Konvergenz 2.0

Die richtige Karotte: Apple präsentiert den zweiten PDA der Firmengeschichte

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"Schau da, am Himmel! Es ist ein Vogel! Es ist ein Flugzeug! Nein - es ist Superman!" So lautete das verzückt-debile Intro zu den Superman-Trickfilmen der Vierziger. Apple-Chef Steve Jobs hat kürzlich auf der Macworld-Expo mit dem üblichen Tamtam ein bemerkenswertes Gerät vorgestellt: das Apple iPhone. Was es genau ist - vor allem für seine Benutzer - wird sich noch herausstellen müssen. Aber auf jeden Fall ist es super - wenn man Steve Jobs glaubt.

Und es gibt Gründe dafür, ihm zu glauben. Es sind eine Menge feine Ideen in die Konstruktion des iPhones eingeflossen, man merkt ihm deutlich den Ehrgeiz seiner Schöpfer an. Da wäre zum Beispiel die Lässigkeit, mit der bestimmte Usability-Features eingebaut wurden, auf die man schon viel früher hätte verfallen können. Das iPhone wechselt ganz von selbst zwischen hoch- und breitformatiger Darstellung, je nachdem, ob es im Hoch- oder im Breitformat benutzt wird - ein Trick, der durch den Einsatz von Lagesensoren möglich wird. Es schaltet den Bildschirm ab, wenn man es zum Telefonieren ans Ohr führt - das verlängert die Lebensdauer der Batterie, verhindert aber hauptsächlich die Befehlseingabe per Ohr.

Von der Befehlseingabe beim iPhone wird noch zu reden sein. Es hat die üblichen Smartphone-Funktionen an Bord, von der Internetfähigkeit über PIM-Programme bis zu einer 2-Megapixel-Kamera. Musik kann man damit hören, Videos damit anschauen, eine Technik namens "Visual Voicemail" garantiert, dass man nicht immer den ganzen Inhalt seines Anrufbeantworters abgrasen muss, sondern wahlfreien Zugriff auf die Nachrichten hat, die einen interessieren.

Da das iPhone als Betriebssystem tatsächlich OS X benutzt, betrachten manche das Gerät als einen vollwertigen Taschencomputer, dessen Potenzial weit über das herausgeht, was man von einem Smartphone oder einem PDA üblicherweise erwarten würde.

Am interessantesten ist ganz sicher das Interface, das beim iPhone zum Einsatz kommt. Es verzichtet auf Stylus und Tastatur - einen einzigen Knopf ausgenommen. Stattdessen wendet man mit den Fingern Gesten direkt auf dem Bildschirm an. Man kann zum Beispiel in Medieninhalte hineinzoomen, indem man sie zwischen Daumen und Zeigefinger "auseinander zieht", zur Verkleinerung kehrt man den Prozess einfach um. Das dürfte dem Surfen im Internet sehr zugute kommen. Zwar wird der Bildschirm als ausgezeichnet beschrieben, aber bei einer Diagonale von unter neun Zentimetern wird die Volldarstellung von Websites in aller Regel wenig bringen - auch bei 320 x 480 Pixeln.

Und da das "Multitouch"-Interface den Input von bis zu vier Fingern gleichzeitig interpretieren kann, lässt sich vermuten, dass das Gerät nach kurzer Einübungszeit sehr geschmeidig über ein intuitives "Taubstummenalphabet" von Gesten zu steuern ist. Nebenbei gesagt, eröffnet ein solches Interface auch für viel größere Bildschirmformate faszinierende Möglichkeiten und Touchscreens scheinen insgesamt einen Boom zu erleben. Für das Design des iPhones war natürlich wieder Jonathan Ive zuständig, einer der kreativsten und besten Designer, die sich je mit elektronischen Geräten beschäftigt haben.

Über all diese Dinge ist schon viel geschrieben worden, und es wird noch viel mehr darüber geschrieben werden. Ab Juni wird das iPhone zunächst in den USA mit einem Zweijahresvertrag bei dem US-Telephonieanbieter Cingular angeboten. Aber obwohl das Gerät erst Ende 2007 nach Europa kommen wird, signalisieren bereits deutsche Mobilfunk-Provider deutlich ihr Interesse.

Blogger kreieren schon jetzt eifrig Content zum Thema; manche gehen so weit, sich Pappmodelle zu bauen, um zu sehen, wie das iPhone in der Hand liegt.

Die Risikostrategie Apples, einen Namen zu benutzen, den ein anderer großer Elektronikhersteller bereits verwendet wird wahrscheinlich die Gerichte beschäftigen, was für weitere fortgesetzte Medienaufmerksamkeit sorgen wird. Mit einem Wort: der Spin ist gelungen, Steve Jobs scheint den Käuferschichten, auf die es ihm ankommt, wieder einmal die richtige Karotte vor die Nase gehängt zu haben.

Da kann es nicht schaden, sich doch einmal unter denen umzuhören, die noch immer dem ersten Versuch von Apple nachtrauern, einen multifunktionalen Taschencomputer für urbane Infonomaden zu schaffen - seinerzeit hätte man diese Zielgruppe wahrscheinlich noch "Yuppies" genannt. Die Rede ist vom Apple Newton (vgl. Newtons ausrangierter Apfel), der 1993 auf den Markt kam, und sich durch verschiedene Metamorphosen bis 1998 zu einem Gerät mauserte, das in seiner Art immer noch einzigartig ist.

Bis heute gibt es eine große Fangemeinde, die in manchmal komischem Eifer am Newton festhält (vgl. Heiliger Newton, bitt für uns) und nicht nur Soft- sondern auch Hardware dafür entwickelt. Newtontalk, die wahrscheinlich größte Newton-Mailingliste, hat etwa 2500 Mitglieder, und derzeit ist das iPhone eins der heißesten Themen dort.

Seit Jahren hat man von Apple gefordert, die mit dem Newton gemachten Erfahrungen wieder aufzugreifen und in ein Gerät auf dem Stand der Technik zu integrieren; für viele stellt sich die Frage, ob das iPhone nun der lange herbeigesehnte Newton-Nachfolger ist oder nicht. Die einen bejahen das von ganzem Herzen, und kündigen an, ihre Newtons endgültig einmotten zu wollen. Das iPhone sei das Gerät, zu dem sich der Newton ohnehin entwickelt hätte, wenn er seinerzeit nicht aufgegeben worden wäre, so die Meinung dieser Fraktion.

Eine andere glaubt nicht, dass das iPhone den Newton ersetzen kann; vor allem wird bemängelt, dass die Texteingabe beim iPhone nur über eine Bildschirmtastatur stattfinden soll, was, zumal auf einem so kleinen Bildschirm, nicht gerade einen komfortablen Umgang mit längeren Texten verspricht. Ironie der Technikgeschichte: Der Newton verfügte über eine Handschriftenerkennung, die auch seinerzeit schon kluge Ansätze zur Gestensteuerung (per Stylus) integriert hatte. Sie ist als "Inkwell" Teil von OS X, dem Betriebssystem, das Apple auch für das iPhone einsetzt.

Aber von Inkwell und dem Newton war bei der Vorstellung des iPhones nicht die Rede, was die Hardcore-Newtonfans enttäuscht, wenn sie Steve Jobs nicht gar "Revisionismus" im Bezug auf die Firmengeschichte vorwerfen.

Bemängelt wird auch die Batterielebensdauer des iPhones, die mit der des Newtons nicht mithalten könne - ein wenig überzeugendes Argument, wenn man bedenkt, dass der Newton keinen Farbbildschirm hat, und dass man mit ihm in Maßen zwar Musik hören und im Internet surfen kann (beides sogar drahtlos), aber dass er weder über Fotografie- noch über Telefoniefähigkeiten verfügt.

Schwerer wiegt da schon die Tatsache, dass der Akku fest eingebaut ist. Bei längerem Gebrauch ohne Netzstecker erzwingt das die Benutzung von externen Akkupacks. Gerne wird auch die zweijährige Vertragsbindung an Cingular als Manko betont und die deutliche Zurückhaltung von Jobs, was die Öffnung des iPhones für die Software von Drittherstellern angeht. Als Grund für diese Zurückhaltung wird übrigens angegeben, man wolle verhindern, dass Code auf das Gerät gelangt, der ihm schadet. Dass eine solche Haltung Leute nicht beeindrucken kann, die ein seit 1998 obsoletes Gerät durch Eigenentwicklungen am Leben halten, dürfte nicht überraschen. Wie auch immer - eine gewisse Neugier ist selbst den größten iPhone-Skeptikern unter den Newton-Fans anzumerken.

Wenn man die Videos gesehen hat, die das iPhone in Aktion zeigen, ist das auch wenig verwunderlich. Es wirkt wie die perfekte Mischung aus Spiel- und Werkzeug, für die Geeks sich nun einmal begeistern. Abgesehen von dem bedeutenden Mangel, dass das iPhone in der jetzigen Version nur wenig mit größeren Textmengen anfangen kann, ist es der legitime Nachfolger des Newton. Und außerdem ist es auch ein relevanter Schritt auf die eierlegende Wollmilchsau zu - den Taschencomputer, der alles kann.