheint, im Gegensatz zum Klimaschutz - siehe das oben besprochene Karlsruher Urteil - keinesfalls Verfassungsrang. Auch das bundesweite Netzwerk Ende Gelände, das für seine Aktionen zivilen Ungehorsams gegen Braunkohletagebaue bekannt ist, steht bei den Schlapphüten unter Beobachtung.
Auf Twitter hat eine Ende-Gelände-Sprecherin auf die Vorwürfe geantwortet.
Neue Allianzen
Unbeirrt von diesen Störmanövern der Geheimdienste schmiedet die Klimabewegung verschiedene Bündnisse. Letzte Wochen hatten wir bereits von einer Allianz der Schülerinnen und Schüler mit der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft verdi und dem antirassistischen Bündnis "unteilbar" berichtet.
In einem gemeinsamen Arbeitspapier wird unter anderem auf die Lehren aus der Corona-Pandemie verwiesen. Diese habe gezeigt, wie sehr wir über alle Grenzen hinweg aufeinander angewiesen sind. Sie habe nationalistische und autoritäre Reflexe ausgelöst, aber auch deutlich gemacht, "dass sich gemeinsame Probleme auch nur gemeinsam lösen lassen".
Und: Der herrschende Marktradikalismus, dem Geheimdienstler gerne Verfassungsrang zusprechen würden, wird auch hier in Frage gestellt: "Die Wirtschaft muss an gesellschaftlichen Bedarfen, Nachhaltigkeit und gerechter Verteilung statt an Profitmaximierung ausgerichtet sein", heißt es in dem Papier.
Erste gemeinsame größere Aktion soll eine Demonstration am 10. April in Magdeburg sein. Schon vorher beteiligt sich in dieser Woche in Berlin Schülerinnen und Schüler an den Gewerkschaftsaktionen für bessere Arbeitsbedingen in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Am 18. Juni wird es außerdem den nächsten bundesweiten, dezentralen Aktionstag von Fridays for Future geben, an dem sich voraussichtlich auch örtliche verdi-Verbände beteiligen werden.
Nahezu zeitgleich mahnt auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) mehr Klimaschutz und dessen gerechte Ausgestaltung an. Anlässlich des Donnerstag und Freitag letzter Woche tagenden sogenannten Petersberger Dialogs zur Vorbereitung der nächsten UN-Klimakonferenz im Herbst machte der AWO-Vorsitzende Jens M. Schubert die Position seines Verbandes deutlich.
Die AWO bekenne sich zum 1,5 Grad Celsius Ziel. "Wir sehen bereits jetzt, dass die Folgen des Klimawandels diejenigen stärker treffen, die sozioökonomisch benachteiligt sind. Das muss stärker berücksichtigt werden und diese Ungleichheit darf sich bei den Kosten der nötigen Schutzmaßnahmen nicht fortsetzen", forderte Schubert von der Bundesregierung.
Verwüstet
Im und um den Hambacher Forst im Rheinland gab es am vergangenen Sonntag den 85. Waldspaziergang, mit dem gegen den immer noch weiter vorgetriebenen Hambacher Tagebau protestiert wurde.
Seit sieben Jahren finden diese politischen Wanderungen statt und aus Anlass des Jubiläums wurde es diesmal als eine Aktion Rote Linie durchgeführt, um dem Betreiber RWE zu zeigen: Bis hierher und nicht weiter.
Auf Twitter hat die Initiative Buirer für Buir (Buir ist eines der Dörfer am Rande des Tagebaus) Luftaufnahmen der Demonstration veröffentlicht, die zugleich einen beklemmenden Eindruck von den Ausmaßen der Landschaftszerstörung durch die Braunkohlegrube zwischen Köln und Aachen vermitteln.
Der Tagebau wird wie andere in der Region von RWE betrieben, dem Konzern, dem zuliebe der nun nach seinen eigenen Angaben so sehr ums Klima besorgte Armin Laschet und dessen CDU noch im vergangenen Jahr explizit der Braunkohle ohne jeden wissenschaftlichen Nachweis eine energiepolitische Notwendigkeit im Kohlegesetz attestieren ließ.
Einige Tage vor den jüngsten Protesten hatte am 4. Mai Sturmtief "Eugen" dem Rheinland einen Sand- und Kohlesturm beschert. Kleine Videos, zumeist vom etwas nördlich der Hambacher Grube gelegenen Tagebau Garzweiler 2, zeigen hier, hier, hier, hier und hier die unerträglichen Bedingungen, die die Tagebaue für die Anwohner bedeuten.
Und ansonsten?
Dann wäre da noch von einer Blockade bei Heidelberg Cement in Leimen in der Nähe von Heidelberg zu berichten. Verantwortlich war die dortige Ortsgruppe von Extinction Rebellion, eines internationalen Netzwerks, das mit gewaltfreien Aktionen auf die schwere Ökosystemkrise aufmerksam machen will, auf der die Menschheit mit dem großen Massenaussterben von Arten zusteuert.
Heidelberg Cement ist einer der weltweit größten Zementhersteller. Die Aktivisten wollten zum einen auf die mit der Herstellung und dem Abbau der benötigten Rohstoffe in manchen Ländernverbundenen Menschenrechtsverletzungen hinweisen.
Zum anderen ging es ihnen auch um die Rolle, die der Zements für den Klimawandel spielt. Bei der Herstellung von Zement fällt nämlich das Treibhausgas CO2 nicht nur aufgrund der eingesetzten fossilen Brennstoffe an, sondern auch durch die chemische Prozesse, die aus den Rohstoffen das begehrte Produkt machen. Weltweit gehen etwa sieben bis acht Prozent der CO2-Emissionen auf das Konto der Zementproduktion.
Mehr Schäden
Außerdem ist von einer Buchveröffentlichung zu berichten. Nick Reimer, der auch für Telepolis schreibt, hat gemeinsam mit seinem langjährigen Kollegen Toralf Staud Gedanken gemacht, wie Mitteleuropa in den nächsten Jahrzehnten vom Klimawandel verändert wird. Kiepenheuer & Witsch hat ihr Buch ("Deutschland 2050 - Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird") letzte Woche herausgebracht. Auf über 300 Seiten werden die diversen Auswirkungen beschrieben, die bereits in den nächsten 30 Jahren zu erwarten sind.
Passend dazu untersucht eine in Nature Climate Change am Montag erschienene Studie, über die der Carbon Brief berichtet, über die Schäden die Europas Landwirtschaft durch Dürren bis zum Ende des Jahrhunderts drohen. Die vier Autoren kommen zu dem Schluss, dass bis zum Ende des Jahrhunderts in der EU und Großbritannien der von Dürren in der Landwirtschaft verursachte ökonomische Schaden um ein Drittel anwachsen wird.
Das entspräche einer Zunahme von durchschnittlich neun auf zwölf Milliarden Euro pro Jahr. Und zwar wird das selbst dann geschehen, wenn der Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden kann, wie es als Ziel in der Pariser Klimaübereinkunft verabredet wurde.
Erheblich schlimmer wird es allerdings werden, wenn das schlimmste denkbare Szenario eintritt und kein Klimaschutz betrieben wird. Dann würde die globale Erwärmung sich unvermindert auf vier Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau fortsetzen und es wäre mit Dürreschäden von durchschnittlich 65 Milliarden Euro pro Jahr zu rechnen.
Public Climate School
Schließlich noch eine kleine Vorankündigung: Am kommenden Montag beginnt die Public Climate School, organisiert von den Students for Future, dem Hochschulableger der Klimaschutzbewegung der Schülerinnen und Schüler.
Als Referenten wurden unter anderem der Arzt und Kabarettisten Eckhart von Hirschhausen, die Klimaschutz-Aktivistin Hilda Flavia Nakabuye aus Uganda, die Ökologin Susanne Abel vom Greifswalder Moorzentrum, der Philosoph und Astrophysiker Harald Lesch sowie die Ozeanografin Janin Schaffer vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung gewonnen, die im vergangenen Jahr einen Teil der MOSAIC-Arktisexpedition geleitet hat.