Klimapolitik als Kriegssituation

Die Klima- und Wochenschau. Die Krisen in Nahost treiben den Ölpreis auf ein neues Rekordhoch. Im Vorfeld der Bali-Konferenz im Dezember wird das Kyoto-Abkommen als bürokratisches Monster und für gescheitert erklärt. Hierzulande sind Energieversorger durch ihr Preisgebaren in Umfragen mittlerweile "unbeliebter als das Finanzamt"

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Leichtfertige Äußerungen über einen möglichen Krieg gegen den Iran, gar einen „dritten Weltkrieg“, der schleichende Einmarsch des türkischen Militärs in den Irak, dazu noch der anstehende Winter und Meldungen über sinkende Lagerbestände geben den Spekulanten eine willkommene Gelegenheiten, an der Preisschraube zu drehen. An der New Yorker Rohstoffbörse erreichte der Rohölpreis am Montag seinen neuen Höchstwert bei über 93 Dollar. Noch dazu ist Iran mit geförderten 2,5 Millionen Barrel pro Tag der viertgrößte Erdöllieferant der Welt - und das Land liegt an der weltweit wichtigsten Schifffahrtsverbindung für Öl, der Straße von Hormus. Über sie laufen nicht nur die eigenen Öl-Ausfuhren sondern auch die von Kuwait, Bahrain, Irak und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Echte Knappheit herrscht aber nur in der Gerüchteküche. Erstens laufen die Lieferungen weiter wie bisher und die Bundesrepublik verfügt wie andere Industriestaaten über Ölreserven für mindestens 90 Tage. Bei einem kompletten Ausfall der Ölversorgung würde der Preis dennoch weiter steigen, weit über die 100 Dollar pro Barrel Grenze. Vielleicht überdenkt aber die US-Regierung angesichts der damit drohenden Auswirkungen, auch auf ihre eigene Wirtschaft, ihre Pläne noch einmal. Das amerikanische National Petroleum Councils, ein Verband der US-Öl- und Gasindustrie, kommt derweil zu dem Schluss, nur noch eine radikale Verbrauchsreduzierung könne kommende Krisen und Engpässe vermeiden. Dumpingpreise für Öl wie zuletzt vor fünf Jahren, als das Barrel noch für 20 Dollar zu haben war, wird es jedenfalls nicht wieder geben, gleich wie sich die politische Weltlage entwickelt.

Wie in einer Kriegssituation

Langsam kommt Stimmung auf im Vorfeld der Bali-Konferenz. Sind die aktuellen Forderungen nach einer ganz anderen Klimapolitik berechtigt? Gwyn Prins und Steve Rayner von der Universität Oxford fordern, das Kyoto-Abkommen „über Bord zu werfen“, es sei gescheitert. Auch Deutschland und Großbritannien, die beiden einzigen Länder, die zumindest zeitweise im Plan gewesen seien, würden ihre Klimahausaufgaben nicht erfüllen. Am 3. Dezember beginnen in Bali die Nachfolgeverhandlungen über die Begrenzung von Treibhausgasen nach 2012, wenn das Kyoto-Protokoll ausläuft. Die britischen Forscher fordern, dass Klimapolitik radikal neu gedacht wird. Es helfe dem Klima nicht, wenn ein Nichterfüllen der beschlossenen Ziele weiter als Erfolg verkauft wird.

Bisher sieht es nicht danach aus, dass irgendjemand bis 2012 seine Verpflichtung erfüllt. Bei zukünftigen Klimakonferenzen darf deshalb nicht einfach wieder ein globales Abkommen mit noch höheren und noch unrealistischeren Reduktionszielen vereinbart werden. Ein solcher Vertrag hat keine größere Chance, erfüllt zu werden, sondern verspielt langfristig die Glaubwürdigkeit der Klimadiplomatie. Rayner schlägt vor, Länder sollten statt dessen massiv in staatliche Programme investieren, um die Entwicklung erneuerbarer Energien voranzutreiben. Programme "wie in einer Kriegssituation" als eine strategische Entscheidung der Gesellschaften seien nötig. Denn der Markt allein könne das Klima nicht retten. Jede Nation solle so viel Geld dafür aufwenden, wie sie zu militärischen Zwecken ausgibt. In den USA sind das momentan 800 Milliarden Dollar pro Jahr - für die Energieforschung nur 4,2 Milliarden.

Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung bezeichnet das bisherige Protokoll als bürokratisches Monster das fast nichts ändert. Trotzdem nütze es nichts, alles über Bord zu werfen. Zumindest sei das Abkommen ein erster völkerrechtsverbindlicher Einstieg in den Kampf gegen den Klimawandel gewesen. Dieser allgemeine Vertrag müsse jetzt aber durch freiwillige Maßnahmen einzelner Staaten ergänzt werden. Er schlägt vor, dass zunächst nur die 20 Länder, die die meisten Treibhausgase freisetzen, ein Abkommen schließen. Dabei solle es ihnen überlassen bleiben, mit welchen Mitteln sie ihr Ziel erreichen. „Wir müssen den Tunnel von beiden Seiten graben.“ Ohne solch eine Verpflichtung der Industrieländer würden sich die Entwicklungs- und Schwellenländer wie China und Indien auf Bali sowieso nicht auf einen Vertrag einlassen.

Der WWF fordert derweil, dass der Emissionshandel der Europäischen Union global ausgedehnt wird, um einen gemeinsamen Markt zu schaffen. Selbst wenn solch ein Markt irgendwann funktioniert, wird seine Wirkung vor allem effizienteres Wirtschaften fördern, nicht aber eine Neuausrichtung der Energiewirtschaft hin zu erneuerbaren Energieträgern. In Indien und China wird jedenfalls neben Kernkraft erst einmal weiter auf Kohle gesetzt. Hier müsste man ansetzen und Strukturreformen einleiten, bevor die Weichen gestellt sind, denn ein Kohlekraftwerk hat eine Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten...

Klimamodelle am besten gleich vergessen

Im wesentlichen drehen sich die Diskussionen über den von Menschen verursachten Klimaeffekt um die Frage, welche Wirkung die Treibhausgasemissionen in der Atmosphäre haben werden. Seit gut zwei Jahrzehnten wird darüber spekuliert und werden die Modelle immer weiter verfeinert. Dennoch sind die Vorhersagen so unsicher wie langfristige Wetterprognosen. Die Physiker Myles Allen und Gerard Roe meinen dazu: „Lasst uns die Sache mit der Klima-Sensitivität am besten vergessen.“ Auch wenn es gelänge, die Wirkung von CO2 auf das Klima zu bestimmen, gebe es etliche Prozesse im Klimasystem, die die Wirkung der Treibhausgase und somit die Unsicherheit der Vorhersagen verstärken.

Ein noch einfaches Beispiel sind Schnee und Eis, die das Sonnenlicht reflektieren. Erwärmt sich das Klima, schmelzen die reflektierenden Flächen. Die Oberfläche darunter ist dunkel und absorbiert die einfallende Sonnenstrahlung besonders gut. Durch den Anstieg von CO2 erwärmt sich die Atmosphäre und kann mehr Wasserdampf aufnehmen. Eine Zunahme der Wasserdampf-Konzentration in der Atmosphäre verstärkt den Treibhauseffekt, denn Wasserdampf wirkt selbst als Treibhausgas.

Es gibt noch viele weitere solcher Rückkopplungen im Klimasystem. Fast alle beschleunigen die Erwärmung und man kann sie nicht genau vorhersagen. Auch wenn Klimaforscher einzelne Rückkopplungsprozesse in Zukunft besser berechnen können, bleibt die Gesamtwirkung grundsätzlich unberechenbar. Es nützt also nichts, erst tätig zu werden wenn die Wirkung möglichst sicher mit Modellen belegt ist, Handeln ist schon jetzt notwendig.

Unbeliebter als das Finanzamt

Die Energiepreiserhöhungen der letzten Woche ramponieren das Image der „Großen Vier“. Einerseits machen sie Gewinne wie nie zuvor: E.on erhöhte seinen Überschuss im ersten Halbjahr 2007 um 26 Prozent gegenüber 2006 auf 4,4 Mrd. Euro. RWE steigerte seinen Gewinn im ersten Halbjahr 2007 um 18 Prozent auf 4,4 Mrd. Euro. Der Konzernüberschuss von EnBW erhöhte sich im ersten Halbjahr 2007 um 26,5 Prozent auf 740 Mio. Euro. Das Ergebnis der Vattenfall-Gruppe verbesserte sich um 18,5 Prozent auf 13,5 Mrd. Euro. Auch in den Vorjahren waren die Gewinne nicht nur hoch, sondern auch ständig gestiegen und die vielen kleinen Versorger ziehen im Windschatten mit. Der Strom wird durchschnittlich für vier Cent je kWh hergestellt und für sechs Cent verkauft. Für die Stromdurchleitung zahlen Kunden weitere sechs Cent je Kilowattstunde. Die Kosten liegen im Durchschnitt der EU-Länder bei 4 Cent. Laut Bund der Energieverbraucher zahlen Verbraucher in Deutschland so fast eine Milliarde Euro jährlich zu viel für Strom und Gas.

Vor dieser Kulisse macht E.on den Vorreiter für die nächste Preisrunde und erhöht seine Strom- und Gaspreise nochmal um fast 10 Prozent. Entsprechend sinkt das Kundenvertrauen in die großen Energieversorger weiter. In keinem anderen europäischen Land vertrauen die Menschen den Energieversorgern so wenig. In Großbritannien belegt der Energiesektor noch Rang 1. In Deutschland erhielten die Stromversorger jetzt den schlechtesten Wert aller 21 untersuchten Dienstleistungsbranchen – noch schlechter als die Finanzämter. Niemand hat ein Patentrezept wie den vier Großen Einhalt geboten werden kann, aber strenge Regeln und Kontrollen für ihr Geschäftsgebaren und die Entflechtung der vier Energieriesen in unabhängige Firmen könnten ein Anfang sein.

Vor allem müsste auch der Wechselwillen der Energiekunden stärker gefördert werden. Von 5.000 befragten Privatkunden wollen trotz ihrer Unzufriedenheit 72% bei ihrem Stromversorger bleiben. Nur wenn die Verbraucher aus ihrem Phlegma erwachen, wird von der breiten Basis genug Druck auf die „Großen Vier“ erzeugt. Eine Maßnahme dazu kann ein einheitliches, umfassendes, aussagekräftiges Stromlabel sein, das über die Herkunft des Stroms und seine Preiszusammensetzung Auskunft gibt. Transparenz und das Gefühl, gemeinsam etwas zu bewirken, haben das Potential, die momentane Situation zu ändern.