Kommunalwahl Hessen: Grüne stürzen ab

Deutliche Verluste für CDU und SPD - AfD in Kreisen und kreisfreien Städten drittstärkste Partei

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Bei den gestrigen Kommunalwahlen in Hessen konnten die Wähler Kandidaten streichen und ihnen mehrere Stimmen geben, wobei sie sich nicht auf eine einzige Parteiliste beschränken mussten. Das Endergebnis der Wahlen wird deshalb frühestens am Donnerstag erwartet. Die Behörden haben aber schon heute Trendergebnisse veröffentlicht, bei denen nur die Wähler gezählt wurden, die eine komplette Liste angehakt hatten.

Dem Landestrendergebnis zufolge liegen CDU und SPD mit 28,2 und 28,0 Prozent praktisch gleichauf. Bestätigt sich das, dann hätten die Christdemokraten gegenüber den hessischen Kommunalwahlen 2011 fünfeinhalb und die Sozialdemokraten dreieinhalb Punkte verloren. Noch deutlich stärker fällt der Verlust für die damals mit Fukushima-Rückenwind angetretenen Grünen aus: Sie verlieren 6,7 Punkte auf nun nur mehr 11,6 Prozent und rutschen landesweit auf den vierten Platz ab.

Drittstärkste Partei wird dem Trendergebnis zufolge mit 13,2 Prozent Stimmenanteil die AfD, die lediglich in 18 von 426 Kommunen antrat. Dass der Wert im Trendergebnis trotzdem so hoch ist, ergibt sich daraus, dass das Landestrendergebnis nur aus den Ergebnissen der Landkreise und der kreisfreien Städte errechnet wurde, wo die AfD einer Auskunft des Statistischen Landesamtes nach "praktisch flächendeckend" vertreten war.

NPD in Erstaufnahmeeinrichtungs-Kleinstadt bei über 14 Prozent

Die Liberalen, die 2011 mit Personalproblemen zu kämpfen hatten, legen im Landestrend um knapp zweieinhalb Punkte auf 6,3 Prozent zu, die Linkspartei gewinnt um einen Punkt auf 3,7 Prozent. Im gleichen Maße verlieren die Freien Wähler, die von 5,7 auf 4,7 Prozent abnehmen. Der Stimmenanteil der NPD sinkt von 0,4 auf 0,3 Prozent. In der 21.000-Einwohner-Kleinstadt Büdingen, wo eine der größten Asylbewerber-Erstaufnahmeeinrichtungen des Bundeslandes untergebracht wurde, steigert sich die Partei jedoch gegen den Landestrend von zwei auf über 14 Prozent. Stärkste Gruppierung werden in dieser Ortschaft im Wetteraukreis nach massiven Verlusten von CDU (21,8 Prozent) und SPD (18,3 Prozent) die Freien Wähler, die hier auf 27,2 Prozent kommen.

Auch in der 3.800-Einwohner-Ortschaft Karlshafen holen die Freien Wähler die meisten Stimmen. Hier kann die AfD mit 22,3 SPD und CDU überholen. Zweitstärkste Kraft wird die Partei auch in Dietzenbach, wo sie mit mit 19,6 Prozent die SPD hinter sich lässt, die dort nur auf 18,6 Prozent kommt. In der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden wird sie mit 16,2 Prozent drittstärkste Kraft hinter der CDU mit 23,2 und der SPD mit 24,3 Prozent. Auch in der Universitätsstadt Gießen landet sie mit 15,5 Prozent im Trendergebnis auf den dritten Platz und holt in einigen Stimmbezirken mit mehr als 40 Prozent ein doppelt so hohes Ergebnis wie die CDU, die stadtweit mit 20,5 Prozent hinter der 27,8 Prozent starken SPD liegt, deren rot-grüne Mehrheit mit den bei nur 15 Prozent gemessenen Grünen wahrscheinlich nicht mehr zustande kommt.

In Kassel, wo die Sozialdemokraten im Trendergebnis auf 30,3 Prozent und die Christdemokraten auf 20,6 Prozent kommen, liegen dagegen weiterhin die hier 17 Prozent starken Grünen vor der 12,2 Prozent starken AfD. In Darmstadt werden die Grünen mit 31,6 Prozent die stärkste Partei vor der CDU mit 18 und der SPD mit 14,8 Prozent. Die beiden ehemaligen Volksparteien verzeichnen hier Verluste von jeweils mehr als sechs Prozent.

Schwarz-Grün verliert Mehrheit im "Zukunftslabor" Frankfurt

In der hessischen Metropole Frankfurt am Main, wo die AfD im Trendergebnis bei 10,3 Prozent liegt, hat die bislang regierende schwarz-grüne Koalition keine Mehrheit mehr, nachdem die Ökopartei dort von 25,8 auf 15,2 Prozent abstürzt und die CDU nur auf 24,6 Prozent kommt. Für eine große Koalition mit der bei 23,5 liegenden SPD reicht es möglicherweise nicht nach Prozenten, aber nach Mandaten. Reicht es nicht, könnten die Grünen oder die 7,8 Prozent starken Liberalen mit einbezogen werden. Weil Frankfurt für ihn ein "Zukunftslabor" ist, in dem Entwicklungen wie Rot-Grün und Schwarz-Grün vorweggenommen wurden, hält der Blogger und ehemalige Wirtschaftswoche-Chefredakteur Roland Tichy dieses Ergebnis auch für überregional interessant.

Unpassende Textbausteine bei der Ursachenforschung

Bei der Ursachenforschung für ihre Verluste tendierten die etablierten Parteien gestern zu Sichtweisen, die wahrscheinlich nicht alle Bürger teilen: CDU-Politiker beklagten eine niedrige Wahlbeteiligung, von der kleinere Parteien profitierten, und der hessische SPD-Landesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel meinte, das Kumulieren und Panaschieren überfordere die Wähler und mit einem "einfacheren" Wahlsystem werde die Wahlbeteiligung steigen. Dass das nicht ganz zur Realität passende Textbausteine waren, zeigte sich an der Wahlbeteiligung, die mit 48 Prozent nicht niedriger, sondern sogar etwas höher war als 2011.

Darüber hinaus plädierte Schäfer-Gümbel gestern für eine Drei-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen. Die würde die Wahlbeteiligung wahrscheinlich eher senken als erhöhen, und seiner eigenen Partei nicht mehr Stimmen, aber mehr Mandate mit weniger Stimmenanteil bringen. Der SPD-Politiker argumentierte dabei nicht nur mit "Populisten", sondern auch mit "Spaßparteien" wie den Sonnebornisten von der Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (PARTEI).

Auch hier passt der Textbaustein insofern nicht, als die PARTEI zwar mit voraussichtlich 1,4 Prozent einen Ratsherrn in den Frankfurter Römer entsenden darf, aber andere kleine Parteien wie die Piraten (deren Stimmenanteil nach derzeitigem Auszählungsstand von zwei auf 0,8 Prozent sinkt) und die Europa-Liste ELF (0,3 Prozent) ihre Mandatsträger verlieren. Auch die Protestpartei Bürger für Frankfurt (BFF) muss mit 2,8 statt vorher 3,8 Prozent Stimmen abgeben.

Der Grünen-Landesvorsitzende Kai Klose erklärt die Verluste seiner Partei mit einer durch Fukushima hervorgerufenen Sonderkonjunktur 2011, aber die Gewinne der AfD damit, dass die Bundesregierung "im Umgang mit der Flüchtlingsthematik" nicht so "besonnen" und "professionell" agiert wie dies die schwarz-grüne hessische Landesregierung seiner Meinung nach macht.

Auch der hessische CDU-Generalsekretär Manfred Pentz sieht für das seinem Eindruck nach lediglich "durchwachsene" Ergebnis keinerlei Verantwortung bei der Landesregierung. Und Ministerpräsident Volker Bouffier meint in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vorsorglich, die Kommunalwahl sei "ganz sicherlich" kein Test für die drei Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gewesen, die am nächsten Sonntag stattfinden - was unter anderem Hannelore Crolly in der Tageszeitung Die Welt ganz anders sieht.