Klimakrise und gesellschaftliche Transformation in Zeiten von Corona

Seite 3: Autoritäre Krisen- und Notstandsverwaltung und sozialer Widerstand

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Rückkehr des Staates wird daher unter ganz anderen Vorzeichen stehen als in den hoffnungsfrohen linken und grünen Blaupausen. Zwar ist durchaus damit zu rechnen, dass unter dem Druck der Öffentlichkeit die Notverstaatlichung vieler Sektoren beibehalten oder sogar noch ausgeweitet wird.

Aber zugleich werden die Regierungen unter Verweis auf die Kosten des Krisenmanagements eine rigorose Austeritätspolitik fahren und diese durch den nationalistischen Appell an die Opferbereitschaft der Bevölkerung sowie durch verschärfte Kontrollmaßnahmen, wie sie ja gerade im großen Stile erprobt werden, flankieren.

Denn es ist nicht nur die Marktlogik, die sich angesichts der anstehenden gesellschaftlichen Aufgaben kompromittiert, sondern das gesamte Bezugssystem der Produktion abstrakten Reichtums gerät aus den Fugen.

Deshalb reduziert sich das staatliche Handeln in immer mehr Ländern zunehmend auf die autoritäre Krisen- und Notstandsverwaltung. Denn je weniger der Staat seine Legitimation als Hüter des Allgemeinen durch Sicherung der öffentlichen Versorgung sichern kann, desto deutlicher tritt sein herrschaftlicher Kern hervor.

Um gegen diese bedrohliche Entwicklung ankämpfen zu können, muss es gelingen, den sozialen und politischen Widerstand, den sie hervorrufen wird oder jetzt schon hervorruft, zu bündeln. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag.

Denn die vielfältigen Kämpfe gegen die verschärfte Austeritätspolitik und die staatliche Kontrollpolitik, gegen die Zerstörung der Naturgrundlagen und den Autoverkehr, gegen die Unbezahlbarkeit des Wohnen und die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse etc. verwandeln sich innerhalb des Systems der abstrakten Reichtumsproduktion sehr schnell in partikulare Interessenkämpfe, die dann auch politisch gegeneinander ausgespielt werden können; so etwa wenn die Klimabewegung eine möglichst hohe CO2-Steuer fordert, die gerade die ärmeren Teile der Bevölkerung stärker belasten würde.

Deshalb muss deutlich gemacht werden, dass diese Kämpfe und Konflikte, so unterschiedlich sie auf den ersten Blick auch sein mögen, immer an einem Punkt negativ zusammenlaufen: sie alles sind ein Effekt der verselbständigten und destruktiven Logik der Produktion abstrakten Reichtums und der ihr zugrundeliegenden, widersprüchlichen Form ungesellschaftlicher Gesellschaftlichkeit.

Erst wenn diese negative Gemeinsamkeit bewusst wird, können sich die unterschiedlichen Kämpfe in eine gemeinsame Kraft verwandeln, welche die kapitalistische Produktions- und Lebensweise grundsätzlich in Frage stellt. Darüber hinaus bedarf es jedoch auch einer neuen Perspektive gesellschaftlicher Emanzipation, die sich allerdings in groben Zügen ex negativo aus der Kritik am System abstrakten Reichtums ergibt.

Selbstorganisation

Es kann selbstverständlich nicht darum gehen, die alte Idee einer Verstaatlichung des gesellschaftlichen Lebens zu recyclen; denn abgesehen davon, dass der Staat immer nur die andere Seite des Marktes war, ist seine Rückkehr heute nur noch in der Gestalt des Krisen-Autoritarismus, des Nationalismus und der politischen Regression denkbar.

Was vielmehr ansteht, ist die umfassende Vergesellschaftung der Produktion und der öffentlichen Versorgung im Rahmen einer allgemeinen und freien, gesellschaftlichen Selbstorganisation jenseits von Warenproduktion und staatlicher Verwaltungs- und Herrschaftslogik. Natürlich geht das nicht auf einen Schlag, sondern nur im Zuge eines längeren gesellschaftlichen Transformationsprozesses. Was das im Einzelnen bedeutet, lässt sich heute nicht vorhersagen.

Klar ist aber, dass dieser Prozess gekennzeichnet sein wird von konfliktreichen politischen Auseinandersetzungen um die Ressourcen und Potentiale der Reichtumsproduktion sowie um die Rahmenbedingungen für die Entwicklung von neuen Formen gesellschaftlicher Kooperation, Kommunikation und Planung.

Denn die gesellschaftliche Alternative wächst nicht aus irgendwelchen Nischen hervor, wie es in manchen Alternativkonzepten imaginiert wird. Sie kann sich nur im Kampf um das Feld des gesellschaftlich Allgemeinen konstituieren.

Es gilt, dieses Feld neu zu erfinden; nicht als andere, herrschaftliche Seite einer Reichtumsproduktion, die sich verselbstständigt und ihren Akteuren als "zweite Natur" gegenübertritt; sondern als Teil einer Gesellschaft, in der die Menschen bewusst über ihre Verhältnisse verfügen.

Norbert Trenkle ist freier Autor und Redakteur der Zeitschrift Krisis. Kritik der Warengesellschaft. Die meisten seiner Texte sind frei zugänglich auf www.krisis.org.

Eine erweiterte Fassung des vorliegenden Textes erscheint im Herbst im Buch Shutdown. Klimacrash, Corona-Krise und die notwendige Aufhebung des Kapitalismus (Unrast Verlag), das der Autor zusammen mit Ernst Lohoff herausgibt.