Klimaschutz-Fata-Morgana

Bild: Luftaufnahme der Bayerischen Vermessungsverwaltung: Autobahnkreuz München-Süd/CC-BY-SA-3.0

Die Energie- und Klimawochenschau: Vom Umbau der Industrie, ungeliebten Bahnprojekten, sündhaft teuren Autobahnen, einem entkernten Klimaschutzplan und Inselstaaten, die an die Schäden des Klimawandels erinnern

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Am Freitag ist es nun so weit. Am 4. November, pünktlich zur am kommenden Montag im marokkanischen Marrakesch beginnenden UN-Klimakonferenz, wird das Pariser Klimaschutzabkommen in Kraft treten. Vor vier Wochen war dafür, wie berichtet, die ausreichende Zahl von Staaten zusammen gekommen, die bei den Vereinten Nationen in New York die entsprechenden Ratifizierungsurkunden hinterlegt haben. Neben den großen Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien haben diesen Schritt auch die USA und die Europäischen Union, stellvertretend für die Mitgliedsländer, getan. Von den 197 Mitgliedern der UN-Klimarahmenkonvention haben 192 das Pariser Abkommen unterzeichnet und 87 ratifiziert. Auf letztere entfallen rund 60 Prozent der globalen Treibhausemissionen.

Damit ist allerdings nur ein erster Schritt getan. Die bisherigen Selbstverpflichtungen, auf denen das Abkommen basiert, reichen bei weitem nicht. Mit den in ihnen angekündigten weiteren Emissionen wird die globale Erwärmung nicht im erforderlichen Maße begrenzt. Daher werden "gefährliche Eingriffe in das Klimasystem" nicht vermieden, wie es die UN-Klimarahmenkonvention seit nunmehr 22 Jahren fordert.

Zum Glück gibt es aber außerhalb der Verhandlungssphäre einige Entwicklungen, die Hoffnung machen. So zum Beispiel der Rückgang des Kohlekonsums in China ([Link auf Beitrag 1915479]) oder die ebenfalls dort geplanten relativ strengen Vorschriften zur raschen Einführung von Elektroautos, die deutschen Herstellern Kopfschmerzen bereitet ([Link auf Beitrag 1961893]).

Selbst hierzulande wird inzwischen davon gesprochen, dass ab 2030 eventuell keine Neuzulassungen mit Verbrennungsmotoren mehr möglich sein sollen.

Umbau des Verkehrs wird verschleppt

Der Straßenverkehr ist immerhin für rund 18 Prozent des hiesigen Treibhausgas-Ausstoßes verantwortlich, insofern wäre dies für das Klima sicherlich eine gute Nachricht. Ob aber die Zukunft des Verkehrs tatsächlich darin bestehen sollte, einfach die Antriebsart auszutauschen und weiter hauptsächlich auf einen privilegierten Individualverkehr zu setzen, ist derweil eine ganz andere Frage. Ressourcen- und Landschaftsverbrauch, Platzknappheit in den Städten, mangelnde Effizienz bei durchschnittlich weniger als eine Stunde täglich genutzten Fahrzeugen sowie Benachteiligung von Jugendlichen, Alten und Einkommensschwachen sprechen dagegen.

Davon abgesehen wäre es wirklich an der Zeit, eine ehrliche Diskussion über den anstehenden Umbau zu beginnen. Wie in dem oben verlinkten Artikel nämlich deutlich wird, stehen einige hunderttausend Arbeitsplätze und der Wohlstand ganzer Regionen auf dem Spiel. Automobilstandorten wie Stuttgart könnten Verhältnisse wie in den alten Werftstädten im Norden (etwa Bremerhaven oder Kiel) oder wie Ostdeutschlands ehemaligen Industrieregionen drohen. Vielleicht sollte man hierzulande zur Abwechslung mal eine Industriepolitik betreiben, die sich nicht in der aus der Zeit gefallenen Verteidigung von Auslaufmodellen erschöpft.

Darauf lassen allerdings weder der derzeit im Kabinett diskutierte Klimaschutzplan für die Zeit bis 2050 noch der ebenfalls in der Vorbereitung befindliche Bundesverkehrswegeplan 2030 hoffen. Was letzteren angeht, so würde dieser zumindest erste Ansätze eines Umsteuerns bieten, denn die Treibhausgasemissionen des Straßenverkehrs liegen heute höher als 1990 und sind in den letzten Jahren sogar noch weiter gestiegen. Nach Angaben des Umweltbundesamtes sind Autos, LKW und Busse derzeit für 18 Prozent des hiesigen Treibhausgas-Ausstoßes verantwortlich.

Straßen, Straßen und noch mehr Straßen

Doch weit gefehlt. Der Bundesregierung geht es auch weiterhin vor allem um den Bau neuer Fernstraßen und hunderter von Ortsumgehungen. Schienenprojekte finden sich hingegen nur vereinzelt in der Planung und nur dann, wenn die Autoren ihr eine überregionale Bedeutung beimessen.

Den Wiederaufbau der seit dem Krieg zerstörten direkten Bahnverbindung ins polnische S'winoujs'cie auf Usedom, die die bisherige Fahrtzeit von Berlin auf zwei Stunden halbieren, dem Tourismus der ansonsten einkommensschwachen Region fördern und die des Sommers völlig überlastete Usedomer Bäderbahn entlasten könnte, hält die Bundesregierung nicht für förderwürdig. Ihrer Meinung nach wäre das Projekt nur von regionaler Bedeutung.

Nur 140 Millionen Euro würde nach Angaben des Berliner Tagesspiegels der Bau kosten, da die Trassen größtenteils noch vorhanden sind.

Die im Verkehrswegeplan aufgenommene Ortsumgehung des auf dem Festland Usedom gegenüber gelegenen Städtchen Wolgast würde hingegen allein schon 100 Millionen Euro kosten, und in Berlin werden derzeit für die Verlängerung der Stadtautobahn A 100 bis zum nächsten Dauerstaupunkt eine halbe Milliarde Euro ausgegeben. Von dort wird es denn in den nächsten Jahren, so sieht es der neue Plan und so will es die Berliner SPD, in einigen Jahren für eine weitere halbe Milliarden weiter gebaut. Oder auch für etwas mehr. Der derzeitige Bauabschnitt hat in den letzten zehn Jahren eine Kostensteigerung von rund 40 Prozent gesehen.

Entsprechend vernichtend fällt das Urteil der Umweltorganisation BUND und der Allianz pro Schiene über den Verkehrsplan nach den Verbändeanhörung vom 24. bis zum 26.10. aus. In fast keinem Fall seien Bahnalternativen zum Fernstraßenausbau untersucht worden. Stattdessen seien mehr als 514 Ortsumfahrungen mit nur lokaler Bedeutung und Gesamtkosten von 12,6 Milliarden Euro aufgenommen worden. "Die meisten Ortsumfahrungen haben überwiegend lokale Bedeutung und befriedigen in erster Linie Wahlkreisinteressen", meint der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. "Beteiligungen der Bürger vor Ort und Alternativenprüfungen gab es bisher nur bei Schienenprojekten. Aus der Sicht der Verbände müssen solche Verfahren aber auch bei Straßenprojekten selbstverständlich werden."

Leere Hände

Und wie geht es jetzt auf der Internationalen Ebene mit dem Klimaschutz weiter? Durch das schnelle Inkrafttreten des Pariser Abkommen kann in Marrakesch ab nächster Woche bereits mit den Nachverhandlungen begonnen werden.

Allerdings scheint die Bundesregierung keine großen Ambitionen zu haben. Darauf deutet unter anderem die Tatsache hin, dass sie sich weiter mit ihrem Klimaschutzplan Zeit lässt, der eigentlich schon vor der UN-Konferenz vom Kabinett hätte verabschiedet werden sollen. Nach einem Bericht der Zeit geht Bundesumweltministerin Barbara Hendricks davon aus, dass daraus nichts mehr werden wird.

Die Klima- und Energiepolitikerin der Linksfraktion im Bundestag, Eva Bulling-Schröter, geht davon aus, dass es sich beim Klimaschutzplan 2050 ohnehin nur noch um einen "Fata-Morgana-Plan ohne greifbare Zielmarken und konkrete Maßnahmen handelt". Bundesumweltministerin Barbara Hendricks könne einem leidtun. Der Großteil ihrer Klimaschutzstrategie für die deutsche Volkswirtschaft wurde von den anderen Ministerien und Wirtschaftsverbänden völlig entkernt. Sie werde daher mit weitestgehend leeren Händen zum Klimagipfel fahren.

Dass das Kabinett Merkel seine Klima-Hausaufgaben nicht schafft ist ein weiterer Beleg dafür, dass Deutschland auch eine politische Klimaschutzwende braucht und einen Regierungswechsel dringend nötig hat. Nur so kann es weitsichtige und zukunftssichere Klimaschutzpolitik geben, mit einem verbindlichen Klimaschutzgesetz und einem gesetzlich geregelten Kohleausstieg, damit der letzte Kohlemeiler 2035 vom Netz geht.

Eva Bulling-Schröter, Linkspartei

Mal sehen, was sie dort den Vertretern der Inselstaaten zum Beispiel von den Cook- und den Marshallinseln, von der Mikronesischen Föderation, von Nauru, Niue, Tuvalu, Vanuatu und von den Salomonen zu sagen hat. Die hatten mit ihren Ratifizierungsurkunden annähernd gleichlautende Erklärungen hinterlegt, in denen sie zum einen auf die Unzulänglichkeit der bisherigen Verpflichtungen verweisen. Diese könnten den Anstieg der globalen Temperatur nicht auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau begrenzen und "werden daher ernsthafte Implikationen für unsere nationalen Interessen haben". Auch verweisen die Erklärungen darauf, dass sie sich vorbehalten, im Rahmen der weiteren Verhandlungen die Frage der Haftung für die durch den Klimawandel angerichteten Schäden aufzuwerfen.