Kontenabfragen, Wulff - und das lähmende Gift der Resignation

Die Befürchtungen der Datenschützer in Bezug auf die Möglichkeiten der Kontenkontrolle und -abfrage haben sich bestätigt. Aber ist das eigentlich eine Meldung wert?

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Anstieg der Kontenabfragen

Im Jahr 2011 haben Behörden ca. 63.000 sogenannte Kontenabfragen vorgenommen, was einen Anstieg von rund 10% gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Eine Entwicklung, die dem Bundesdatenschutzbeauftragten Sorge bereitet. Er fordert ein Eingreifen des Gesetzgebers, um den Wildwuchs einzudämmen. Es ist allerdings fraglich, dass dieser Forderung auch ein tatsächliches Gesetzeswerk folgen wird - zu sehr hat die Politik um diese Abfragemöglichkeit gekämpft.

Alles begann mit einer Möglichkeit der Terrorismusbekämpfung sowie der Geldwäsche. Noch unter dem Eindruck der Ereignisse des 11.09.2001 wurde es als alternativlos angesehen, dass Geldströmen auf die Spur gekommen werden soll. Bereits 2003 nutzte Hans Eichel die Gunst der Stunde und ließ im Zuge des Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit eine Art "Abhörmöglichkeit für Finanzbehörden" installieren. Beruhigend wurde angemerkt, es ginge nur um Kontenstammdaten, nicht um Salden, nur um Kontrollen bei konkreten Verdachtsfällen. Doch schon ein Jahr nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes bemängelten Datenschützer die Sorglosigkeit, mit der die Behörden die neuen Befugnisse nutzten. Neun von zehn Abfragen wiesen Mängel auf - grundlegende Bestimmungen wie eine vorherige Anhörung des Betroffenen wurden genauso ignoriert wie eine Protokollierung der Überprüfungen.

Für Datenschützer/Bürgerrechtler ist diese Entwicklung keine Überraschung, vielmehr wurde damit gerechnet, dass die neuen Befugnisse nicht sorgfältig und verhältnismäßig angewandt werden, sondern es zum Wildwuchs kommt, so wie dies bei vielen Gesetzen der Fall ist. Die Aufregung um diesen Fall wird sich dementsprechend schnell legen bzw. gar nicht erst vorhanden sein.

Wulff und die Rabulistik

Eine ähnliche Entwicklung ist beim Thema Wulff zu sehen. Gleichgültig, ob nun der Bundespräsident etwas Verwerfliches tat oder nicht, bemerkenswert sind in jedem Fall die vielen Argumentationsstränge, die nicht einmal mehr versuchen, den Fall an sich zu bewerten, sondern in lediglich in Relation zu anderen setzen und damit seine Banalität erklären. "Da gib es ganz andere Kaliber", "Andere Politiker haben viel mehr Dreck am Stecken" und ähnliche Kommentare weisen auf eine zunehmende Gewöhnung an bestimmte (Fehl)Verhaltensweisen hin. Auch die Wulffsche Rabulistik wird zunehmend nicht mehr als etwas Negatives angesehen, sondern vielmehr achselzuckend als typische Verhaltensweise bei Politikern. Tricksen, täuschen und ablenken gilt mittlerweile als Normalzustand, weniger als ein Zustand, dem Abhilfe geschaffen werden muss. [Zensiert] Schachzüge sind ebenso normal geworden wie reine Ablenkungsmanöver, die Fragesteller auf falsche Fährten locken.

Auch die Wulffsche Art, mit Fragen umzugehen, stets in Salamitaktik nur das zuzugeben, was nicht mehr verleugnet werden kann, konkrete Antworten zu vermeiden und sich eher in Opfermanier zu gebärden, ist weder neu noch originell und führt bei vielen, die sich von den vielen Wulff-Meldungen quasi überfüttert fühlen, zu ähnlichen Ablenkungsreaktionen. In einem Sketch erläuterte der Komiker Otto Waalkes einmal, wie beim Schmuggeln von Lebensmitteln über die Grenze vorgegangen werden kann. Eine Möglichkeit war die "Brasilienmethode" - beim Schmuggeln einer Wurst ertappt, sollte der Delinquent mit "Sie regen sich über eine geschmuggelte Wurst auf und in Brasilien wird der Kaffee ins Meer geschüttet" reagieren und sich die Irritation des Zöllners zunutze machen, um zu fliehen. Eine frühe Form der Chewbacca-Verteidung sozusagen.

So und ähnlich muten Kommentare wie "Als hätten wir keine anderen Probleme", "Bringt mal was Wichtiges" oder "Unsere Wirtschaft kollabiert und wir reden über Wulff" an, die sich derzeit in vielen Foren finden lassen. Eine Übersättigung mit dem Thema ist sicherlich eingetreten, doch wird auch das Problem, für das Wulff lediglich ein Symptom ist, damit marginalisiert und bagatellisiert.

Schleichend entkräftet

Hinter den vorgenannten Kommentaren verbirgt sich eine zunehmende Resignation gegenüber der Politik und ihren Verhaltensweisen - wobei "Politik" hier insbesondere die Politiker meint, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen, denn die "weißen Schafe" werden eher selten bzw. nur in Regionalberichterstattung mit Artikeln bedacht. Gerade aber Landes- und Bundespolitiker scheinen zunehmend durch Rabulistik, durch Täuschung, Mitnahmementalität oder schlichtweg Lügen geprägt zu sein. Die Bevölkerung fühlt sich dabei zunehmend miss- bis unverstanden und reagiert mit Fatalismus.

Der Zynismus vieler Politiker, die Hybris, die sich zeigte, wenn Kritiker als "Hanseln" oder dergleichen mehr angesehen wurden, hat diese Entwicklung noch befeuert. Die Politikverdrossenheit, die oft konstatiert wird, ist letzen Endes eine Politikerverdrossenheit. Das Engagement vieler Teile der Bevölkerung hat sich auch von den traditionellen Formen der Politik abgekoppelt und setzt eher auf lokale direkte Hilfe denn auf den langwierigen Marsch durch die Institutionen, auch weil das Vertrauen in die repräsentative Demokratie schwindet.

Von der Politik, die dies mitzuverantworten hat, weitgehend unbeachtet, geschieht so eine schleichende Entkräftung der Demokratieunterstützung, die sich auch in sinkender Wahlbeteiligung zeigt. Demokratie lebt aber u.a. auch vom Mitmachen, von der Bevölkerung. Entzieht sich diese (bzw. wendet diese sich ab), ist die Demokratie selbst in Gefahr, weil Gesetze und Regelungen dann nicht mehr den Willen der Bevölkerung abbilden, sondern lediglich das, was die Politiker selbst wollen. Das bedeutet aber letztendlich auch, dass die Bevölkerung diese Gesetze nicht achten wird, da sie sie nicht als "ihre Gesetze" empfindet - ebenso wenig wie sie die Politiker als "ihre Repräsentanten" ansieht. Damit Gesetze ihre Wirkung entfalten können, bedürfen sie jedoch des Rückhaltes der Bevölkerung, da sie ansonsten letztendlich nur bedrucktes Papier, nicht aber ein Regelwerk für die Gesellschaft darstellen.

Die Volksvertreter, die den altbekannten Spruch, dass sie deshalb Volksvertreter heißen, weil sie, ähnlich den Staubsaugervertretern, das Volk verkaufen, immer stärker als Realität wahrnehmen lassen, höhlen so die Demokratie aus und ignorieren das Problem dahinter. In regelmäßigen Abständen wird dann (ähnlich distanziert, wie es Christian Wulff beim Interview tat) von "Man muss was gegen die Politikverdrossenheit tun" gesprochen, als sei es ein Problem anderer, etwas, mit dem "man" nichts zu tun hat.

Doch das Problem ist hausgemacht, es ist durch Politiker entstanden, bei denen Wortbruch, Täuschung, Rabulistik und Lügen auf der Tagesordnung stehen, durch Politiker, die solche Verhaltensweisen auch noch mit einem Lächeln auf dem Gesicht als etwas ansehen, was nicht nur akzeptabel, sondern vielmehr auch löblich ist. Wie Gauner in einer Spelunke brüsten sich diese Politiker mit ihren Taten und lassen dabei ihren Auftrag, die Vertretung des Volkes, außer Acht - sie sind letztendlich Selbstvertreter und Selbstdarsteller geworden, denen der eigene Profit, die eigene Chuzpe und die eigene "Schläue" wichtiger sind als der Auftrag, den sie eigentlich angenommen haben.

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