Knochenarbeit im All

ISS-Besatzung kommt ins Schwitzen

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Die ISS-Besatzung befindet sich auf keiner romantischen Geo-Exkursion. Höchstarbeit ist angesagt. Schon jetzt hinkt die dreiköpfige Besatzung dem Zeitplan hinterher

Jahrelang wurden sie auf die schwierigen Arbeitsbedingungen im Orbit vorbereitet. Jahrelang haben sie sich im Tauchbecken und bei Parabelflügen an die Schwerelosigkeit, aber auch an die räumliche Enge der Raumstation gewöhnt, die jetzt ihrem Quartier zur Ehre gereicht. Doch der Faktor "Zeit", der eben nicht trainiert werden konnte, schwebt nunmehr wie ein Damoklesschwert über der ISS. Bereits jetzt ist der enge Zeitplan kaum mehr aufzuholen. Wenn auf der Raumstation "Alpha" irgendwelche runden Wassertropfen durch das bislang montierte Modultrio "schweben", werden sich darunter auch Schweißtropfen der emsigen Besatzung mischen.

Für die dreiköpfige Crew der Internationalen Raumstation (ISS), die gerade mal fünf Tage auf der Station ist, bleibt in der Tat keine Zeit für eine ordentliche Akklimatisierung. Keine Zeit, um den "Spacelag" auszukurieren. Keine Zeit, um die gefürchtete Weltraumkrankheit zu therapieren. Schon am zweiten vollen Arbeitstag musste das Triumvirat wahre Knochenarbeit verrichten. Am Samstag testeten die Astronauten die Bordsysteme, montierten einen Kompressor im Nutzlast-Modul "Sarja" (Morgenröte), arbeiteten an der Luftversorgung und checkten auch erstmals den in Deutschland konstruierten Bordcomputer DMS-R Dabei hatten der US-Astronaut William Shepherd und seine russischen Kollegen Juri Gidsenko und Sergej Krikaljow für einen fröhlichen Schwatz mit der Bodenstation per Funk nicht im geringsten Zeit. "Ihnen ist jetzt nicht nach Gefühlen, sie haben viel zu tun", äußerte sich ein Sprecher des Flugleitzentrums.

Die Stimmung zwischen Alpha-Besatzung und Bodenstation ist zurzeit tatsächlich ein klein wenig gereizt. Am Freitag kritisierte Kommandant Shepherd das vorgegebene große Arbeitspensum, das den Raumfahrern auferlegt wurde. Das geplante Arbeitstempo sei, so soll Sheperd nach einem Bericht der Fernsehgesellschaft CBS angedeutet haben "ziemlich ehrgeizig". Shepherd habe nach eigenem Bekunden die amerikanische Bodenkontrolle in Houston (Texas) daher gebeten, die russischen Partner zu einer langsameren Gangart aufzufordern. "Habt ein wenig mehr Geduld mit uns." Dieser Forderung verlieh er mit einem plastischen Beispiel Nachdruck: "Der Essen-Wärmer sollte in 30 Minuten angeschlossen werden, und wir brauchten eineinhalb Tage, bis wir herausfanden, wie man ihn anstellt".

Derweil hat die Flugleitzentrale bei Moskau bereits eingelenkt und das Arbeitsprogramm an einigen Punkten gekürzt. So konnten die Astronauten, die am Donnerstag mit einer russischen Sojus- Raumkapsel zu dem 117 Tage langen Aufenthalt in der ISS eingetroffen waren, am Freitag entgegen dem vorgesehenen Arbeitsplan etwas früher Feierabend machen. Und am Sonntag herrschte auf der Raumstation gar Ruhetag, wohingegen am Dienstag, an dem in Russland traditionell der Oktoberrevolution 1917 gedacht wird, wieder intensiv gearbeitet wurde.

Dass es in der Anfangsphase des auf vier Monate geplanten Aufenthalts vor allem um das Aufspüren von "Kinderkrankheiten" der neuen Raumstation gehe, betont insbesondere der Wissenschaftsastronaut der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA Reinhold Ewald: "Mit der Besatzung an Bord können prekäre Situationen viel besser bewältigt werden." Insgesamt müssen die Raumfahrer mehrere Tonnen Gerät an ihren Ort schaffen und anschließen.

Außerdem sagte Ewald noch, dass zwischen den USA und Russland "großer Druck" vorherrsche, mit der Partnerschaft zum Erfolg zu kommen." Vor allem in den USA sei die Rechtfertigung des gemeinsamen Projekts schwierig gewesen, weil Geldmangel und technische Probleme auf russischer Seite es um fast zwei Jahre verzögert hätten.

Anlässlich des gelungenen Auftakts zu dem Forschungsabenteuer ISS tauschten US-Präsident Bill Clinton und der russische Präsident Wladimir Putin Botschaften aus. Putin sprach sich in seinem Brief für eine weitere enge Zusammenarbeit bei der Internationalen Raumstation aus, "die hohe Priorität bei der Eroberung des Weltraums hat". Das teilte Putins Pressedienst in Moskau mit. 16 Nationen, darunter auch Deutschland, beteiligen sich am Bau der ISS, die bis zum Jahr 2006 fertig gestellt werden soll. Im Jahr 2004 soll das von den Europäern konstruierte Weltraumlabor "Columbus" an die Station angebaut werden.