Klimawandel und Besteuerung

Plädoyer für eine wirksame Besteuerung fossiler Energien

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Um den Kampf gegen die globale Erwärmung zu gewinnen, ist es nötig, 500 Millionen europäische Bürger (und auch amerikanische, japanische und chinesische Bürger) zu mobilisieren. Wie soll das geschehen? Gewiss nicht durch öffentliche Appelle, fossile Energie einzusparen und zu erneuerbarer Energie überzugehen. Solche Appelle mögen notwendig sein, aber sie sind nicht genug. Um das Verhalten von Hunderten von Millionen von Menschen zu verändern, bedarf es wirkungsvollerer Mittel als moralischer Appelle. Wir brauchen ein wirksames System von Anreizen und Abschreckungen.

Die reichen postindustriellen Gesellschaften unserer Erde – USA, Europa, Japan, Australien, Kanada und Russland – sind bisher die Hauptverantwortlichen für die globale Erwärmung. Sie tragen 60% der globalen CO2 Emissionen bei. Sie und nicht die Entwicklungsländer müssen daher entschieden handeln. Sie müssen ihre CO2-Emissionen wesentlich stärker reduzieren als um die 6%, zu denen sich die mutigsten der Kioto-Unterzeichnerstaaten für den Zeitraum von 1990 bis 2012 verpflichtet haben.

Kioto ist nur der Beginn eines Jahrhunderte langen Prozesses, während dessen die Menschheit ihren Lebensstil und ihre Energieversorgung grundlegend ändern muss. Dank des Kioto-Protokolls beginnen wir uns klar zu machen, dass CO2-Emissionen Kosten für die Gesellschaft sind: Europäische und japanische Industrieunternehmen müssen künftig für jede Tonne CO2, die sie über die ihnen – großzügig – zugeteilten Emissionsquoten hinaus emittieren, einen Preis von € 10 und mehr entrichten. Kioto berührt nur einige Tausend große Industrieunternehmen in der Welt; die Durchschnittsbürger werden weiterhin ihre Häuser reichlich heizen und in der Welt herumfahren, als ob sie die globale Erwärmung nichts angeht.

Warum nicht die Besteuerung als ein umfassendes und leicht zu handhabendes Instrument zur Reduktion von CO2-Emissionen nutzen? Warum nicht die Gelegenheit anstehender Steuerreformen ergreifen, um ein Steuersystem zu konzipieren, das einer nachhaltigen Entwicklung förderlich ist?

Europa sollte sein Steuersystem nach drei Grundsätzen umbauen:

  1. Besteuerung von Verbrauch statt von Einkommen oder Vermögen;
  2. Stärkere Besteuerung von Gütern als von Dienstleistungen;
  3. Wesentlich stärkere Besteuerung von fossiler Energie als von jeder anderen Verbrauchsart.

Mit welcher Begründung?

Fossile Energie ist zu billig. Inflationsbereinigt sind Öl und Gas heute nicht teurer als vor 25 Jahren. Wenn wir sie so rasch wie möglich, etwa schon 2060 und nicht erst 2100, durch erneuerbare Energie ersetzen wollen, dann bedarf es einer doppelgleisigen Strategie:

  1. Wir müssen fossile Energie verteuern;
  2. Wir müssen mehr Forschung für erneuerbare Energie betreiben.

Bisher hat Europa nicht genug in die Forschung erneuerbarer Energie investiert. Und es hat noch weniger getan, um fossile Energie zu verteuern. Der politischen Klasse fehlte es am entsprechenden Mut. Sie fürchtete eine negative Reaktion seitens der Wähler. Deutschland hat 1998 einen Versuch mit der „Öko-Steuer“ gestartet und die Akzisen auf Benzin und Diesel um etwa 5 Cent erhöht. Das Resultat war jedoch enttäuschend, weil die Reform nicht gut konzipiert war. Sie sah Ausnahmen für sensible Bereiche vor und ließ die Bürger glauben, dadurch würden Lohnnebenkosten abgesenkt und Arbeitsplätze geschaffen.

Wie sollte ein „grünes Steuersystem“ aussehen?

  1. Es sollte einfach und transparent sein. Das muss das oberste Ziel jeder Steuerreform sein. Die Mehrheit der Bürger sollte von allen direkten Steuern befreit werden und keine Einkommensteuer-Erklärungen einzureichen haben. Einkommen-/Lohnsteuer sollte nur für Einkommen von >€ 15.000 erhoben werden.
  2. Die Mehrheit der Bürger sollte ihren Beitrag zur Finanzierung staatlicher Leistungen über die MWST und spezifische Verbrauchssteuern erbringen.
  3. Der Standard-Satz der MWST sollte etwa 20% betragen, wie das in Frankreich, Belgien, Italien, Slowakei und anderswo der Fall ist.
  4. Die unterschiedlichen MWST-Sätze sollten überprüft werden. Ist es noch angebracht, Nahrungs- und Genussmittel zu „subventionieren“, wenn Europäer zunehmend unter Übergewicht leiden? Wäre es nicht richtiger, zwischen Gütern und Dienstleistungen zu unterscheiden und im Interesse der Nachhaltigkeit Dienstleistungen wie Reparaturen, Wartung, Sport, Fernsehen, Kino, Erziehung, Bücher anstelle von Nahrungsmitteln mit niedrigeren Sätzen zu besteuern?
  5. Die Besteuerung von fossiler Energie sollte eine Haupteinnahmequelle für den Staat bilden.

Europa hat noch nicht alle Möglichkeiten für eine höhere Besteuerung von fossiler Energie ausgeschöpft, auch wenn die Besteuerung von Benzin und Diesel im Vergleich zu den USA oder den meisten Ölförderländern exorbitant hoch erscheinen mag.

Wie sollte das gegenwärtig wenig kohärente System der Energiebesteuerung im Hinblick auf Klimawandel reformiert werden?

  1. Die Regierungen müssen ihren Bürgern erklären, dass hohe Steuern auf Energie notwendig sind, um den Verbrauch von fossiler Energie und CO2-Emissionen zu reduzieren und zugleich dem Staat Einnahmen zu verschaffen.
  2. Diesel, Benzin, Heizöl, Kohle und Erdgas sollten entsprechend ihres Gehalts an Kohlenstoff bzw. der CO2-Emissionen besteuert werden. Es gibt daher keinen Grund dafür, Benzin/Diesel höher als Heizöl zu besteuern.
  3. Für die Finanzierung unseres Straßennetzes sollten wir Weg-Gebühren entrichten, nicht nur für LKWs, sondern auch für PKWs, wie das in Frankreich, Italien und Spanien der Fall ist. Dabei ist es irrelevant, ob diese Gebühren elektronisch erhoben werden wie in Deutschland oder Österreich, an eigens errichteten Gebührenstationen wie in Frankreich oder Italien oder an den Grenzübergängen wie in der Schweiz. Die Straßengebühren sollten die Gesamtheit der durch die Nutzung entstehenden Kosten, einschließlich der „externen“ Kosten durch Umweltschäden oder globale Erwärmung, decken.
  4. Der Flugverkehr und die Schiff-Fahrt, auf hoher See wie auf Binnengewässern, sollten der gleichen Art von Energiebesteuerung unterliegen wie alle anderen Energienutzer.

Ein solches System lässt sich mit einem Minimum von gesetzlichen Änderungen in jedem der 25 Mitgliedstaaten einführen. In der Tat, seine wesentlichen Elemente sind EU-weit in Kraft: durch die EU Richtlinie vom Herbst 2004 über die Mindestbesteuerung der verschiedenen Formen fossiler Energie und durch den Ratsbeschluss vom Frühjahr 2005 über LKW- Mauten.

Drei wesentliche Änderungen wären notwendig, um einen nachhaltigen Einfluss auf den Verbrauch fossiler Energie zu haben.

  1. Luft- und Seeverkehr müssen voll einbezogen werden. Über die Einbeziehung des Luftverkehrs besteht innerhalb der EU Einvernehmen, nicht jedoch über die Art und Weise. Eine Mehrheit von Experten scheint das Problem durch die Einbeziehung der Fluggesellschaften in den Emissionshandel von CO2 lösen zu wollen.
  2. ' Die Angleichung der Verbrauchssteuern auf Diesel und Heizöl. Dieses Problem lässt sich erst anpacken, wenn die Verkehrs-Maut überall in der EU eingeführt worden ist.
  3. Die Anhebung der Steuersätze.

Die Kommission sollte daher die entsprechenden Änderungen vorschlagen. Sie wird auf heftigen Widerstand aus der Industrie, der Schifffahrt, dem Flugverkehr und den Verbrauchern stoßen. Sie alle werden erheblich höhere Verbrauchssteuern auf Energie zu verkraften haben. Zusätzlich müssen die Autofahrer im Norden und Osten der EU Straßennutzungsgebühren entrichten, die nicht durch niedrigere Steuern auf Benzin/Diesel ausgeglichen werden dürfen.

Um diesen Widerstand zu brechen, ist es nötig, die Steueranhebungen schrittweise über einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren einzuführen.

Selbst wenn diese Steuer- und Gebührenerhöhungen vollständig umgesetzt sind, wird sich die Wirkung nur langsam einstellen. Der Energieverbrauch reagiert nicht stark auf Preisveränderungen. Um den Energieverbrauch zu drosseln, bedarf es daher eines hohen Steuerniveaus. Noch viel wichtiger ist, dass die Regierungen allen Betroffenen klar machen müssen, dass die Preise für fossile Energie als Folge der Marktkräfte und Besteuerung in den kommenden Jahrzehnten stetig steigen werden. Nur dann werden Unternehmen und Verbraucher Autos mit geringem Verbrauch kaufen und in erneuerbarer Energie, effizienten Heizungen und besserer Wärme-Isolierung investieren. Die Auswirkungen werden sich daher mit Verzögerungen einstellen, umso mehr als die Steuererhöhungen nur schrittweise eingeführt werden.

Werden höhere Energiekosten die europäische Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen?

Das ist ein verbreiteter Mythos:

  1. Der Anteil der Energiekosten in den meisten Industrieerzeugnissen, die Europa herstellt und ausführt, beträgt weniger als 5% der Gesamtkosten. Wenn er viel höher wäre, hätte Europa große Mühe mit den USA und anderen Ländern mit wesentlich niedrigeren Energiekosten zu k konkurrieren.
  2. Die Verbraucher müssen die höheren Energiekosten tragen; aber die höhere Energiebesteuerung sollte durch niedrigere Besteuerung auf Einkommen ausgeglichen werden.
  3. Einige wenige energieintensive Industrien – Metallurgie, Zement, Glass, Papier, Chemikalien – werden sich in ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt sehen. Aber einige dieser Sektoren werden ohnehin aus Europa abwandern, sei es wegen strikter Umweltregeln oder ungenügender Rohstoffbasis.
  4. Europa wird dieses System der Energiebesteuerung über einen Zeitraum von 10 Jahren einführen. Unternehmen und Verbraucher haben daher Zeit sich darauf einzustellen.
  5. Europa wird Druck auf seine Handelspartner ausüben, die Energie bei sich ebenfalls zu verteuern.

Ist ein System der Energiebesteuerung wirksamer als das Kioto-Regime von CO2-Emissionsquoten?

Das hängt von der Art der Gestaltung ab: Großzügige Emissionsquoten werden weniger effektiv sein als hohe Steuern auf fossile Energie. Steuern sind breit in der Anwendung. Sie wirken direkt auf die Energiepreise, über das gesamte Spektrum des Energieverbrauchs. Emissionsquoten können nur großen Unternehmen zugeteilt werden; sonst sind sie nicht zu handhaben. Daher ist ihre Hebelwirkung geringer als die eines breiten Steuersystems. Man kann natürlich parallel mit Emissionsquoten für große Energieverbraucher und Akzisen für andere Verbraucher wie Haushalte, Verkehr oder Kleinunternehmen operieren, obwohl das gewiss keine ideale Lösung ist.

Europa war der Vorreiter zum Kioto-Abkommen. Es sollte in den kommenden 10 Jahren, wenn es um Kioto II geht, ein Zeichen setzen, wie man wirksam erneuerbare Energie und den Verbrauch fossiler Energie drosselt. Handel mit Emissionszertifikaten, Förderung von erneuerbarer Energie bleiben dafür sinnvolle Instrumente. Sie sollten durch eine schrittweise zu vollziehende Verteuerung fossiler Energie über höhere Verbrauchssteuern ergänzt werden. Das kann nur im europäischen Rahmen erfolgen. Es ist Sache der Kommission entsprechende Vorschläge vorzulegen. Es bleibt Sache der Zivilgesellschaft, als ständiger Mahner und Vorkämpfer für eine nachhaltige Energieversorgung zu wirken.

Dr. Eberhard Rhein ist Berater beim European Policy Centre in Brüssel